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  7. Giga-Fabrik Nokera: DDR-Plattenbau trifft moderne Technik & Holz

Wohnungen aus Holz Mit Video: So sieht es in der „Giga-Fabrik“ von Nokera bei Magdeburg aus

Einer alten Idee will das Unternehmen Nokera zu neuem Glanz verhelfen. Bei Burg fertigt das Start-up Wohnhäuser in Serienproduktion – so wie einst die DDR. Doch bis auf die Grundidee ist an den neuen Plattenbauten alles anders.

Von Robert Gruhne Aktualisiert: 17.10.2023, 18:59
Nokera hat im Gewerbegebiet in Stegelitz Musterhäuser aufgebaut.  Dahinter befindet sich die neue 700 Meter lange Fabrik.
Nokera hat im Gewerbegebiet in Stegelitz Musterhäuser aufgebaut. Dahinter befindet sich die neue 700 Meter lange Fabrik. Foto: Viktoria Kühne

Stegelitz - Nokera macht Tempo. Vor nicht einmal zwei Jahren berichtete die Volksstimme erstmals über die Pläne des Unternehmens, eine sogenannte „Giga-Fabrik“ im Gewerbegebiet bei Stegelitz zu errichten.

Bis Frühjahr 2022 war hier grüne Wiese. „Da mussten wir noch die Schafe wegtreiben“, sagt Werksleiter Peter Tesche. Heute steht hier die laut Unternehmen weltweit größte Fabrik für seriell gefertigte Wohnhäuser aus Holz.

Im Inneren der 700 Meter langen Produktionshalle riecht es nach frischem Holz. Nokera verwendet Kiefer, Fichte und Tanne. Die säuberlich gestapelten Balken sind die Basis für die Wandelemente, die die Firma bei Burg fertigt. „Wir kaufen zurzeit Holz aus einem Umkreis von 75 Kilometern“, sagt Tesche. Der Kreis lasse sich aber schnell erweitern.

 
Video: Das Unternehmen Nokera fertigt bei Möckern serielle Holzhäuser (Kamera: Robert Gruhne, Schnitt: Bernd Stiasny)

Nokera nutzt Ideen aus dem Schiffsbau

Der Mann mit dem kleinen Dutt am Hinterkopf führt mit Leidenschaft durch sein Werk. Man hört noch, dass er in Baden-Württemberg aufgewachsen ist, auch wenn er lange in Sachsen lebte. Tesche arbeitete 25 Jahre im Schiffsbau. Sein früheres Unternehmen hat die Inneneinrichtung von Kreuzfahrtschiffen und Jachten gebaut. Der Unterschied zum jetzigen Produkt ist ihm zufolge nicht besonders groß: „Bei Nokera verbinden wir die Exklusivität von Jachten und die Serialität von Kreuzfahrtschiffen.“

Die Arbeitsschritte im Werk von Nokera sind hochautomatisiert. Momentan arbeiten am Standort bei Burg 180 Mitarbeiter. In Zukunft sollen es 400 sein.
Die Arbeitsschritte im Werk von Nokera sind hochautomatisiert. Momentan arbeiten am Standort bei Burg 180 Mitarbeiter. In Zukunft sollen es 400 sein.
Viktoria Kühne

Das Unternehmen hat vor, den Wohnungsbau in Deutschland zu revolutionieren. „Wir gehen weg von der Baustelle hin zur Montagestelle“, sagt Tesche. Das bedeutet: Alle Elemente werden vorproduziert. „Der Monteur auf der Baustelle muss keinen Mörtel mehr anrühren“, verspricht Tesche. So soll es möglich sein, ein Haus mit 20 Wohnungen in drei Monaten statt anderthalb Jahren zu errichten.

Damit will Nokera auch einen Beitrag gegen den Wohnungsmangel in den Ballungsräumen leisten. Man könne durch die serielle Fertigung zu 15 Prozent günstiger bauen. „Wir liegen momentan bei zwölf Euro kalt pro Quadratmeter“, sagt der Vorstandsvorsitzende Ralph Burkhardt zur erwarteten Miete.

Serielle Holzbauweise hat Parallelen zu DDR-Plattenbauten

Wohnungsnot? Serielle Produktion? Beides kennt man hier im Osten noch gut. Den Mangel an Wohnraum zu bekämpfen, war das „Kernstück der Sozialpolitik der SED“. Und die standardisierten Blöcke in Plattenbauweise die Lösung. Die Wohnungen waren durch Fernwärme, Badezimmer und Warmwasser heiß begehrt. Etwa zwei Millionen Wohnungen errichtete die DDR auf diese Weise. Bis heute prägen die Plattenbauten ostdeutsche Städte. Ihr Ruf hat nach der Wiedervereinigung allerdings gelitten.

