1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Kultur: Horizonte: Wie Tänzer im Magdeburger Schauspielhaus begeistern

Kultur Horizonte: Wie Tänzer im Magdeburger Schauspielhaus begeistern

Mit „Horizonte“ sind zwei Tanzstücke von Georg Reischl und Gaj Žmavc überschrieben, die auf Anregung von Ballettdirektor Jörg Mannes im Magdeburger Schauspielhaus am 23. März 2024 uraufgeführt wurden.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 25.03.2024, 06:15
„More Passion – more Footwork“ beim Tanzabend „Horizonte“ mit dem Ballett des Theaters Magdeburg im Schauspielhaus.
„More Passion – more Footwork“ beim Tanzabend „Horizonte“ mit dem Ballett des Theaters Magdeburg im Schauspielhaus. Foto: Ida Zenna/TM

Magdeburg. - Es bleibt wohl das Geheimnis von Ballettdirektor Jörg Mannes, ob es ihm ursprünglich um neue Auffassungen und Umsetzungen zu modernem Ballett ging, also den (Tanz-)Horizont zu erweitern, oder um die komplexe philosophische Auseinandersetzung zum Thema Horizont mit Mitteln des Tanzes.

Letztlich ist beides gelungen bei der Premiere, denn die Choreographen griffen mit sehr verschiedenen Arbeitsweisen und Ästhetiken und mit intensivem Einbeziehen der Tänzerinnen und Tänzer das Thema auf, gestalteten sehr frei und unkonventionell einen Ballettabend der Sonderklasse. Einen großen Anteil daran hatte die absolut minimalistische, aber inhaltlich bemerkenswert unterstützende Bühnengestaltung für beide Stücke von Matic Kasnik.

Mehr Leidenschaft, mehr Fußarbeit

Den Abend eröffnete Gaj Žmavc mit seiner Choreographie „More Passion, more Footwork“, was übersetzt so viel wie „Mehr Leidenschaft, mehr Fußarbeit“ heißt und unter Tänzern eher als bitterer Witz nach völliger Trainingserschöpfung gilt. Aber der Choreograph nahm diesen Witz ernst und forderte den 14 Mitgliedern der Compagnie in der Tat eine enorme tänzerische Leistung ab. Als scherenschnittartige Schatten erscheinen sie als Gruppe im roten Gegenlicht auf der Bühne, um dann schrittweise als Menschen beleuchtet mit unglaublicher Präzision harte, kantige Bewegungen auszuführen, die an eine gleichgeschaltete menschliche Gesellschaft erinnern.

Doch immer wieder lösen sich Paare oder einzelne Tänzer aus der Gruppe, symbolhaft für die Individualität, die aber sofort wieder eingefangen werden. Mit den Ausdrucksmitteln des Tanzes werden hier die Grenzen des Lösens aus dem gesellschaftlichen Druck der Konformität aufgezeigt. Immer mehr, immer besser, immer schneller. Genau darum geht es bei „Mehr Leidenschaft und mehr Fußarbeit“.

Mehr Raum fürs Leben

Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Musik, die Gaj Žmavc selbst kreiert hat, und zwar nach seiner Choreographie, nicht umgekehrt, wie allgemein üblich. Sie besteht fast ausschließlich aus gleichbleibenden Rhythmen, harten Beats, die den kantigen Bewegungen die Prägung geben. Doch dann, völlig unerwartet, ein fast klassisches Pas de Deux von Joshua Hunt und Anastasiya Kuzina voller Harmonien, das allerdings sehr schnell eingefangen wird. Ein ganz anderes Bild hinterlässt die Choreographie von Georg Reischl „Forgotten Horizon“. Hier wird die philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema Horizont auch durch die Bühnengestaltung direkt ausgedrückt. Ein weißes Band, bestehend aus vielen Gummibandsträngen, trennt die Bühnenfläche, bildet eine Grenze.

Doch ein Horizont ist nur eine virtuelle Grenze. Man kann ihn erweitern, er bewegt sich ins Unendliche, je mehr man sich ihm nähert. Genau das tun die Tänzerinnen und Tänzer, indem sie das Band verschieben, es unterlaufen oder überspringen. Durch das Auseinanderziehen der einzelnen Bänder bilden sie neue Räume, dreidimensional, größer oder kleiner, dreieckig oder als Quadrat. Und jeder Raum ist gleichzeitig Platz für tänzerischen Ausdruck, obwohl sein Übertreten oder Verlassen registriert und eventuell auch verhindert wird.

Für Georg Reischl geht es nach eigenem Bekunden in seiner Tanzsprache in diesem Stück nicht um Synchronität, sondern um individuelle Entscheidungen innerhalb eines sozialen Systems. Immer wieder die Horizonte, und damit die Grenzen der Wahrnehmung, zu verschieben, neu zu ordnen, ist Ausdruck des Lebens.

Warum das Publikum feiert

Inspiriert hat Reischl ein Dali-Gemälde von 1937 mit dem Titel „Forgotten Horizon“. Den Choreographen faszinierte die absolute Abstraktion Dalis, der die Realität auch durch das Hinzufügen von unrealen Dingen unwirklich machte, aber Menschen träumen ließ. Genau das ist auch ein Anliegen der Tanzsprache Reischls. Sie lässt Raum, klassische Elemente mit modernem Tanz zu verbinden und auch Improvisation zu ermöglichen. Einen Raum, den die 14 Tänzerinnen und Tänzer der Magdeburger Compagnie bestens mit Leidenschaft, Präzision und Enthusiasmus genutzt haben. Auch dadurch ist ein Ballettabend entstanden, der den Horizont der Möglichkeiten des modernen Tanzes deutlich erweitert haben dürfte.

Die höchst unterschiedlichen choreographischen Handschriften zu einem Thema wurden ein Riesenerfolg, und das Publikum feierte die Mitglieder der Ballettcompagnie und die Choreographen mit minutenlangen Ovationen.

Man darf auf die weiteren Ideen von Ballettdirektor Mannes gespannt sein.