Naturschutz Experte erklärt: So gefährdet sind die Vögel in Magdeburg
Der Ökologe Ernst Paul Dörfler spricht über den Artenschutz der Vögel. Er klärt darüber auf, welche wirklich gefährdet sind. Wie wir helfen können und was jeder Einzelne tun kann.
Magdeburg. - Etwa 13 Prozent der weltweit bekannten Vogelarten gelten laut der International Union for Conservation of Nature (IUCN) als bedroht. Das entspricht über 1.300 Arten, die entweder als gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht eingestuft werden.
Anlässlich des Tages des Artenschutzes im März hat Volksstimme-Praktikantin Madlen Wille mit dem Ökologen Ernst Paul Dörfler über den Klimawandel und dessen Folgen sowie den Artenschutz der Vögel in der Region gesprochen.
Volksstimme: Was sind die Themen, die derzeit in unserer Region brennen?
Ernst Paul Dörfler: Aktuell sind das das Artensterben, die biologische Vielfalt und der Klimaschutz. Extremsituationen in unserer Umwelt nehmen immer mehr zu, und die Jahreszeiten ändern sich. Es gibt extreme Schwankungen, und wir haben keinen Winter mehr: Februar war tiefster Winter in meiner Kindheit und jetzt treiben schon pralle Knospen an Bäumen. Vieles blüht schon in meinem Garten.
Diese Entwicklung des Klimas hat vielfältige Auswirkungen. Mit steigender Temperatur verlässt immer mehr Wasser die Erde und geht in die Atmosphäre über. Wir hatten jetzt zwar mal eine nasse Periode, aber wir sollten uns nicht einbilden, dass jetzt nach den trockenen Jahren alles wieder in Ordnung ist. Die ganzen extremen Entwicklungen waren für mich schon vor Jahrzehnten klar. Auch die Politik wusste es, hat es aber nicht ernst genommen.
Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung des Klimas auf die Vogelpopulationen in unserer Region?
Das Hauptproblem ist die weiträumige Austrocknung unserer Landschaft. Die Vögel haben nicht mehr genug Wasser. Wasser bietet vielen Arten Schutz und Nahrungsquellen zugleich. Amseln und Meisen sind Kulturfolger, um die wir uns eigentlich nicht kümmern müssen. Es geht vorrangig um Vögel aus Feuchtgebieten, die besonders gefährdet sind, weil sie eben keine stabile Landschaft mit Wasser zum Überleben haben.
Welche Vogelarten sind derzeit in unserer Region besonders aktiv und häufig anzutreffen?
Dazu zählen in erster Linie die Amseln und Meisen, wie Blau- und Kohlmeise. Die Spatzen bereiten sich schon auf die Paarung vor. Die Finken und Drosseln kommen auch so langsam in Gang. Typisch für die Stadt sind die Stadttauben als Felsenbrüter und die Ringeltauben, welche auf Bäumen brüten. Auch Gänse feiern schon Hochzeit. Wasservögel wie Schwimm- und Tauchenten sowie Rallen sind aktiv bei der Partnerwahl. Im März ist übrigens Entenzug, den man besonders gut auf den Gewässern nördlich von Magdeburg beobachten kann.
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Konnten Sie Auffälligkeiten feststellen?
Es gibt immer weniger Kraniche, die in den Süden ziehen. Warum soll man denn auch eine Flugreise antreten, wenn es gar nicht nötig ist, weil man hier gut leben kann? Wir haben keinen meterhohen Schnee mehr. Es gibt also auch etwas Erfreuliches: Es geht nicht alles zurück. So hat neben den Kranichen auch die Zahl der Adler zugenommen. Außerdem bekommen wir die Großtrappen wieder zurück, welche nach dem Verschwinden wieder im Zerbster Raum angesiedelt werden.
Ich hoffe, dass sie eine stabile neue Population aufbauen. Im vergangenen Sommer habe ich außerdem in Magdeburg hoch über dem Domfelsen einen Schwarm von Bienenfressern beobachten können. Das ist ein Vogel, der von der Erwärmung profitiert. Dieser bunte Vogel zeichnet sich durch die Farben gelb, blau und braun aus. Er mag übrigens die Elbauen besonders, da es dort viele Fluginsekten gibt.
