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CI-Träger-Treffen „Mama, die Uhr nervt, stell‘ sie aus!“

Vorbei die Zeiten großer Hörrohre. Wer schlecht hört, kann verschiedene Hilfsmittel nutzen. Jene, die eine Innenohr-Prothese tragen, treffen sich seit fünf Jahren regelmäßig in Halberstadt.

Von Sabine Scholz 08.09.2015, 01:01

Halberstadt l „Wer in Halberstadt schlecht hört, ist selbst schuld“, so zitierte am Sonnabend Klaus Bodenstein den Mediziner Klaus Begall. Der HNO-Spezialist hat mit seinem Team am Halberstädter Krankenhaus bereits mehr als 1000 Menschen mit einer Innenohr-prothese, einem Cochlea-Implantat, versorgt. Doch nicht nur das, wie die Geschichte von Klaus Bodenstein zeigt.

Der 75-Jährige ist rechtsseitig operiert, zweifach. Zuerst merkte er vor rund 25 Jahren, dass sein Gehör rechts nachlässt. Als es schlimmer wurde, wandte sich der Harzer an das Team in Halberstadt, eine Operation erfolgte, aber noch war keine Innenohrprothese notwendig. „Das ging auch einige Jahre gut, aber dann ließ das Hörvermögen rechts ganz nach“, berichtete er am Sonnabend beim Treffen der CI-Träger. Das hatte zur Folge, dass es Krach mit dem Chef gab, weil er nicht mehr alles verstand, dass er sich immer mehr zurückzog, sobald in der Gruppe gesprochen wurde. „Ich fühlte mich ausgeschlossen“, sagt er heute. Vor zwei Jahren dann entschloss er sich zu einem Cochlea-Implantat. Viermal war er seither zur Reha in Halberstadt. „Es wird immer besser mit dem Hören und ich kann endlich wieder am sozialen Leben teilnehmen.“

Eine Erfahrung, die er mit Steffi Lutschin teilt. Die Hannoveranerin war 2007 nach einer Hinhautentzündung über Nacht ertaubt und brauchte schnellstmögliche Hilfe. „Zum Glück schickte mich mein behandelnder Arzt damals nach Halberstadt“, sagt sie heute. 2007 wurde sie an beiden Ohren operiert, trägt seither ein CI. „Ich war 28 Jahre alt und wollte unbedingt wieder dazugehören“, erzählte sie am Sonnabend und davon, wie schwer es für sie war, aus dem seelischen Tief wieder herauszukommen, in das sie durch die Erkrankung gestürzt war. Sie kann zwar wegen der Implantate nicht mehr zur Disko, aber sie ist wieder an allem beteiligt, „und wenn es mir auf Partys oder Feiern zu anstrengend wird, weil die Geräuschkulisse zu heftig ist, ziehe ich mich zurück. Ich habe meinen Platz bei den Rauchern gefunden, auch wenn ich nicht mehr rauche“, sagt sie und lacht.

Wie es ist zu hören, wusste Sarah Liebrecht bis zu ihrem fünften Lebensjahr nicht. Sie kam gehörlos zur Welt, bedauerte aber, im Kindergarten von so vielem ausgeschlossen zu sein. Deshalb wollte sie ein CI haben. Zum Erstaunen der Mutter, die selbst nur eingeschränkt hört und als Gebärdendolmetscherin arbeitet. Es war ein langer Weg, aber noch heute erinnert sich Sarah, wie sehr sich die Welt für sie plötzlich veränderte. „Mama, die Uhr nervt, stell sie ab!“ Diesen Satz werden weder sie noch ihre Mutter vergessen.

Die zweite Operation lehnte die Krankenkasse ab, doch ein Gericht entschied: das Kind darf auch ein zweites Implantat erhalten. Und so wurde sie 2008 am zweiten Ohr operiert. Sie gebärdet und sie spricht, wenn auch etwas eingeschränkter als junge Menschen, deren Spracherwerb so ganz „nebenbei“ läuft.

Im Gespräch mit dem Logopäden Thomas Hinsche resümierte der Ohrenarzt Jörg Langer, dass diese unterschiedlichen Schicksale zeigten, wie individuell die Hörschäden sind und wie individuell die Behandlung. „Es offenbart aber auch, wie vielfältig die Indikationen für eine Innenohrprothese sind und wie vielen Menschen damit geholfen werden kann.“

Weit mehr als 60, die in den vergangenen Jahren ein CI erhalten haben, verfolgten am Sonnabend im Muttersaal des Cecilienstifts die Interview­runde. Sie waren der Einladung zum 5. Herbsttreffen erwachsener CI-Träger gefolgt, und nutzten die Gelegenheit, sich auszutauschen. Sie verfolgten den Vortrag von Franziska Semella zu den Aufgaben des Integrationsfachdienstes, trafen Freunde, ließen sich Neuigkeiten auf technischem Gebiet erläutern oder schlenderten durch die Räume des Cochlea-Implantat-Rehabilitationszentrum, kurz CIR, das es seit 1998 in Halberstadt gibt und sein Domizil auf dem Mutterhausgelände des Cecilienstiftes hat.

Hier werden Menschen aller Altersgruppen auf dem Weg zum Wieder-Hören-Können begleitet von Logopäden, Ärzten und Hörgeräteakustikern.