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Einzigartige Zeitreise Warum fünf Familienväter mit dem Fahrrad von Wismar über Zerbst nach Wien fahren

Bike the Line heißt die Tour, die quer durch Deutschland und weiter nach Tschechien und Österreicht führt - was hinter dieser besonderen Aktion steckt.

Von Daniela Apel 26.06.2025, 06:15
Vor 80 Jahren rückte die Front des Zweiten Weltkrieges bis in den Zerbster Raum vor und führt fünf Männer nun hierher zurück.
Vor 80 Jahren rückte die Front des Zweiten Weltkrieges bis in den Zerbster Raum vor und führt fünf Männer nun hierher zurück. Foto: Nationalarchiv Washington D.C.

Zerbst - Rund 1.400 Kilometer in 18 Tagen – das sind die Eckdaten der Gedenk-Radtour, die morgen in Wismar startet. Ziel ist Wien als einer der vier Amtssitze der Vereinten Nationen, die am 26. Juni 1945 gegründet wurde – nur wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die damaligen historischen Ereignisse sind für fünf Familienväter Anlass, sich aufs Fahrrad zu schwingen. Gemeinsam wollen sie Geschichte erlebbar machen.

„Bike the line“ heißt das Projekt, das entlang der Demarkationslinie führt, an der im Mai 1945 die Soldaten der westlichen Alliierten auf die Rote Armee trafen. Sie bildet die Route für die 17 Etappen, die sich das Team um Jörg Türmer vorgenommen haben. Der 50-jährige Bauingenieur ist Initiator der Aktion. „Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert“, erzählt er.

Gedenk-Tour soll ein Zeichen gegen das Vergessen setzen

Seine Großmutter habe ihm als Kind von der Befreiung Wismars durch schottische Soldaten berichtet. In einer Villa der Hansestadt reichten sich am 7. Mai 1945 der britische Marschall Montgomery und der sowjetische Marschall Rokossowski die Hand – für Norddeutschland war der Krieg damit beendet. „Ich bin also in einer Stadt geboren, die auf der Begegnungslinie liegt“, sagt Jörg Türmer.

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Seine Mitstreiter haben sich nicht nur von seinem Geschichtsinteresse anstecken lassen, sondern ebenfalls von der Intention, ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. „Viele junge Menschen wissen nicht genug über den Krieg, die Ereignisse vom Mai 1945 und speziell diese Linie durch Mitteleuropa“, sagt Jörg Türmer. Ihr Wunsch sei es, diese Linie sichtbar, fühlbar und erlebbar zu machen sowie zum Nachfahren und Nachdenken anzuregen.

Diese fünf Familienväter starten am 27. Juni zur Gedenk-Radtour „Bike the Line“. Ihre Route führt ebenfalls durch die Zerbster Region.
Diese fünf Familienväter starten am 27. Juni zur Gedenk-Radtour „Bike the Line“. Ihre Route führt ebenfalls durch die Zerbster Region.
Foto: Robert Tomschke

Es ist ein multimediales Projekt, dessen Vorbereitung im Februar 2022 begann. Seit Ende März 2025 kann sich inzwischen jeder unter www.biketheline.de online umfassend über die Aktion – über die Mission, die Route und das Team – informieren. Unterwegs wird ein Videopartner die fünf Radfahrer begleiten und die Tour auf Social Media und der dreisprachigen Internetseite dokumentieren, so dass jeder die Aktion auf verschiedenen Kanälen live verfolgen kann.

Täve Schur begleitet das Bike-the-Line-Team ab Heyrothsberge

Auf ihrer Fahrt durch Deutschland, Tschechien und Österreich werden die Männer Denkmäler, Gedenkstätten und historische Orte besuchen. Insgesamt 80 „Points of Interest“, also Orte von Interesse, sollen digital erfasst werden, so dass jeder die Route – in Gänze oder einzelne Teilabschnitte – später eigenständig nachfahren kann.