Kümmern wir uns um die Vögel, kümmern wir uns um uns selbst.
Ernst Paul Dörfler
Welche Bedeutung haben diese Vögel für das ökologische Gleichgewicht unserer Umgebung?
Ein Vogel hat mehrere Aufgaben und Funktionen, die er erfüllen muss. Dazu gehört zum Beispiel vor allem die Dezimierung von Insektenmassenentwicklungen. Es gibt in Mitteleuropa 30.000 Insektenarten. Durch das allgemeine Insektensterben nimmt in der Summe die Biomasse der Vögel ab. Doch dieses Insektensterben umfasst nicht alle Arten. Vor allem anspruchslose und robuste Arten vermehren sich fröhlich weiter. Dazu zählen zum Beispiel Blattläuse oder andere Obstschädlinge in unseren Gärten. Unsere Meisen gehören zu deren fleißigen Vertilgern.
Wie können wir die Lebensbedingungen der Vögel verbessern?
Wir können durch unser Verhalten die Lebensbedingungen der Vögel verbessern. Das Füttern von Amseln, Meisen und Spatzen nutzt für den Artenschutz kaum etwas. Diese Arten sind zwar geschützt, aber in ihrem Fortbestand nicht bedroht. Statt Unmengen von Vogelfutter zu kaufen, sollte man lieber dieses Geld nutzen, um Bio-Lebensmittel zu kaufen.
Die wirklich bedrohten Vögel leben auf Feldern, Wiesen und in Feuchtgebieten. Dazu gehören unter anderem Feldlerche, Braunkehlchen, Goldammer, Kiebitz, Rebhuhn, Turteltaube, Brachvogel und Uferschnepfe. Wenn wir diesen Vogelarten helfen wollen, können wir dies am besten tun, indem wir eine giftfreie Landwirtschaft durch den Kauf von Bioprodukten unterstützen. Das Mitwirken in Naturschutzorganisationen, das Spenden an Naturschutzverbände, die Unterstützung von Moorschutzprojekten und Umweltverbänden sind weitere Möglichkeiten.
Außerdem sollte man seltener Grünflächen mähen und stattdessen die Pflanzen blühen lassen. Das Laub liegen lassen hilft den Vögeln, darunter Futter zu finden. Auch kann man für Höhlenbrüter Nistkästen anbringen – nicht nur im Garten, sondern auch in der Landschaft. Viele Vögel leiden unter Wohnungsnot, weil in unseren Landschaften alte höhlenreiche Bäume fehlen.
Besonders hilfreich ist das Zulassen von Wildnis. Oft genügen schon wenige Quadratmeter, um den Vögeln Nahrung, Schutz und Nistmöglichkeiten zu bieten. Dichte Hecken, Laubhaufen, Reisighaufen sind eine Einladung an unsere Vögel zum Niederlassen.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie persönlich, um die Umwelt zu schützen und zu erhalten?
Ich persönlich überlege, bei allem, was ich tue, wie es unsere Naturräume und die biologische Vielfalt beeinflusst. Ich suche Lösungen im Alltag, um möglichst wenig Natur, Umwelt und Klima zu schädigen. Es sind viele kleine Beispiele, die man in ihrer Gesamtheit sehen muss: so viele Ressourcen wie möglich einsparen und wenig verbrauchen.
Der Arten- und Naturschutz sind unsere Lebensversicherung.
Ernst Paul Dörfler
Unser Konsum ist der Hauptgrund, warum es Natur, Klima und Umwelt schlecht geht. Denn jeder Konsum bedeutet Energie- und Rohstoffverbrauch. Ich plädiere für die Reduktion des überflüssigen Konsums, also weniger Waren kaufen, die sehr schnell im Müll landen. Alles, was wir nicht kaufen, muss nicht produziert werden – das schont die Natur, die Umwelt, das Klima und meist auch unsere Gesundheit. Außerdem können wir auf einfachste Weise Geld sparen und ein entspannteres Leben führen. Es geht darum, das gesunde Maß zu finden.
Gibt es Projekte, an denen Sie sich beteiligen?
