Häusliche Gewalt Beratung für Betroffene aus Oebisfelde-Weferlingen: „Es fängt nicht mit dem Faustschlag an“
Für viele ist häusliche Gewalt ein Tabuthema und Betroffene wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Auch für Flächengemeinden wie Oebisfelde-Weferlingen gibt es aber verbindliche Angebote in der Nähe.

Oebisfelde-Weferlingen/Wolfsburg. - Häusliche Gewalt betrifft Menschen aller Altersgruppen, Bildungs- und Einkommensschichten – oft mitten in der eigenen Nachbarschaft. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik des Landes Sachsen-Anhalt für das Jahr 2024 gab es 5720 gemeldete Fälle, 115 mehr als im Vorjahr, was einen besorgniserregenden Anstieg von zwei Prozent bedeutete. „Im Grunde ist mit häuslicher Gewalt alles gemeint, was im sozialen, familiären Raum passiert“, erklärt Daniela Cevik von der Wolfsburger Fachberatungsstelle Dialog. Dazu gehöre nicht nur partnerschaftliche Gewalt, sondern auch Stalking oder Übergriffe innerhalb der Familie.
Hilfe und Beratung bei häuslicher Gewalt in Oebisfelde-Weferlingen und Umgebung
Für Betroffene aus Oebisfelde-Weferlingen und Umgebung gibt es mehrere Anlaufstellen für Betroffene. Im Landkreis Börde bieten zum Beispiel die „Frühen Hilfen“ in Haldensleben über ein Nottelefon unter der Nummer 0175 2763313 Beratung. Diese Nummer ist 24 Stunden erreichbar. Die Fachberatungsstelle Dialog in der Goethestraße 59 in Wolfsburg bietet kostenlose, vertrauliche und auf Wunsch anonyme Unterstützung für Frauen, Männer und Angehörige.
Wer nicht nach Wolfsburg fahren kann, erhält telefonisch Rat und Hilfe. In akuten Gefahrensituationen sind Schutzunterkünfte erreichbar, etwa das Frauenhaus Wolfsburg oder das Frauen- und Kinderschutzhaus in Haldensleben und in Wolmirstedt. Alle nehmen Frauen aus Sachsen-Anhalt auf und beraten zu nahegelegenen Hilfsangeboten.
Die ersten Schritte für Betroffene: Sicherheit und Beratung
„Am besten ist, erst einmal eine Beratungsstelle aufzusuchen“, rät Daniela Cevik. In der Beratung können Betroffene sich auf Gespräche mit Polizei oder Behörden vorbereiten. „Es geht nicht darum, keine Angst zu haben, sondern die Angst mitzunehmen und trotzdem handlungsfähig zu werden. Wichtig ist: Ich bin nicht allein.“
Was häusliche Gewalt bedeutet und wie sie entsteht
Häusliche Gewalt beginnt selten mit körperlicher Aggression. „Gewalt fängt ja nicht an mit dem Faustschlag“, sagt Cevik. Viele Anrufer seien unsicher, ob sie überhaupt richtig bei einer Beratungsstelle seien, weil der Partner sie „nur“ beschimpfe, kontrolliere oder finanziell einschränke. „Mir wird ja die Wahrnehmung genommen, das ist das Prinzip von so einer gewalttätigen Beziehung“, erklärt sie. Besonders gefährlich sei der Wechsel zwischen Gewalt und Reue.
„Es passiert in allen Schichten, in allen Gesellschaften“, betont Cevik. „Hier sitzen Frauen von der Zahnärztin bis zur Sozialhilfeempfängerin.“ Der überwiegende Teil der Betroffenen ist weiblich, doch auch Männer erleben Gewalt – häufig psychischer Art, aber auch sie erleben physische Attacken. „Ich hatte hier mehrere Männer, die sagten: ‚Meine Frau hat mich verprügelt‘. Das ist alles mit Scham besetzt, aber auch sie sind betroffen.“ Viele bleiben, weil sie Angst haben, finanziell abhängig sind oder hoffen, die Beziehung retten zu können. „Betroffene Frauen wollen häufig die Gewalt beenden, aber nicht die Beziehung. Es steckt ja auch Liebe dahinter.“ Hinzu kommt der gesellschaftliche Druck, das Bild der Familie aufrechtzuerhalten.
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Warum Täter Gewalt ausüben
Was treibt Menschen dazu, Gewalt gegenüber einem Partner auszuüben? „Kontrolle“, sagt Cevik. Hinter dem Verhalten stehe meist ein geringes Selbstwertgefühl. „Bagatellisieren ist das Prinzip schlechthin, um die Betroffenen dazu zu kriegen, sich selbst infrage zu stellen statt den Gegenüber für sein Verhalten.“ Veränderung sei erst möglich, wenn Täter Verantwortung übernehmen. „Solange er sagt: ‚Ich bin’s ja nicht, du hast das Problem‘, wird es keine Veränderung geben.“
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Was tun, wenn man Zeuge häuslicher Gewalt wird
Auch Nachbarn oder Freunde spielen eine wichtige Rolle. Oft steht die Angst, es für Betroffene schlimmer zu machen, einem Anruf im Wege. „Das ist verständlich“, sagt Cevik. „Aber es gibt keine andere Chance. Dann ist er auf dem Radar, und bei manchen wirkt das sehr wohl.“ Wer eine Gewaltsituation beobachtet, sollte Betroffenen zuhören, ihnen glauben und Hilfe anbieten. Wegsehen helfe niemandem. Daniela Cevik fasst es zusammen: „Aus einer Gewaltspirale auszusteigen, ist kein individuelles Problem. Wir brauchen gesellschaftliche Solidarität.“
Orange Days: Aufklärung und Solidarität gegen Gewalt
Wer sich informieren möchte, kann während der International Orange Days vom 25. November bis 10. Dezember 2025 in Wolfsburg zahlreiche Veranstaltungen besuchen. Das Gleichstellungsreferat der Stadt organisiert Filmabende, Vorträge und Diskussionen über sexualisierte Gewalt, Menschenhandel und Prävention. Öffentliche Gebäude werden in Orange beleuchtet – als sichtbares Zeichen gegen Gewalt und für Solidarität.
Im Landkreis Börde findet wieder die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ statt, an der sich auch in diesem Jahr rund 40 Bäckereifilialen beteiligen. Es werden unter anderem Bäckertüten mit Hinweisen zu Hilfsangeboten herausgegeben. Die AG Gewaltprävention Börde und die Gemeinde Flechtingen haben mit kreativer Unterstützung der Landladies Flechtinger Höhenzug am 29. März dieses Jahres im Rahmen des Aktionstages „Frühlingserwachen“ die bereits fünfte „Rote Bank“ im Landkreis Börde aufgestellt. Ursprünglich in Italien als „La Panchina Rossa“ gestartet, symbolisiert das Aufstellen der roten Bänke ein Mahnmal gegen Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt. Auch in Weferlingen ist eine rote Bank geplant.
Wer bundesweit Unterstützung sucht, kann sich an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der Nummer 116 016 wenden. Die Beratung ist anonym, kostenlos und in 18 Sprachen möglich – auch online per Chat oder E-Mail.