Die 5. Etappe der Bike-the-Line-Tour erstreckt sich von Schönebeck bis nach Dessau.
Die 5. Etappe der Bike-the-Line-Tour erstreckt sich von Schönebeck bis nach Dessau.
Mitteldeutsche Redaktionsmanagement GmbH / Kroschel

Die Etappen führen unter anderem über Schwerin, Tangermünde, Chemnitz, Karlsbad und Linz bis nach Wien. Zwischenzeitlich hat das Team immer mal wieder Begleiter. So fährt beispielsweise ab Heyrothsberge die DDR-Radsportlegende Täve Schur ein Stück mit ihnen mit.

Fünfte Etappe ist eine historische Zeitreise zur Armee Wenck

Über 76 Kilometer erstreckt sich die fünfte Etappe am 1. Juli, die in Schönebeck beginnt und in Dessau endet. Sie führt durch jene Region, in der sich kurz vor Kriegsende die 12. Armee, die Armee Wenck, als Hitlers letzte Hoffnung den US-Truppen entgegenstellte. Verlustreich waren die Kämpfe um den Brückenkopf Barby, bei denen viele der jungen deutschen Soldaten ihr Leben ließen und die Amerikaner mittels einer Pontonbrücke – der Truman Bridge – die Elbe überquerten.

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Jörg Türmer und sein Team werden mit der Barbyer Fähre über den Fluss übersetzen und gegen 9.45 Uhr in Walternienburg erwartet, wo sie eine Gedenkminute einlegen und die neu gestaltete Ausstellung „Gegen das Vergessen“ in der alten Trauerhalle auf dem Friedhof besuchen wollen. Über Güterglück geht es weiter nach Zerbst, wo ein Treffen mit Bürgermeister Andreas Dittmann vorgesehen ist.

Begegnungen mit Menschen sind wichtiger Bestandteil der Tour 

Ein weiterer Stopp soll im Anschluss in Wertlau erfolgen – und das aus doppeltem Grund. Zum einen, weil die Junkers Flugzeugwerke einst Teile der Projektierung und Produktion in ein nahe gelegenes Wäldchen verlagerten, wobei die Baracken und Gebäude nach dem Krieg als Tuberkulose-Krankenhaus und zuletzt als Pflegeheim genutzt wurden. Die Ruinen sind noch erhalten.

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Zum anderen ist Wertlau Bestandteil der Route, weil Herbert Witte in dem Dorf wohnt. Der Autor des Buches „Zwei Tage im April 1945: Die Operation ,Toast’ in der Region Anhalt-Zerbst“ hat dem Bike-the-Line-Projekt Material zugearbeitet. Außerdem hat er bei der Vorbereitung der Etappe sehr unterstützt, wie Jörg Türmer sagt. Auf die Begegnung mit Herbert Witte freut er sich besonders.

In Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg für Frieden werben

Geschichtlich betrachtet „interessiert uns vor allem Barby mit der von den US-Truppen errichteten Pontonbrücke über die Elbe und Apollensdorf, wo die US-Soldaten auf die Rote Armee trafen. Dieser Ort ist vielen unbekannt“, sagt Jörg Türmer. Bereits am Nachmittag des 30. April 1945 waren Aufklärungseinheiten der 9. US-Armee nahe Apollensdorf auf sowjetische Gardeeinheiten getroffen. Fotos von der damaligen Verbrüderung hat Herbert Witte im Nationalarchiv von Washington D.C. gefunden.

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Am 14. Juli schließlich wollen die fünf Radfahrer Wien erreichen, am darauffolgenden Tag das Ziel ihrer Tour besichtigen: den Amtssitz der Vereinten Nationen. Bis dahin wollen sie in Erinnerung an den Schrecken des Zweiten Weltkrieges ein aktives und sichtbares Zeichen für Frieden in Europa und der Welt setzen.

Alles Wissenswerte zur Gedenk-Radtour – der Mission, dem Ziel, der Route und dem Team – ist auf der dreisprachigen Internetseite www.biketheline.de zu erfahren. Auf dieser ist ebenfalls ersichtlich, auf welchen Online-Kanälen die mehrtägige Tour live verfolgt werden kann.