Derzeit geht es mir vor allem um die Verbesserung des Landschaftswasserhaushalts. Wir hatten viele Trockenjahre, der Grundwasserspiegel sinkt und immer mehr Bäume sterben mit den steigenden Temperaturen. In der Vergangenheit wurden unsere Landschaften bis auf den letzten Quadratmeter entwässert. Die Folge: In Dürrezeiten sinken die Grundwasserstände. Das kann man auch wieder umkehren, indem man den Wasserabfluss über die Entwässerungsgräben reduziert und Wasser für Trockenzeiten zurückhält. Der Boden selbst ist der beste Wasserspeicher.
Weitere Projekte sind die Elbauen bei Steckby. Durch den Bau von Sohlschwellen wird der Wasserabfluss gebremst und damit der Grundwasserspiegel angehoben. So kann der Wassernotstand behoben werden. Davon kann zum Beispiel der Kiebitz profitieren.
Wozu ist denn nun überhaupt Artenschutz wichtig?
Der Arten- und Naturschutz sind unsere Lebensversicherung. Wir können ohne die intakte Natur, die uns nicht nur Nahrung, Wasser und Sauerstoff liefert, sondern auch Freude schenkt, nicht leben. So, wie wir in andere Versicherungen einzahlen, müssen wir einzahlen in Naturschutz. Mit dem Verschwinden der Arten verschwindet auch die Stabilität unserer Ökosysteme.
Am 18. März erscheint Ihr neues Buch. Welchen Titel trägt es und worum geht es genau?
Der Titel lautet „Das Liebesleben der Vögel“. Das Buch zeigt die vielfältigen Beziehungsmuster bei Vögeln und ihre Parallelen zum menschlichen Verhalten, von treuen Bindungen bis hin zu unkonventionellen Beziehungskonzepten. Mit humorvollen Anekdoten und wissenschaftlichen Erkenntnissen lädt das Buch dazu ein, die Natur mit neuen Augen zu sehen und das faszinierende Liebesleben der Vögel zu erkunden.
Aber es zeigt auch eine neue Erkenntnis: Mit dem Klimawandel ändern sich die Paarbeziehungen – das Treueverhalten schwindet. Doch nicht nur die Treue, auch die Zahl der Vögel schwindet. Daher lautet meine Botschaft: Kümmern wir uns um die Vögel, kümmern wir uns um uns selbst! Die erlebte Vogelvielfalt beeinflusst nachweislich unser alltägliches Glücksempfinden und verschafft uns positive Emotionen. Nur was er liebt und was er kennt, schützt der Mensch.
Zur Person: Ernst Paul Dörfler
Der 73-jährige Ernst Paul Dörfler hat Chemie und Technologie in Magdeburg studiert. Danach hat er promoviert und ist nach Berlin gegangen, wo er in der Mikroelektronik gearbeitet hat und anschließend im Umwelt- und Gewässerschutz tätig war. Letzteres war für ihn der Moment, wo er begriffen habe, dass er es mit der Natur zu tun haben möchte. Er habe erkannt, dass es da viel zu tun gibt. Daher ist er schon seit Jahrzehnten auf den Gebieten des Natur-, Klima- und Umweltschutzes tätig.
Er möchte Wissen sammeln und vermitteln. Dafür biete sich für ihn am besten das Medium Buch an. Seine Publikationen sind unter anderem „Zurück zur Natur?“ (1986), „Zwischen Flucht und Anpassung“ (1989), „Neue Lebensräume“ (1990), „Wunder der Elbe – Biografie eines Flusses“ (2000/2013), „Biosphärenreservat Mittelelbe“ (Reiseführer, 2014) und „Die Elbe“ (Reiseführer, 2016).
Sein neues Buch „Das Liebesleben der Vögel“ stellt Ernst Paul Dörfler am Mittwoch, 27. März, 19 Uhr, in der Magdeburger Stadtbibliothek vor. Der Vogelexperte eröffnet die Beziehungswelt von über fünfzig heimischen Vogelarten und gibt Einblicke, die man sonst nirgends findet. So leben Vögel weit weniger monogam, als häufig angenommen, und der Klimawandel verstärkt diese Tendenz sogar noch.