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Circus Knopf Der Vorhang bleibt geschlossen

Kein Lachen, kein Staunen, kein Applaus! Der Vorhang der Manege des Circus Knopf ist geschlossen, Direktorin Antje Hildebrandt arbeitslos.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 29.01.2021, 00:01

Schönhausen l  Endlich zurückzukehren auf die Bühne, zu zaubern, zu jonglieren, Freude zu verbreiten ist der aller größte Wunsch von Antje Hildebrandt.

Das Feuer prasselt im Lehmofen, aus der Teekanne dampft das Wasser, Schäferhund „Hugo“ döst unterm Küchentisch. Hier sitzt Antje Hildebrandt, vor ihr der Laptop. Ihr Blick schweift vom Bildschirm immer wieder durch das große Fenster nach draußen auf den Hof im Schönhauser Hook, wo sie zu Hause ist. Sie mahnt sich selbst zum Weitermachen. Bilder aussuchen, Texte neu formulieren und hinweisen, dass die Vorstellungen corona-conform sind.

Die Homepage zu überarbeiten, hatte sie sich schon so lange vorgenommen, aber nie wirklich Zeit dafür gehabt. Die hat sie nun. Denn sie kann nicht von Termin zu Termin eilen, nicht durch halb Deutschland tingeln, nicht in ihrem knallgrünen Zirkus-Bus schlafen und aus dem Koffer leben. Dabei würde sie das liebend gern! Denn die Bühne ist der Ort, wo sie sich am wohlsten fühlt. Kinder zum Lachen bringen, Muttis und Vatis zum Staunen und die Großeltern zum Applaudieren – das ist das, was sie seit 30 Jahren macht. Immer unterwegs, bis Corona im März letzten Jahres das Lachen verstummen ließ.

Die Auftragsbücher waren voll – fast alle Termine wurden durchgestrichen. Die Corona-Bühne in Arneburg und zu Weihnachten die Vorstellung in der Klietzer Schule waren Lichtblicke, ließen das Herz nicht nur der Kinder, sondern auch von Antje Hildebrandt endlich mal wieder höher schlagen. Und dann war da noch eine Woche im Sommer an der Ostsee in Rostock und Warnemünde. Straßenkunst. Spaziergänger blieben stehen, ließen sich für ein paar Minuten in den Bann ziehen von Zauberei und Jonglage. Am Ende des Tages lagen ein paar Geldstücke im Koffer. Dieser Lohn hat kaum den Aufwand gedeckt. „Aber ich konnte endlich mal wieder in eine andere Rolle schlüpfen, hatte Publikum – das hat so Spaß gemacht und all die Sorgen von uns Künstlern für ein paar Momente vergessen lassen.“

Und Antje Hildebrandt an eine Zeit gleich Anfang der 90-er Jahre erinnert, als sie sich mit ihrem „Circus Knopf“ selbstständig und damit ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Sie wollte eigentlich in der Alten- und Behindertenbetreuung arbeiten und hatte den Studienplatz in Neubrandenburg schon sicher. Doch den Sommer verbrachte die gebürtige Gardelegenerin im Heidecamp und setzte sich mit Gleichgesinnten für eine zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide als Naturpark ein.

Ich wollte mich da richtig reinhängen, habe deshalb auch den Studienplatz abgesagt. Ich lernte Malte Fröhlich aus Miltern kennen, der sich mit dem Bau von hölzernen Spielgeräten einen Namen gemacht hat. Mich und meine Leidenschaft für die Bühne erlebend, gab mir den Tipp, einen anderthalbjährigen Existenzgründerkurs zu belegen. Dafür gab es sogar eine staatliche Förderung, so dass ich finanziell ganz gut über die Runden gekommen bin.“

Antje Hildebrandt feilt an Konzepten, nennt sich „Circus Knopf“, weil sie schon als Kind eine Sammelleidenschaft für bunte, außergewöhnlich Knöpfe hatte, schreibt spielbare Programme. Sie kann all das anbieten, was das Publikum in einer Manege erwartet, dazu spielt sie mit Feuer und stellt auch damit eine Show zusammen. „Das war am Anfang echt ein hartes Brot. Ich bin mit dem Fahrrad zur Telefonzelle gefahren und habe versucht, in Schulen und Kindergärten, bei Dorf- und Stadtfesten, Festivals, Fasching und Weihnachtsfeiern die Möglichkeit zum Auftritt zu bekommen. Von zehn Anrufen war einer erfolgreich.“ Doch mit den ersten Zirkusvorstellungen kommt der Erfolg. Es spricht sich rum, dass Antje Hildebrandt ein unterhaltsames Programm anbietet, auch das Publikum einbezieht und mitzaubern lässt. Nach fast jedem Auftritt kommt jemand aus dem Publikum und fragt nach ihrer Visitenkarte, um dann einen Termin abzusprechen. Mehrtägige Projekte in Schulen oder Behinderteneinrichtungen komplettieren das Jahresprogramm. Rund 40 Vorstellungen und Projekte übers Jahr verteilt kommen zusammen, sichern Antje Hildebrandt ein Auskommen.

Und sie hat neben der Kunst auch noch ein zweites Standbein: Lehmbau. Diesen Naturstoff zu verarbeiten, bereitet ihr Freude und ist Ausdruck ihrer Lebenseinstellung: Nachhaltigkeit. Das sieht man auch in ihrem Fachwerkhaus in Schönhausen. Hier gibt es keine geraden tapezierten Wände, stattdessen mühsam aufgearbeitetes Holz, Lehmwände, Steinfußboden – urgemütlich! 2017 hatte Antje Hildebrandt, die zu dem Zeitpunkt in Miltern lebte, zusammen mit ihrem Lebensgefährten angefangen, die Ruine bewohnbar zu machen. Leicht war das nicht, andere hätten wohl das Handtuch geworfen. Aber mit Geduld und Spucke und ganz viel Leidenschaft wurde Raum für Raum fertig. „Zu tun ist aber immer was, fertig werden wir wohl nie“, stört dieser nicht ganz fertige Zustand Antje Hildebrandt nicht.

Nun schon beinahe ein Jahr nicht in ihre Rolle als Zirkusdirektorin schlüpfen zu können, schmerzt. Es gab für drei Monate 3000 Euro Kulturförderung, ihr Lebensgefährte kann arbeiten, die Eltern helfen auch mal. „Ich habe ja zum Glück keine hohen Festkosten, die ich jeden Monat aufbringen muss. Aber so langsam will ich wieder eigenes Geld verdienen und Vorstellungen geben! Das fehlt mir so sehr!“ Nicht nur, selbst auf der Bühne zu stehen, sondern auch zu Konzerten zu fahren, selbst Kunst zu erleben, Kontakte zu haben, zusammen zu sein. „Das ist doch das, was uns Menschen ausmacht.“ Aber sie stellt auch klar: „All das hier bei mir ist wirklich jammern auf sehr hohem Niveau, daran will ich mich immer wieder erinnern! Gerade wenn ich an andere Kunst- und Kulturschaffende denke, deren Existenz zu Bruch geht, und an die Menschen in ärmeren Ländern.“

Wenn Antje Hildebrandt vor ihrem Laptop sitzt und die Bilder anschaut, wird die Sehnsucht nach Publikum umso größer. Und die Zuversicht wächst, dass sie den Koffer mit dem Zylinder bald wieder vom Dachboden holen und losziehen kann.

Wer Antje Hildebrandt für Zirkusspektakel, Hexenfeuer, Gauklerfreizeiten und Projekte erreichen will: www.circus-knopf.de oder Tel. 0173/204 34 27.