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Jahrhunderthochwasser 2013 Interview: Welche Lehren das Landesamt für Hochwasserschutz daraus gezogen hat

Heute auf den Tag genau vor zehn Jahren war der Scheitelpunkt des Jahrhunderthochwassers erreicht. Ronald Günther vom Landesamt für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) war damals schon dabei. Was sich seitdem in Schönebeck beim Hochwasserschutz getan und wo noch Verbesserungsbedarf besteht erzählt der Flussbereichsleiter im Interview.

08.06.2023, 17:03
Blick auf die Altstadt von Schönebeck während des Hochwassers 2013: Die Elbe steht bis zum Anschlag der Sandsackwälle.
Blick auf die Altstadt von Schönebeck während des Hochwassers 2013: Die Elbe steht bis zum Anschlag der Sandsackwälle. Archivfoto: Thomas Schäfer

Deiche brachen unter den Wassermassen, Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Das Elbhochwasser von 2013 traf auch Schönebeck mit voller Wucht. Was seitdem zum Schutz getan wurde und wie sich jeder Bürger schützen sollte, verrät Ronald Günther im Interview. Dass damals nicht schlimmeres passierte, ist unter anderem der frühzeitigen Vorhersage des Hochwassers zu Verdanken.

Volksstimme: Heute vor zehn Jahren erreichte das Elbe-Hochwasser seinen höchsten Stand. Auch wenn Sie damals noch nicht Flussbereichsleiter waren, wissen Sie noch, was Sie damals gemacht haben?

Ronald Günther: Ich war damals als Deichfachberater im Stab Außergewöhnliche Ereignisse (SAE) in Magdeburg und im Jerichower Land tätig. Seit 32 Jahren bin ich im Flussbereich Schönebeck tätig, habe also sowohl das Hochwasser 2002 als auch 2013 mitgemacht.

Was hat sich seit der Jahrhundertflut in Sachen Hochwasserschutz in Ihrem Bereich getan?

Es hat sich viel, sehr viel sogar, getan. Ich betrachte aber immer beide Hochwasser, 2002 und 2013. Wir haben bereits nach 2002 damit begonnen, die Deiche zu sanieren und auf den aktuellen Stand zu bringen. Verstärkt hat sich das Ganze nach 2013, denn nach 2002 hat niemand damit gerechnet, dass wir nochmal ein Jahrhunderthochwasser bekommen.

Können Sie das nochmal in Zahlen ausdrücken? Wie viel wurde in Schönebeck in den Hochwasserschutz investiert?

Für die Verbesserung des Hochwasserschutzes wurden nur im Bereich Schönebeck seit 2002 über 59 Millionen Euro investiert. Allein nach 2013 waren es 42 Millionen Euro. In Schönebeck wurden damit 18 Kilometer Deiche saniert und 2,3 Kilometer Hochwasserschutzwände und neue Deiche gebaut. Bezogen auf Schönebeck haben wir circa 85 Prozent aller Anlagen saniert, im Land Sachsen-Anhalt sind es etwa 75 Prozent.

Welche Maßnahmen wurden denn konkret mit den Aufwendungen finanziert?

Ein großer Teil des Geldes ist bereits 2010 in die Sanierung des Pretziener Wehrs geflossen. Rückblickend war das sehr gut, da das Wehr 2013 einer erheblichen Belastung ausgesetzt war. Allein für die Maßnahme wurden 8,4 Millionen Euro benötigt. Der restliche Teil ist größtenteils in die Sanierung von Deichen geflossen. Nicht nur in Schönebeck, auch in Pretzien und Plötzky.

Ein großes Thema beim letzten Hochwasser war der Solgraben, der bei Starkregen oder Hochwasser Wasser aus der Umgebung zurück in die Elbe führen soll. Wurden dort Maßnahmen getroffen, die ihn vor Überschwemmungen schützen?

Beim Solgraben sind wir noch in der Planung. Dort soll ein mobiles Schöpfwerk errichtet werden. Mobil deshalb, weil ein stationäres Schöpfwerk so selten in Betrieb wäre, dass die Pumpen „sich kaputtstehen“ würden. Damit besteht die Gefahr, dass die Anlage nicht funktioniert, wenn sie gebraucht wird.

Wir haben auch noch zwei Kilometer zwischen der Müllerstraße und Frohse, wo noch keine Hochwasserschutzanlagen existieren, die wir noch bauen müssen. Entwurfs- und Genehmigungsplanungen sollen in diesem Jahr abgeschlossen werden, nächstes Jahr soll die Ausführungsplanung beginnen.

Von den Schutzmaßnahmen, die noch gebaut werden müssen, welche sehen Sie am dringendsten an?

Für mich sehe ich den Schwerpunkt in Frohse, dass wir den Deich dort fertigstellen. Und vor allem auch den Verschluss und das Schöpfwerk am Solgraben. Das sind die beiden Maßnahmen, an denen wir jetzt vorrangig arbeiten.

Wie sieht es auf ostelbischer Seite aus? Wurden dort ebenfalls Hochwasserschutzmaßnahmen ergriffen?

Wir haben in Pretzien zum Beispiel an der Großen Sorge die Schutzmauern ergänzt. Am Fischerufer haben wir einen komplett neuen Deich gebaut. In Plötzky haben wir in der Gartenstraße und in der Magdeburger Straße Hochwasserschutzmauern errichtet. In diesem Bereich muss noch ein kleiner Abschnitt gesichert werden. Dort ist es etwas komplizierter, Maßnahmen umzusetzen, weil wir in einem Flora-und-Fauna-Habitat (FFH) arbeiten müssen und dort strenge Naturschutzrichtlinien gelten.

