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Erinnerungen Häuslebauer im Sozialismus: Ein Kraftakt

In der DDR ein Eigenheim zu bauen, war ein Abenteuer, gepaart mit Geduld, Organisationstalent und viel Fleiß. Zwei Magdeburger erzählen:

Von Peter Ließmann 02.06.2019, 01:01

Magdeburg l Der Titel des Buchs verrät bereits, was der Magdeburger Reinhard Spindler im Sinn hatte, als er seine Erinnerungen und die seiner Frau Annelie aufgeschrieben hat: „Eigenheim und Planwirtschaft in Zeiten des Sozialismus“. Es sind im Grunde zwei Bücher, die Spindler zu einem verschmolzen hat. Das eine erzählt davon, wie sich ein junges Paar in der DDR den Traum vom Eigenheim erfüllt. Das andere berichtet vom Arbeitsalltag eines Ingenieurs in der Planwirtschaft des real existierenden Sozialismus.

„Ich bin kein Nostalgiker, ich wollte davon berichten, wie das Leben von ganz normalen DDR-Bürgern ausgesehen hat“, sagt Reinhard Spindler beim Treffen in seinem Eigenheim im Magdeburger Hopfengarten - mit viel Liebe eingerichtet und mit einem prächtige Garten.

Eigentlich sollte es nur eine größere Wohnung sein, das hat aber nicht geklappt. Annelie Spindler ist geborene Magdeburgerin, Reinhard, Jahrgang 1945, stammt aus Oberlungwitz in Sachsen. Das Maschinenbaustudium hat ihn nach Magdeburg verschlagen. An der Hochschule lernt er seine Frau kennen, die dort ebenfalls studiert.

Es wird geheiratet, Nachwuchs stellt sich ein. 1974 entschließt sich das junge Paar dann, ein eigenes Haus zu bauen. „Das musste man wirklich wollen und wir waren uns im Klaren darüber, dass es eine riesige Aufgabe werden wird“, erinnert sich Reinhard Spindler.

Das Grundstück konnte nach einigem Suchen „von privat“ gekauft werden, eine alte Dame bot ihr Gartengrundstück in der Lärchenstraße an - wobei es der Begriff Straße zu dieser Zeit nicht so ganz trifft, wie Fotos der Spindlers zeigen. Es ist ein Feldweg, der bei Regen im Matsch versinkt.

Als Nächstes folgt ein Bauantrag beim Wohnungsamt. „Dem mussten übrigens die Polizei und der Betrieb, in dem man arbeitet, zustimmen“, sagt Reinhard Spindler. Bei ihm läuft alles reibungslos und er darf ein Haus vom Standardtyp „E 4 S/72“ bauen. „Das war uns aber zu klein. Für das um einen Meter längere E 5 S/72 hätten wir aber zwei Kinder haben müssen“, erzählt Annelie Spindler.

Die Sachbearbeiterin im Wohnungsamt schüttelt erst mit dem Kopf, stellt dann aber die vielsagende Frage, ob denn vielleicht die Schwiegereltern mit einziehen würden. „Wir haben sofort verstanden und natürlich ja gesagt.“ Somit durfte es dann doch das größere E5S/72 sein.

Dabei wird für das Häuschen haargenau festgelegt, wie viel Baumaterial in den einzelnen Gewerken verwendet werden darf und auch nur genehmigt wird. „Und wir mussten uns verpflichten, das Haus komplett in Eigenleistung zu bauen, und erklären, dass wir das auch können“, sagt Reinhard Spindler.

In seinem Buch berichtet er detailreich, anschaulich und auch mit einer Prise Humor, wie sie dann vier Jahre lang gebaut und vor allem auch Material beschafft haben. „Man musste immer am Ball bleiben, viel rumkommen und auch viele Leute kennen.“ Etwa, wenn es darum ging, Wandfliesen (genehmigt waren 14 Quadratmeter, nötig aber rund 40 Quadratmeter) zu bekommen. Oder einen Betonmischer. Den konnte Reinhard Spindler auf einer seiner Dienstreisen ergattern - leihweise natürlich.

Es kam auch vor, dass Material geliefert wurde, das noch gar nicht verbaut werden konnte, zum Beispiel die Wohnungstüren vor dem Beton für das Fundament. Auch Sand zu bekommen, war nicht einfach. Dabei war das Problem nicht der Sand selbst, sondern einen Betrieb zu finden, der noch Transportkapazitäten hatte. Größere Heizkörper kamen aus einem Betrieb, wo sie „überzählig“ waren. Die Wunschküche musste in der Hauptstadt (Berlin) besorgt werden, dort, wo es immer ein größeres Angebot gab als in den übrigen DDR-Bezirken.

Neben dem Bauprojekt ging das normale berufliche Leben weiter. Reinhard Spindler fängt beim Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung (ASMW) an, eine Art TÜV, nur mit politischem Auftrag. Und auch dort lernt er, mit der DDR-Planwirtschaft, falschen politischen Entscheidungen, Mangelwirtschaft und dem Wirtschaftsembargo des Westens zu kämpfen.

Er bekommt einen tiefen Einblick in viele Betriebe der DDR, und im Laufe der Jahre schwant ihm, dass die Wirtschaft der DDR zum Untergang verurteilt ist. „Aber die Menschen haben sich in diesem Land eingerichtet und haben an ihrer Zukunft gebaut und privat und beruflich viel geleistet.“ Das will Reinhard Spindler in seinem Buch deutlich machen und erzählen - aus seiner ganz eigenen Sicht.

Nach fünf Jahren Bauzeit konnten die Spindlers 1982 in ihr erkämpftes und selbst gebautes Eigenheim einziehen. Viele Ehen sind am Projekt „Eigenheim“ in der DDR kaputt gegangen, zu groß und zu kräftezehrend waren die Anstrengungen. Annelie und Reinhard Schindler haben zusammengehalten für ihren Traum - und wohnen noch heute in ihrem E 5 S/72.