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Trauerrednerin Was sie sagt, bleibt im Gedächtnis

In loser Folge berichtet die Volksstimme über Menschen, die mit dem Sterben zu tun haben. Regina Lessing ist Trauerrednerin.

Von Antonius Wollmann 19.11.2016, 00:01

Letzlingen l Hoch konzentriert ist Regina Lessing, bevor sie anfängt zu sprechen. Jeder Satz ihrer Rede ist wichtig, jedes Wort sorgfältig ausgesucht. Doch macht der Text allein noch kein gute Rede. Im Gegenteil: Er ist wenig wert, wenn die Rhetorik nicht stimmt. Auf den Tonfall kommt es dabei an. Angemessen muss er sein, das ist das Entscheidende. Als Trauerrednerin verabschiedet die Letzlingerin seit sieben Jahren Verstorbene, die keine religiöse Zeremonie wollen. Sie verdichtet und würdigt Menschenleben in gut 20 Minuten. Das Bild, das den Angehörigen vom Verstorbenen im Gedächtnis bleibt, zeichnet sie mit.

Die 62-Jährige ist sich der Schwere ihrer Aufgabe durchaus bewusst. Sie auf die leichte Schulter zu nehmen, käme ihr nie in den Sinn. Sie weiß, wie viel Verantwortung sie trägt, sobald sie eine Trauerhalle betritt. Dennoch denkt sie nicht ständig darüber nach, was alles falsch laufen kann, sondern hält sich vor Augen, dass ihre Tätigkeit unverzichtbar ist. „Für mich ist es eine dankbare und würdige Aufgabe“, sagt die Letzlinger Ortsbürgermeisterin. Dankbar, weil man viel über Menschen erfahre. Würdig, weil man den Hinterbliebenen dabei helfe, die Trauer über den Verlust zu bewältigen. Tätig ist sie sowohl im Altmarkkreis Salzwedel als auch im Landkreis Stendal.

Ob eine Rede gelingt, hänge davon ab, wie viel sie von der Persönlichkeit des Verstorbenen weiß. „Besonders die Vorgespräche sind sehr wichtig. Für sie nehme ich mir viel Zeit. Es geht darum, den Verstorbenen in all seinen Facetten kennenzulernen“, sagt Regina Lessing. Ideal sei es, mit mehreren Verwandten über den Toten zu sprechen, um ein möglichst komplettes Bild von der Person zu erhalten. „Es kommt dann darauf an, die richtigen Fragen zu stellen. Als Trauerredner muss man sich in die Gefühlswelt des Verstorbenen reinversetzen. Ich erzähle immerhin seine Lebensgeschichte.“

Meist ist die Trauer der Hinterbliebenen zum Zeitpunkt der Gespräche noch sehr frisch. Die Fragen sollten also möglichst sensibel gestellt sein. Die Treffen mit Regina Lessing sind ein erster Schritt, um den Verlust zu verarbeiten. Die Rednerin verhehlt nicht, dass die Gespräche sie tief berühren: „Manchmal fließen auch bei mir die Tränen.“

Während der Trauerrede ist sie hingegen so diszipliniert wie möglich. Einen emotionalen Zusammenbruch darf sie sich nicht erlauben, ist es doch ihre Aufgabe, den Toten zu verabschieden und den Schmerz der Angehörigen aufzufangen. Wer dies nicht leisten kann, sei als Trauerredner fehl am Platz.

Regina Lessing wandelt dabei stets auf einem schmalen Grat: zwischen einer professionellen Distanz und möglichst viel Mitgefühl. Denn natürlich soll die Rede menschliche Wärme ausstrahlen, nicht zu teilnahmslos wirken. Entscheidend ist der Vortrag. „Laut muss ich sprechen und kräftig“, beschreibt sie die Anforderungen.

Die Kommunalpolitikerin profitiert davon, dass sie bereits zu DDR-Zeiten als hauptamtliche Bürgermeisterin rhetorisch geschult wurde. In der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen und vor vielen Menschen zu sprechen, ist für sie fast schon Normalität. Neben ihrer Tätigkeit als Trauerrednerin arbeitet sie auch als Moderatorin von Veranstaltungen aller Art.

Verfasst Regina Lessing eine Rede, hat sie stets einen Grundsatz im Kopf: Über Verstorbene nur Gutes zu berichten: „Selbst für den größten Gauner kann man am Grab positive Worte finden. Jemanden mit negativen Worten zu verabschieden, ist kein guter Stil. Aber man kann zwischen den Zeilen die schlechten Seiten andeuten.“

Eine noch größere Herausforderung sei es, vor zerstrittenen Trauergemeinden zu reden. In dieser Situation jedem gerecht zu werden, sei keine einfache Aufgabe. Manchmal täten sich dabei Abgründe auf. „Dann herrscht in der Trauerhalle eine Stimmung, die kaum zu ertragen ist“, berichtet Regina Lessing

Ist der letzte Satz schließlich gesagt, löst sich die Anspannung langsam. Oft fühlt sich Regina Lessing regelrecht körperlich erschöpft. Sie brauche ungefähr eine halbe Stunde, um wieder richtig klar denken zu können und den Dienstmodus auszuschalten. Sie sei emotional zu sehr in der Situation gefangen, als dass sie ohne Umschweife so weiter machen könne, als wäre nichts gewesen.

Verwunderlich ist es nicht. Immerhin hat sie vor wenigen Augenblicken die letzten Worte für ein Menschenleben gefunden.