Bereits nach der Flut 2002 war man sich sehr sicher, dass die Deiche jetzt halten. Wie sicher sind Sie sich denn jetzt, dass die neuen Deiche einer neuen Flut standhalten?

Ich kann nicht ausschließen, dass ein höheres Hochwasser als 2013 kommt. Einen endgültigen Hochwasserschutz gibt es nicht und wird es auch nie geben. Man wird sich an Werten orientieren, wie zum Beispiel dem Bemessungshochwasser. Danach werden Hochwasserschutzanlagen saniert und neu gebaut. Die sanierten und neu gebauten Deiche sind auch standsicher, sollten die Deiche voll eingestaut werden. Die Deiche sind auch sicher, sollten die Deiche überflutet werden. Die neu errichteten Deiche dürfen dann nicht brechen. Ich werde aber nicht sagen können, dass absolut nichts passieren kann.

Ronald Günther, Flussbereichsleiter beim LHW, zeigt auf den Pegelstand wie hoch die Elbe 2013 in der Stadt stand.
Ronald Günther, Flussbereichsleiter beim LHW, zeigt auf den Pegelstand wie hoch die Elbe 2013 in der Stadt stand.
Foto: Tom Szyja

Wie alt sind denn die ältesten Deiche?

Das System, so wie es sich jetzt darstellt, ist ungefähr um 1875 errichtet worden. Die Deiche wurden immer mal verstärkt, aber im Grundsatz sind viele schon so alt. Ein Großteil ist aber bereits saniert.

Sie haben gerade gesagt, einen vollständigen Hochwasserschutz gibt es nicht. Sind Sie denn auf ein vergleichbares Hochwasser wie 2013 jetzt besser vorbereitet?

Mit Sicherheit ja. Ein Hochwasser ähnlich wie 2013 können wir gut managen. Viele Anlagen sind erneuert. In den Abschnitten, die noch fehlen, sind Unterlagen erstellt, die beinhalten, was im Ernstfall zu tun ist.

Vor zwei Jahren war deutschlandweit das Hochwasser im Ahrtal Thema. 120 Menschen haben in den Fluten im Juni 2021 ihr Leben gelassen, unter anderem auch deshalb, weil sie zu spät gewarnt wurden. Hat dieses Ereignis Einfluss auf Ihre Arbeit gehabt?

Die Vorwarnzeit ist auf jeden Fall Thema im Land, aber meinen Bereich trifft es nicht, eher den Harz, wo es auch schnellfließendes Gewässer gibt. In Schönebeck haben wir Vorwarnzeiten von drei bis fünf Tagen. Gegenüber anderen haben wir den Vorteil, dass wir uns gut vorbereiten können. Das hat uns auch 2013 sehr geholfen.

Im Nachgang an die Katastrophe im Ahrtal gab es viele Diskussionen darum, ob nicht Gebäude zu nah am Wasser errichtet wurden. Sehen Sie ähnliche Probleme auch in Ihrem Flussbereich?

Schönebeck ist nun mal an der Elbe, das wird man nicht ändern können. Deshalb haben wir hier auch hauptsächlich Sonderbauwerke, wie Hochschutzmauern, errichtet. In der Gegend habe ich keine Probleme mit der Bebauung im Überschwemmungsgebiet. Das habe ich dann eher in Magdeburg, wo zum Beispiel kürzlich ein neues Hotel im Überschwemmungsbereich errichtet worden ist. Das hätte dort meiner Meinung nach nicht gebaut werden dürfen. Im Schönebecker Raum gibt es nur am Braunen Hirsch einige Gebäude im Überschwemmungsgebiet. Diese stehen schon sehr lange an dieser Stelle. Nach der Gesetzeslage kann man sie nicht einfach umsiedeln. Die betroffenen Bürger leben mit dem Hochwasser.

In den letzten Jahren wird in allen möglichen Bereichen darüber diskutiert, welche Auswirkungen der Klimawandel hat. Sehen Sie für den Hochwasserschutz die Gefahr, dass es durch Starkregenereignissen zu häufigeren und extremeren Hochwassern kommt?

Der Klimawandel wird Auswirkungen auf die Anzahl der Hochwasser haben, davon gehe ich aus. Wir haben aber jetzt festgestellt, dass wir seit 2013 kein einziges Hochwasser hier gehabt haben. Seit Bestehen des Pretziener Wehrs haben wir die längste Phase, in der es nicht geöffnet wurde. Generell lässt sich sagen, dass die Sommerhochwasser zugenommen haben – In der kurzen Folge, von 2002 bis 2013, so etwas hatte man in den Jahrzehnten davor nicht. Wir berücksichtigen den Klimawandel in unseren Planungen, beim Errichten von Deichen. Damit sollten wir, zumindest für die Elbe und die Saale, gut aufgestellt sein. Mehr können wir nicht machen. Ich würde mir wünschen, dass sich jeder Bürger nach Möglichkeiten umschaut, sich selber zu schützen. Hochwasserschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Wie können sich die Bürger schützen?

Ein Beispiel: Wenn man einen Keller mit Fenstern hat und in der Nähe eines Gewässers wohnt, welches schnell eine höhere Wasserführung bekommen kann, dann darf man darüber nachdenken, ob man sich Verschlüsse vor die Fenster legt, damit man die im Notfall wasserdicht verschließen kann.