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Serie „Otto ist Einheit“ über 35 Jahre Wiedervereinigung Mit Video: Domprediger: „Nicht ich präge den Dom, sondern der Dom prägt mich“

Jörg Uhle-Wettler kommt vor neun Jahren nach Magdeburg - aber nicht das erste Mal. Es ist wie heimkommen, sagt er zur Rückkehr.

Von rs 05.08.2025, 17:00
Jörg Uhle-Wettler, Domprediger in Magdeburg.
Jörg Uhle-Wettler, Domprediger in Magdeburg. Foto: Pro M Magdeburg

Magdeburg - In einer Serie erzählen Menschen aus Magdeburg mit Ost- oder West-Hintergrund ihre Geschichte über Wiedervereinigung und Deutsche Einheit seit 35 Jahren. Hier Jörg Uhle-Wettler, Domprediger in Magdeburg.

Jörg Uhle-Wettler verbringt die ereignisreichen Wendezeit in der Nähe von Frankfurt/Oder. Er ist Gemeindepraktikant und abgelegen bei einem Bauern untergebracht. Es gibt keinen Fernseher oder irgendein anderes mediales „Guckloch“. Am 9. November 1989 geht er gegen 23 Uhr ins Bett. Ahnungslos, was vor sich geht.

Video: Serie 35 Jahre Deutsche Einheit: Jörg Uhle-Wettler, Domprediger in Magdeburg

(Stadtmarketingverein Pro M Magdeburg)

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„Am nächsten Morgen war die Welt eine andere“, sagt der Magdeburger Domprediger. Er fährt noch am selben Tag nach Berlin, wo er sich mit seiner Freundin und jetzigen Ehefrau trifft, die aus Leipzig in die ehemals geteilte Stadt anreist. „Ich kann sagen: Das war eines der schönsten Wochenenden meines Lebens.“ Jörg Uhle-Wettler wird 1965 in Dessau als Sohn eines Pfarrers geboren.

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Vier Jahre später kommt die Familie nach Magdeburg, 1979 geht es weiter nach Brandenburg an der Havel und 1987 nach Berlin zum Theologiestudium. „Da bin ich immer an dem verfluchten Betonmonster vorbeigefahren. Immer vorbei an dieser Mauer. Nicht ahnend, dass die mal fällt“, bricht es emotional aus ihm heraus.

46 Frauen und ein einziger Mann

Zu DDR-Zeiten lebt er das typisch ambivalente Leben eines Pfarrersohns. Privilegien auf der einen, Einschränkungen auf der anderen Seite. „Meine Kindheit in Magdeburg war eine ungetrübte. Mein Vater war Studentenpfarrer, unser Mittelpunkt war die Wallonerkirche“, erzählt der dreifache Vater. „Als Kind war ich nie hinterm Bahnhof. Da kam ich nicht hin.“

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Wichtig sei für ihn damals nur eins gewesen: „Meine Mosaik-Hefte vom Kiosk am Dom.“ Er habe zwar einerseits einen „anderen Bildungszugang mit Büchern und Musik“ gehabt, durfte aber andererseits kein Abitur machen. Er geht ab 1982 in die Ausbildung; und das gleich zweifach. „Ich habe eine Ausbildung zum Fachverkäufer für Waren des täglichen Bedarfs gemacht. 46 Frauen und ich als einziger Mann allein im Konsum. Ich weiß es noch genau.“, schmunzelt er. Eine zweite Ausbildung machte er zum Heilerziehungspfleger in der Behindertenpflege

Durch Europa und die USA

Nach der Grenzöffnung saugt er „die neue Weite“ in sich auf, stillt seinen Durst nach der Welt und reist. „Zweimal bin ich mit dem Interrail 30 Tage durch Europa“, berichtet Jörg Uhle-Wettler. „Und auch durch die USA - Von Küste zu Küste.“ Er entschließt sich, den Weg seiner Vorfahren einzuschlagen und evangelischer Pfarrer zu werden. „Ich bin die 9. Generation.“, sagt er stolz.

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Er geht nach Erfurt ins Kloster, legt 1993 sein Examen ab und wird 1995 Gemeindepfarrer im nordsächsischen Bad Düben. Dort bleibt er 20 Jahre. „In all der Zeit habe ich nie den Kontakt nach Magdeburg verloren“, erinnert sich Jörg Uhle-Wettler, der ein großer Dackelliebhaber ist. „Ich war unter anderem zehn Jahre in der hiesigen Kirchenleitung aktiv.“ Als er über die ausgeschriebene Domprediger-Stelle stolpert, sagt er zu seiner Frau: „Da muss ich mich bewerben. Ich ärgere mich sonst, wenn ich’s nicht mache und dann erfahre, wer‘s wird.“

Schöner als der Central Park in New York

2016 wird Jörg Uhle-Wettler Domprediger in der ältesten gotischen Kathedrale Deutschlands. Es sei schön, wieder in Magdeburg zu sein und in einer der wohl außergewöhnlichsten Wohnungen mit der wohl schönsten Terrasse zu leben. „Wenn der Dom schließt, gehört der Innenhof mir“, sagt er mit einem zufriedenen Lächeln. „Ich präge nicht den Dom, der Dom prägt mich.“ Jörg Uhle-Wettler ist mit seiner Frau und seiner Tochter in die Landeshauptstadt gekommen, die beiden Söhne leben in Dresden und Leipzig. „Wir lieben die Elbe und den Rotehornpark. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass der viel schöner ist, als der New Yorker Central Park.“

Höchste Eisenbahn in der DDR

Eine Einschätzung, die er ohne Wiedervereinigung niemals hätte abgeben können. Für Jörg Uhle-Wettler ist die Wende vor 35 Jahren damals ein Ereignis von großer Dringlichkeit. „Höchste Eisenbahn. Die DDR wäre zu einer Mondlandschaft verkommen.

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Schorlemmer hat schon sehr treffend gesagt: Wo Häuser verkommen, verkommen auch Menschen.“ Ein Schicksal, dem Magdeburg erfolgreich entgangen ist. „Sauber, schön und vor allem grün. Als ich vor neun Jahren meine Stelle im Dom angetreten bin, da war das wie heimkommen. Es ist viel passiert und es wird noch mehr passieren. Wenn meine Zeit im Dom rum ist, muss ich gucken, was kommt. Bis dahin fließt aber noch reichlich Wasser die Elbe hinunter.“