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Sex ohne Kondom möglich Nicht nur schwule Männer: Magdeburger HIV-Experte klärt Mythen auf

„HIV-positiv sind nur schwule Männer“, denken auch 2025 noch viele Menschen. Das ist jedoch falsch. Über die Erkrankung gibt es noch weitere Mythen und überraschende Fakten. Wie man die Krankheit bemerkt und wie ein (Sex)Leben mit HIV aussehen kann.

Von Lena Bellon 14.05.2025, 06:50
Marcus Schröder leitet das Referat Menschen mit HIV im Zentrum für sexuelle Gesundheit in Magdeburg.
Marcus Schröder leitet das Referat Menschen mit HIV im Zentrum für sexuelle Gesundheit in Magdeburg. Foto: Lena Bellon

Magdeburg - Über HIV-Erkrankte gibt es zahlreiche Behauptungen und Vorurteile. Betroffene werden bis heute mit Mythen aus den 1980er Jahren konfrontiert. In Deutschland lebten Ende 2023 rund 96.700 Menschen mit HIV, weltweit sind es 39,9 Millionen Menschen. HIV ist die Abkürzung für Humanes Immundefizienz (HI)-Virus. Mit Marcus Schröder sprach Volksstimme-Reporterin Lena Bellon über die Stigmatisierung von Betroffenen, welche Symptome die Erkrankung mit sich bringt und wie die Beratung in Magdeburg abläuft. Der 40-Jährige ist seit Juli 2024 der Leiter für das Referat für Menschen mit HIV im Zentrum für sexuelle Gesundheit. Das Zentrum gehört zur Aidshilfe Sachsen-Anhalt Nord.

Wer sind die Menschen, die den Weg zu Ihnen finden?

Es ist sehr gemischt. In meiner Beratung sind Menschen, die schon vor Jahren Ihre Diagnose bekommen haben und lange von uns begleitet werden. Aber natürlich auch Menschen, die gerade eine Erstdiagnose erhalten haben. Bei ihnen geht es in der Beratung zunächst um grundlegende Dinge und darum, wie ein Leben mit HIV aussehen kann. Wir führen hier Gespräche, begleiten die Menschen zu gemeinschaftlichen Gesprächen, zum Beispiel mit der Familie. Wir stehen auch bei möglichen Folgeproblemen zur Seite. Zum Beispiel wenn eine Schockstarre nach der Diagnose zur Arbeitslosigkeit führt.

Der Mythos, dass nur schwule Männer betroffen sind, hält sich hartnäckig. Aber wer sind tatsächlich die Betroffenen?

Es kann alle betreffen. Alle Altersklassen, alle Geschlechter und Menschen mit unterschiedlicher Sexualität. Also auch heterosexuelle Frauen zum Beispiel. Besonders bei Frauen über 40 Jahren dauert die Diagnose oft sehr lang. Sie werden einfach nicht darauf getestet, weil Ärzte davon ausgehen, dass eine ältere Frau oder gar Mutter zum Beispiel keine wechselnden Sexualpartner hat oder überhaupt ein Sexleben.

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Magdeburger klärt Mythen zu HIV auf

Welche Mythen über HIV halten sich besonders hartnäckig?

Dass es nur schwule Männe betrifft hält sich hartnäckig, das sprachen Sie schon an. Ich höre das auch noch häufig von jungen Menschen. Die größte Stigmatisierung findet allerdings im Gesundheitswesen statt. Betroffene berichten oft, dass Besuche zum Beispiel bei Zahnärzten sehr schwierig sind. Dort herrscht eine große Infektionsangst. Manche lehnen eine Behandlung gar ab. Das liegt oft an Unwissenheit. Da gibt es berichte über Arztpraxen, die HIV-Betroffene nur abends als letzte Patienten behandeln oder vorher alles mit Folie auslegen. In Patientenakten aus Papier wurde früher immer sichtbar für alle ein Sticker mit „HIV“ aufgeklebt. Das ist heute verboten und auch überhaupt nicht notwendig. Menschen mit HIV sind wie jeder andere Patient auch.

