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Kunst und Inklusion Gehörige Portion Theater in Magdeburg

Im Magdeburger Gesellschaftshaus probt wöchentlich die Theatergruppe Handwerk. Die Mitglieder sind Gehörlose und Hörende.

Von Christina Bendigs 11.06.2018, 01:01

Magdeburg l Es war ein Workshop zum Thema Teilhabe, der alles ins Rollen brachte: Ins Salzlandtheater in Staßfurt kamen zu diesem Anlass Gehörlose, die meinten, sie würden gern auch einmal ins Theater gehen. Doch ein entsprechendes Angebot gibt es für sie nicht. Für die Theaterpädagogin und Dramaturgin Sandy Gärtner war klar: Dann machen wir das allein. Seit 2015 gibt es nun die Theatergruppe, in der Gehörlose und Hörende gemeinsam Theater spielen. Bislang haben sie kleinere Rollen übernommen und zum Beispiel in der Faust-Inszenierung der Magdeburger Kammerspiele die Hexen gespielt.

Doch nun arbeiten sie an ihrem ersten eigenen Stück: einer Krimikomödie angelehnt an den Spielfilm „Arsen und Spitzenhäubchen“. Die ersten Szenen sind bereits fertig und wurden auch schon vor Publikum gespielt. Die große Freude: Das Konzept geht auf. Sowohl Hörende als auch Gehörlose können dem Stück folgen. Bis zur Premiere ist allerdings noch viel zu tun. Und das Einstudieren nimmt viel Zeit in Anspruch. Wichtig ist für alle, dass das Timing stimmt. Dass jeder genau weiß, wann er was zu tun hat. Das ist nicht immer einfach, wenn Gehörlose und Hörende miteinander proben. Aber es klappt.

Wöchentlich kommen die Laiendarsteller zu den Proben ins Gesellschaftshaus in Magdeburg. Und das aus fast ganz Sachsen-Anhalt. Altmärker sind ebenso dabei wie Leute aus Magdeburg, dem Jerichower Land, dem Salzlandkreis und der Börde. Es zeigt, wie wichtig den Menschen die Theatergruppe ist. Schließlich nehmen sie dafür auch lange Fahrtwege auf sich.werden Leute gebraucht, sondern auch hinter den Kulissen.

Damit sie künftig auch Spenden sammeln können, ist die Gründung eines Vereins geplant. Wer mitmachen möchte, ist bei der Theatergruppe herzlich willkommen, nicht nur auf der Bühne.

Zu der Gruppe gehört Martina Soppa. Sie hat schon immer davon geträumt, Theater zu spielen, zum Beispiel als Pantomimin. Im vorigen Jahr bekam sie dann das Angebot, im Gehörlosentheater Handwerk, wie sich die Gruppe nennt, mitzumachen. „Anfangs war ich sehr aufgeregt“, erzählt sie. Aber das hat sich von Mal zu Mal gegeben. Normalerweise ist sie eine sehr liebe, freundliche Person, sagt sie. In dem neuen Stück spielt sie nun eine Verbrecherin. Das sei gar nicht so einfach, erzählt sie. Sandy Gärtner habe sich aber bewusst dafür entschieden, dass die Laiendarsteller Rollen spielen, die nicht so nah an ihrer eigenen Persönlichkeit liegen. Denn auf diese Weise müssen sie wirklich schauspielen und dafür auch in andere Charaktere schlüpfen.

Die regelmäßigen Proben sind für Martina Soppa immer besonders schöne Tage. Neben dem Beruf engagiert sie sich auch noch in der Kirchengemeinde in ihrem Heimatdorf. Ihr Mann, der nicht gehörlos ist, spielt inzwischen auch mit in der Gruppe. Er stellt die Leiche dar. Ihre Tochter und Enkel seien sprachlos gewesen, als sie von ihrem Engagement hörten und sind stolz darauf.

Undine Wiesemöller genießt die Proben ebenso. „Die Gruppe ist schön, und Sandy ist gut und es ist immer lustig“, erzählt sie. Sie sei schon immer sehr selbstbewusst gewesen. Auf der Bühne kommt ihr dieses Selbstbewusstsein nun auch zugute. Auch sie spielt eine der Tanten. Und sie freut sich bereits auf neue Aufgaben in der Theatergruppe.

Jürgen Schade hat in seiner Schulzeit schon in einer Theatergruppe mitgespielt, war zudem viel im Sport unterwegs. Unter anderem ist er Vorstand im Gehörlosen Sportverein Magdeburg. Dann hat er von der neuen Theatergruppe gehört und wollte unbedingt mitmachen. Für ihn ist es „eine gute Möglichkeit zu zeigen, dass Gehörlose Teil der Gesellschaft sind“. Oft werde für sie nicht mitgedacht und sie stünden vor Schwierigkeiten. Das finge bei den grundsätzlichsten Sachen wie dem Notruf an. SMS und Whatsapp seien ein echter Gewinn für Hörlose.

Aber in vielen anderen Bereichen sind sie etwa in puncto Nachrichten ausgegrenzt und treffen völlig unvorbereitet auf die Welt, weil Informationsketten einfach nicht bis zu ihnen gelangen. Unter anderem hatte der Fall einer Jugendweihe-Feier in Magdeburg jetzt für Aufsehen gesorgt, als die Gebärdendolmetscherin nicht auf die Bühne durfte. In Seniorenheimen seien sie oft isoliert und erlebten dadurch auch eine geistige Verarmung. Und so zieht sich das durch viele Bereiche der Gesellschaft. Hinzu kommt, dass es aufgrund fortschreitender medizintechnischer Entwicklungen in Zukunft immer weniger Gehörlose geben wird.

Doch jammern wollen die Mitglieder der Theatergruppe nicht. Sie würden sich einfach wünschen, dass sie von vornherein mehr Berücksichtigung finden würden. In ihrer Theatergruppe klappt das gut – und spätestens bei ihrem ersten großen Auftritt mit einem eigenen Stück dürfte die Aufmerksamkeit noch einmal deutlich auf sie gelenkt werden. Bis dahin heißt es: Üben, üben, üben.

Übrigens: Es gibt auch positive Entwicklungen. Das reicht vom Gebärdendolmetschen fürs Sandmännchen bis hin zum Einsatz von Profis, die als Gebärdendolmetscher die Kommunikation mit anderen Menschen erleichtern.