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Magdeburger 2020 Das Träumchen vom eigenen Theater

Die Gründung der Magdeburger Kammerspiele war ein Wagnis. Doch es hat funktioniert. Mehr als 65.000 Besucher kamen in die Vorstellungen.

Von Christina Bendigs 04.12.2020, 00:01

Magdeburg l Es sind Zahlen, die beeindrucken und eine Magdeburger Erfolgsgeschichte unterstreichen: Mehr als 65.000??Zuschauer haben die Kammerspiele seit ihrer Gründung im Jahr 2014 bei ihren Vorstellungen an diversen Spielorten der Stadt verbuchen können und mit rund 100??Vorstellungen pro Spielzeit die Kulturlandschaft in Magdeburg maßgeblich bereichert. Dabei war es ein Wagnis, als Susanne Bard und Michael Günther Bard nach Stationen in der Schweiz und in Wiesbaden entschieden, in die sachsen-anhaltische Landeshauptstadt zurückzukehren. „In Wiesbaden stand ein Intendanten-Wechsel bevor. Damals haben wir überlegt: Wollen wir bleiben oder uns vielleicht noch ein Träumchen erfüllen“, erzählt Schauspieler Michael Günther Bard. Wenn nicht jetzt, wann dann, dachten sie sich, und hätten in keiner anderen Stadt als Magdeburg den Schritt in die Selbstständigkeit riskiert. Aus dem Träumchen vom eigenen Theater ist inzwischen eine Institution geworden, die aus der Kulturlandschaft der Domstadt an der Elbe nicht mehr wegzudenken ist.
Nicht nur das Herzstück der Kammerspiele, sondern auch eine Herzensangelegenheit aller Beteiligten sind nach wie vor die Inszenierungen der Theater-Serie „Olvenstedt probiert‘s“. Geboren in den Freien Kammerspielen hat die Serie längst Kult-Status erreicht und ist in ihrer Machart einmalig in Deutschland. „Nirgendwo sonst spielen so gute Profi-Schauspieler so schlechte Laiendarsteller“, sagt Autor Dirk Heidicke, der die Folgen schreibt und mit Humor, Klamauk und jeder Menge Lokalkolorit würzt. Wahrscheinlich war genau das der Grund, warum die Fan-Gemeinschaft der Kult-Serie 2003 den Verein Kult e.?V. gründete, um das Projekt auch nach der Schließung der Freien Kammerspiele am Leben zu erhalten. Den organisatorischen Aufwand nahmen die Beteiligten, die aus vielen Teilen Deutschlands dazu nach Magdeburg kamen, gern auf sich, stimmten Ferien und Spielzeitpausen ab, um Zeiträume zu finden, in denen die Sommerfolge produziert werden konnte.
Die Zeit ab 2003 mitgerechnet, hat das Team um Susanne Bard, Michael Günther Bard, Dirk Heidicke und Bühnenbildnerin Meyke Schirmer inzwischen 43??Inszenierungen auf die Bühne gebracht, darunter 36 Uraufführungen, alle hat Dirk Heidicke zu Papier gebracht. Susanne Bard und Michael Günther Bard blieben Magdeburg verbunden und wussten um ein treues Publikum, als sie zurückkehrten. Für Michael Günther Bard ist die Ottostadt längst zur Heimat geworden, sagt er.
Den Namen Magdeburgs tragen die Kammerspiele mit Gastspielen auch in die Welt hinaus. 145 Gastspiele gehen auf ihr Konto, allein 46 in Berlin und Hamburg. Dass das Hamburger Abendblatt zur Inszenierung „Enigma“ schrieb, dass die Produktion immer ein guter Grund sei, einmal nach Magdeburg zu schauen, macht Michael Günther Bard bis heute stolz.
Mit „Das Glück des Gauklers“ brachten die Kammerspiele 2017 weltweit das erste Telemann-Stück auf die Bühne. „Wir wurden gefragt, ob wir das machen wollen, und haben kein Stück gefunden“, erzählt Susanne Bard. Wie praktisch, einen Hausautor zu haben, der einem dann ein Stück auf den Leib schreiben kann.
Immer wieder holen die Kammerspiele auch deutsche Schauspielgrößen nach Magdeburg: Manon Straché etwa, die vielen aus der Lindenstraße bekannt sein dürfte, Jörg Schüttauf, der als Tatort-Kommissar Bekanntheit erlangte, oder Christian Friedel, der es mit „Das weiße Band“ bis zu den Oscars geschafft hat.
Die Kammerspiele sind auch Arbeitgeber, bringen andere Schauspieler, die als Gäste engagiert werden, in Lohn und Brot. In Zukunft wird das wohl noch eine größere Rolle spielen. Denn nach Jahren der geborgten Bühnen im Forum Gestaltung, in der Feuerwache Sudenburg, dem Ravelin??2 und anderen Spielstätten wird den Kammerspielen künftig ein eigenes Haus zur Verfügung stehen – ein weiterer Meilenstein in der Erfolgsgeschichte des Theaters ohne eigene Bühne. Denn ein Bauunternehmer will die noch zu errichtende Spielstätte im Bereich des Elbbahnhofs zur Verfügung stellen. „Dann werden wir wahrscheinlich auch ein festes Ensemble brauchen“, sagt Michael Günther Bard in die Zukunft blickend und freut sich über jeden professionellen Schauspieler, der sich in Magdeburg in die Freiberuflichkeit wagt. Nach einer eigenen Spielstätte hatten die Kammerspiele schon einmal Ausschau gehalten. Am Ende seien zwei dafür und zwei dagegen gewesen und so wurde das Vorhaben eines eigenen Hauses auf Eis gelegt.
Es seien Förderer und Unterstützer, die die Kammerspiele nun durch die Corona-Krise tragen. Früher versuchten sich die Kammerspiele um Spender zu bemühen. Heute kämen sie von selbst und würden fragen, was möglich sei. Bis zuletzt hatten die Kammerspiele gehofft, dass auch die Winterfolge von „Olvenstedt probiert‘s“ auf die Bühne gebracht werden kann. Am 1. Dezember wäre Premiere gewesen. Der Corona-Lockdown kam dazwischen. Wer sich trotzdem ein wenig Kammerspiele in die Weihnachtszeit holen möchte, kann auf der Internetseite des Ensembles die Winterfolge 2018 anschauen. Den Lockdown nutzten die Schauspieler, um Film-Angebote anzunehmen, für die sonst keine Zeit ist.
Jetzt ist aber die Hoffnung groß, dass es im nächsten Jahr wieder auf die heimischen Bühnen geht und Beate Braune wieder sagt: „Ich moach mick moal de Hoaare.“
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