Magdeburger des Jahres 2025 Drei Helden an der Haltestelle: Sie halfen als alle wegsahen – und retten so ein Leben
Zum 34. Mal sucht die Volksstimme gemeinsam mit ihren Lesern die Magdeburger des Jahres. Im Mittelpunkt stehen engagierte Elbestädter. Zu den zehn Kandidatenvorschlägen gehören auch: Thomas Geisheimer, Dirk Kreutzer und René Syring, die handelten, als andere wegschauten.

Magdeburg. - Die Chancen, ein geplatztes Hirnaneurysma zu überleben, sind erschreckend gering. Die meisten Menschen brechen zusammen, bevor sie begreifen, was mit ihnen geschieht – und viele wachen nie wieder auf.
Franziska Lehmann (37) hat überlebt. Und das ohne bleibende Schäden. Weil Thomas Geisheimer, Dirk Kreutzer und René Syring nicht wegsahen, als sie bewusstlos am Boden lag. Weil sie handelten, während andere gleichgültig weitergingen. Weil sie taten, was in diesem Moment womöglich über Leben und Tod entschied.
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Der dramatische Moment: Zusammenbruch an der Haltestelle
Es war der 11. Dezember 2024, kurz nach halb zwölf. Franziska Lehmann wollte Beschwerden medizinisch abklären lassen. Sie hatte Rückenschmerzen, später Tinnitus. Eine Ursache konnte nicht festgestellt werden. Man empfahl ihr, die Nase zuzuhalten und gegenzupusten, um den Druck auszugleichen. Als sie das tat, spürte sie etwas Knacken, dachte sich nichts dabei und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Sie tippte noch eine Nachricht, dass sie sei gleich da – nichtsahnend, dass sie kurz darauf um ihr Leben kämpfen würde.
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Vor einer Werkstatt an der Haltestelle Südring brach sie zusammen. „Ich hatte plötzlich einen furchtbaren Schmerz, der vom Rücken in den Kopf zog“, erzählt sie. „Und in dem Moment wurde mir auch schon schwarz vor Augen.“ Sie erinnert sich noch daran, wie sie einer Frau zulächelte – „peinlich berührt, so nach dem Motto: oh Mist, ich fall jetzt um.“ Dann wurde alles dunkel.

Niemand reagiert – bis drei Männer handeln
Zur selben Zeit waren Thomas Geisheimer (54), Dirk Kreutzer (55) und René Syring (55) auf dem Weg zum alten Straßenbahndepot an der Halberstädter Straße. Die drei Fahrleitungsmonteure der Magdeburger Verkehrsbetriebe wollten gerade in die Mittagspause fahren, als sie bemerkten, dass auf der anderen Straßenseite etwas am Boden lag. Erst wirkte es wie ein Rucksack, dann erkannten sie: Es war ein Mensch. Obwohl viele Passanten unterwegs waren und sogar direkt daneben standen, reagierte niemand.
Fassungslos hielten die Männer ihren Wagen an, sprangen heraus und rannten über die Straße – hinein in eine Szene, die ihnen selbst den Atem nahm. Sie begannen sofort mit Erster Hilfe, unterstützt von einer Passantin. Einen Mann baten sie, den Notruf abzusetzen, holten aus umliegenden Geschäften Decken und Kissen und schützten Franziska Lehmann vor der eisigen Novemberkälte. Franziska Lehmann bekam davon nichts mit, sie war bewusstlos. Als sie kurz zu sich kam, konnte sie nicht sprechen. Sie hörte Stimmen, spürte Hände, Wärme – und wusste nur eines: Jemand war da. Jemand kümmerte sich.
„Ein erlösendes Zeichen, dass noch Leben in ihr ist.“
Thomas Geisheimer, Ersthelfer.
Die Männer redeten beruhigend auf sie ein, beobachteten jede Regung. „Wir wollten sie einfach bei Bewusstsein halten“, erklärt René Syring. „Immer wieder gesprochen, berührt, geguckt, ob etwas zurückkommt.“ Und tatsächlich kam irgendwann etwas zurück: ein Zucken, ein leichter Händedruck. „Ein erlösendes Zeichen, dass das Leben noch in ihr ist“, sagt Thomas Geisheimer. Ganz langsam kämpfte sich Franziska Lehmann wieder ins Bewusstsein. Sprechen konnte sie weiterhin nicht. „Ich hab’s versucht, aber es kam nur Gestammel raus“, erinnert sie sich. „Das war mir so peinlich. Ich dachte, die halten mich bestimmt für dumm.“