„Das WBS-System wurde in der Grundidee mit in die Neuzeit genommen“, sagt Thomas Hübner, der lokale Geschäftsführer für Nokera, zu den Parallelen. WBS 70, also die Wohnungsbauserie 70, war ein häufig verwendeter Bautyp in der DDR. „Man wusste schon vor Jahren, wie man seriell baut, aber heute machen wir das in einer anderen Qualität“, fügt Hübner hinzu.

Das Magdeburger Viertel Neu-Olvenstedt entstand in den 1980ern. Die Wohnungen waren modern und begehrt.
Das Magdeburger Viertel Neu-Olvenstedt entstand in den 1980ern. Die Wohnungen waren modern und begehrt.
Foto: Archiv Volksstimme

Wie diese Qualität aussieht, zeigt Werksleiter Peter Tesche bei einem Rundgang durch das Musterhaus, das direkt hinter dem Werk in Stegelitz steht. Hohe Räume, bodentiefe Fenster, barrierefreie Wohnungen, smarte Haustechnik. Viele Ideen habe seine alte Branche, die Kreuzfahrtindustrie, geliefert. So würden die Bäder als Einheit gefertigt und nach dem Lego-Prinzip in die Häuser gesetzt.

Ganz anders als die DDR-Produktion sind auch zwei andere Aspekte: Erstens bemüht sich Nokera um Nachhaltigkeit und verwendet 80 Prozent nachwachsende Rohstoffen. Zweitens läuft die Produktion hochautomatisiert. Das Unternehmen erstellt von jedem Haus einen digitalen Zwilling. Jeden Nagel gibt es zuerst digital, erst dann hämmert ihn ein Roboter in die Holzelemente.

Das funktioniert noch nicht immer. Das Werk in Stegelitz befindet sich noch in der Testphase. Beim Besuch in der Fabrik reißen gerade vier Mitarbeiter mit Brecheisen eine von der Maschine falsch angebrachte Sperrholz-Platte von einem Wandelement. „Einer der 4000 Nagelpunkte war falsch gesetzt“, sagt Tesche und vergleicht es mit der Autoindustrie: „Da stellen sie auch erstmal 1000 Autos her, ehe das erste verkauft wird.“

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Nachfrage für Häuser von Nokera noch gering

In Mannheim entstehen bereits die ersten 400 Wohnungen, in Burg sollen im nächsten Jahr 250 folgen. Insgesamt stehen bisher für 2024 rund 3500 Wohneinheiten in den Büchern. Der Standort, zu dem auch die Hallen der Firma Schnoor in Burg gehören, ist damit noch lange nicht ausgelastet. „Wir können in Burg 20 000 Wohnungen pro Jahr herstellen“, sagt Firmenchef Burkhardt. Die Nachfrage aus der Region ist ihm zufolge verhalten: „Aus Magdeburg ist noch niemand an uns herangetreten.“ Er lade alle ein, dem Unternehmen Grundstücke zur Verfügung zu stellen. Wohngebäude bis hin zu ganzen Stadtquartieren könne man selbst entwickeln.

Norbert Ketterer ist Gründer und Präsident des Verwaltungsrats von Nokera.
Norbert Ketterer ist Gründer und Präsident des Verwaltungsrats von Nokera.
Foto: Viktoria Kühne

Mittlerweile zählt Nokera zu den „Einhörnern“, also den Startups, die mit über einer Milliarde Euro bewertet werden. Wie konnte die Firma seit der Gründung vor drei Jahren so groß werden?

Die Idee hatte der Immobilienunternehmer Norbert Ketterer, bei dem als Verwaltungsrats-Chef immer noch die Fäden zusammenlaufen. Die Gesamtinvestition für Nokera beläuft sich auf mehr als 650 Millionen Euro. Das meiste steuerte Ketterer selbst bei.

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Start-up Nokera ist durch Zukäufe gewachsen

Durch gezielte Zukäufe sicherte sich das Start-up in kurzer Zeit Kompetenzen wichtiger Bau-Gewerke, wie etwa durch den Kauf der Holzbau-Firma Schnoor. Seit dem Sommer gehört auch die R+S Group dazu. Das Unternehmen ist Spezialist für technische Gebäudeausrüstung. Nokera ist damit um 3000 auf 4000 Mitarbeiter gewachsen. In den beiden Werken in Burg und Stegelitz arbeiten bisher 180 Menschen. Bis zu 400 sollen es hier einmal sein.

Das Unternehmen hofft nun auf Schub aus der Politik. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat das serielle Bauen als Schlüsselinstrument für den dramatisch rückläufigen Wohnungsbau bezeichnet. Damit das klappe, müssten die Genehmigungsprozesse vereinheitlicht werden, meinen die Nokera-Verantwortlichen.

Auch für Sachsen-Anhalt, wo eher Leerstand als Wohnungsnot ein Problem ist, hat Nokera eine Idee. Die Firma kann Wandelemente für jährlich weitere 10 000 Wohnungen bauen, mit denen es möglich ist, DDR-Blöcke energetisch zu ertüchtigen. Am Ende könnte also die neue Platte die alte Platte retten.