Die Medizin ist heute also sehr weit. Wie einfach oder schwer kann denn ein Leben mit HIV aussehen?

Es ist sehr gut behandelbar. Wer medikamentös gut eingestellt ist, kann ein ganz normales Leben leben. Es ist zwar eine chronische Erkrankung, aber ist viel eher eine psychische Belastung. Denn: Die vielen Mythen und Behauptungen aus den 1980er Jahren halten sich hartnäckig und machen Betroffenen teilweise das Leben schwer. Deswegen ist es für viele auch 2025 noch eine Schockdiagnose.

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So wirkt die HIV-Therapie

Was genau macht der HI Virus mit dem Körper und was machen dann die Medikamente?

Man hat im Körper eine Viruslast. Unbehandelt steigt diese Viruslast bei Betroffenen stark an. Dadurch wird das Immunsystem geschädigt. Tabletten können diese Viruslast unterdrücken. Sogar unter die Nachweisgrenze. Die Ansteckungsgefahr ist dadurch null. Vorausgesetzt die Person ist gut eingestellt. Als Regel hier gilt: Wenn das Virus nicht nachweisbar ist, ist es nicht ansteckbar. So können Betroffene auch ein ganz normales Sexualleben haben und sind nicht unbedingt auf das Kondom angewiesen. Diese antiretrovirale Therapie gibt es seit 1996.

Wenn es so gut behandelbar ist: Mit welchen Ängsten und Sorgen kommen die Menschen zu Ihnen?

Die großen Themen sind immer Angst, Schuld und Scham. Weil: In den meisten Fällen ist es über Sexualkontakt weitergegeben worden. Da noch immer ungern über Sexualität gesprochen wird, kommt da ein Schamgefühl bei vielen auf. Wer zum Beispiel am Familientisch erzählt, dass er HIV-positiv ist, bekommt meist die Reaktion: Woher? Mit wem? Selber schuld! Es heißt immer, dass man sich HIV „holt“ und es nicht einfach „bekommt“. Das ist ein ganz zentraler Punkt.

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Übertragung durch Sex oder Drogengebrauch

Wie können Menschen an HIV erkranken?

In der Regel durch Sexualverkehr. Blut zu Blut ist HIV ebenfalls übertragbar. Daher sind auch häufiger Menschen betroffen, die Drogen gebrauchen und dabei Nadeln tauschen. Da helfen beispielsweise Drogenkonsumräume, um die Hygiene einzuhalten. Es kann Menschen retten. Häufiger betroffen sind auch sexarbeitende Menschen.

Welche Anzeichen gibt es für eine Infektion?

Die Symptome sind oft nicht ausschlaggebend. Die meisten kommen mit einer Befürchtung oder wissen es insgeheim schon, weil sie vielleicht wissen, wann sie wo mit wem und wie Sex hatten. Nach einer frischen Infektion hat man klassische Erkältungssymptome, geschwolle Lymphknoten, oft einen Hautausschlag. Das kann etwa zwei Wochen dauern, dann flachen die Symptome wieder ab. Daher bleibt es oft Jahre unentdeckt.

Wie viele Menschen suchen in Magdeburg die Beratung auf?

Am Tag habe ich meistens drei bis maximal fünf Beratungen, die je 90 Minuten dauern. Man muss dazusagen, dass Aidshilfe in Sachsen-Anhalt nur sehr dünn vertreten ist. Es gibt noch ein Zentrum in Halle. An zwei Tagen der Woche bin ich auch in der Uniklinik in Magdeburg vor Ort als Beratung.

Lesung in Magdeburg

Das Zentrum für sexuelle Gesundheit veranstaltet in Kooperation mit der Stadtbibliothek eine Lesung. Matthias Gerschwitz liest am Mittwoch, 14. Mai 2025, um 17 Uhr am Breiten Weg 109 aus seinem Buch „Endlich mal was Positives“. Einlass ist ab 16.30 Uhr. Der 65-jährige Berliner Werbefachmann und Buchautor lebt seit mittlerweile mehr als 30 Jahren mit HIV, hat ein Buch darüber verfasst und ist seit 15 Jahren aktiv in Aufklärung und Prävention.