Die Minuten bis zum Eintreffen der Rettungskräfte fühlten sich für alle wie eine Ewigkeit an. Die Männer kämpften dabei nicht nur gegen ihre eigene Schockstarre, sondern auch gegen die Hilflosigkeit, nichts weiter tun zu können.
Als der Notarzt eintraf, stand sofort fest: Lebensgefahr. Jede Sekunde zählte. Die Profis vom Rettungsdienst übernahmen und brachten Franziska Lehmann ins Krankenhaus.
Der Schock sitzt tief – die Hände beginnen zu zittern
Als Dirk Kreutzer, Thomas Geisheimer und René Syring dem Krankenwagen hinterherblickten, spürten sie, wie viel Anspannung sich in ihren Körpern festgesetzt hatte. „Als wir wieder im Lkw saßen, begannen die Hände zu zittern. Die Gedanken ließen sich kaum ordnen“, sagt Dirk Kreutzer. „Ich habe noch nie jemanden derart die Augen verdrehen sehen.“ Ein Bild, das er lange nicht aus dem Kopf bekam.
Die Drei fuhren weiter ins Depot, doch das Geschehene fuhr mit. Es ließ sie nicht los – nicht am Tag, nicht in der Nacht. Immer wieder sahen sie die junge Frau vor sich, die sprechen wollte, aber nicht konnte. Ihren Körper, der gegen das Wegdriften ankämpfte. Die Passanten, die einfach weitergingen. Und die eigene Angst, in dieser Ausnahmesituation zu versagen – bei aller Gewissheit, dass Wegsehen keine Option war. Über allem schwebte nur eine Frage: Wie geht es ihr?
Jede Sekunde zählt – CT, Operation, Intensivstation
Während die Gedanken der drei Männer noch kreisten, lief im Krankenhaus alles im Eiltempo ab: CT, Diagnose geplatztes Aneurysma, sofortige Operation, Intensivstation. Schnell wurde klar, dass das schnelle Eingreifen der Ersthelfer Franziska Lehmann wertvolle Minuten geschenkt hatte.
Später sagte man ihr immer wieder, wie entscheidend diese Minuten waren. Wie sehr im Ernstfall jede Sekunde zählt. Und wie oft Menschen sterben – oder schwere Schäden davontragen –, weil Hilfe zu spät kommt.
Sie selbst trägt nichts davon. Keine Lähmung, keine Sprachstörung, keine Hirnschäden. Ihr Leben bleibt ihr – nicht zuletzt dank derer, die hingeschaut und gehandelt haben.
Die Kandidaten im Kurzportät:
- René Syring, 55, verheiratet, ein Stiefkind, Fahrleitungsmonteur bei den MVB
- Dirk Kreutzer, 55, verheiratet, einen Sohn, Fahrleitungsmonteur bei den MVB
- Thomas Geisheimer, 54, ledig, keine Kinder, Fahrleitungsmonteur bei den MVB
- Wir mögen an Magdeburg: Dass die Stadt offen und grün ist, sich modern und dynamisch entwickelt und dank ihrer überschaubaren Größe sowie einer lebendigen Sportkultur besonders lebensnah ist. Auch das starke ehrenamtliche Engagement, das es in Magdeburg gibt, tragt dazu bei
- Hier könnte Magdeburg noch besser werden: Ganz klar beim Verkehr. Der muss zwingend besser abgestimmt werden – von Baustellen über Brückenprojekte bis hin zur generellen Verkehrsführung. Außerdem wünschen wir uns mehr Sauberkeit, den Erhalt bestehender Grünflächen und einen sorgfältigeren Umgang mit Lückenbebauungen, denn nicht jede freie Fläche muss automatisch bebaut werden
- Magdeburg ist in zehn Jahren... hoffentlich eine weitgehend baustellenfreie Stadt mit einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur, weniger Leerstand und einem gepflegteren Stadtbild. Eine lebendige Kulturszene und erfolgreiche Sportvereine wie FCM und SCM sollen auch künftig das Stadtleben prägen