1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. St. Nicolai lässt sie nicht los

EIL

Zerbster Wurzeln St. Nicolai lässt sie nicht los

Tatiana Tolstaya ist eine Estin mit Zerbster Wurzeln. Bei ihrem jüngsten Besuch wurde ihr ein besonderer Wunsch erfüllt.

Von Thomas Kirchner 11.04.2018, 06:00

Zerbst l Mit den ersten Schritten durch das Tor der Nicolaikirche hebt die kleine, zierliche Frau in der dicken roten Winterjacke den Kopf in die Höhe und betrachtet die alten Mauern des Sakralbaus, ohne dabei das Fortschreiten zu vergessen. Wenige Schritte weiter greift sie zur Kamera und verewigt durch das Teleobjektiv Details der Kirchentürme auf ihrer Speicherkarte.

Tatiana Tolstaya kommt aus Tallin in Estland. Sie arbeitet für ein estnisches Unternehmen, das zahlreiche Kinos in Estland, Lettland, Litauen und Finnland betreibt. Und: „Meine Vorfahren haben vor etwa 200 Jahren in Zerbst gelebt“, sagt Tatiana Tolstaya stolz.

Daher ist es auch nicht ihr erster Besuch in Zerbst. „Ich habe großes Interesse an der Stadt Zerbst“, sagt die 45-jährige Tallinerin bei ihrem kürzlichen Besuch in der Nicolaikirche.

Ihre Familie stamme aus Russland. Vor vier Jahren sei sie zum ersten Mal in Zerbst gewesen. Bei allen Rundgängen, die sie schon durch die Stadt unternommen hat, sei ihr die Nicolaikirche immer wieder aufgefallen. Mit ihrer Größe und auch der zerstörten Bausubstanz zieht sie die Blicke auf sich.

Zu Hause liest die Estin viel über Zerbst, auch über St. Nicolai. Der Wunsch, das Kirchenschiff auch einmal von innen zu bestaunen, war da groß. „Inzwischen bin ich zum sechsten Mal hier und kann endlich die große Kirche in Zerbst besichtigen“, freut sie sich sichtlich.

Eine Führung der besonderen Art um und in der Zerbster Nicolaikirche gab es für die Dame aus der estnischen Hauptstadt Tallin deshalb vom Vorstand des Fördervereins der Nicolaikirche persönlich. Angefangen hat aber alles auf der beliebten und weit über die Grenzen von Zerbst bekannten Internetseite von Heiko Röder und Zerbst-Kenner Helmut Hehne – www.alt-zerbst.de.

Tatiana Tolstaya kaufte über die Seite regelmäßig Kalender und Bücher mit Zerbst-Motiven. Ihr Interesse an der anhaltischen Stadt auf Grund ihrer Zerbster Vorfahren ist groß. Im Laufe der Zeit kommen die Estin und Heiko Röder per E-Mail ins Gespräch.

In einer ihrer jüngsten E-Mails schreibt Tatiana Tolstaya, dass sie großes Interesse an der Nikolaikirche habe und am Wochenende in Zerbst sei. Röder kontaktiert daraufhin die Lokalredaktion der Zerbster Volksstimme. Der Volksstimme-Reporter und der Vorstand des Fördervereins St. Nicolai, Walter Tharan und Claus-Jürgen Dietrich, beschließen der Estin eine Führung durch die alt ehrwürdige Kirchenruine zu ermöglichen.

Als Tatiana Tolstaya erfährt, dass extra für sie eine Führung durch die Nikolaikirche organisiert wurde, war die Freude natürlich riesig. Besonders würde sie interessieren, was einmal aus der Kirchenruine werden soll, ob es Pläne zum Wiederaufbau oder ein Nutzungskonzept gibt, sagt sie.

Walter Tharan und Claus-Jürgen Dietrich lassen in Zusammenhang mit der Kirche keine Fakten aus. Erläutern der Besucherin aus dem Baltikum die Geschichte der einst größten Hallenkirche Anhalts. „Mehrere Millionen Euro sind bereits in die Sicherung und den Erhalt der Ruine geflossen“, erklärt Walter Tharan. Ein Wiederaufbau der Kirche sei allerdings illusorisch, der würde etwa 100 Millionen Euro kosten.

Die Besucherin zeigt sich beeindruckt von dem Engagement der Zerbster, dieses Kulturdenkmal zu erhalten. „Ideen gibt es viele, die auch sehr kontrovers diskutiert werden“, betont Claus-Jürgen Dietrich. Doch da würden eben eine Reihe von Faktoren eine Rolle spielen.

So hätten sich bereits zahlreiche Architekturstudenten aus ganz Deutschland mit einer möglichen Nutzung der Zerbster Nicolaikirche beschäftigt. „Das allermeiste ist schwer umsetzbar und braucht zudem einen finanzstarken Investor“, erklärt Dietrich dem Gast.

Im September ist Tatiana Tolstaya wieder in Deutschland, denn eine weitere Leidenschaft der Estin sind Städte-Marathons in ganz Europa. So wird sie auch am Berlin-Marathon teilnehmen und erneut nach Zerbst kommen. „Dann würde ich gerne das Schloss Katharinas der Großen besichtigen“, sagt sie.

Bis dahin verabschiedet sich die Estin mit einem riesen Dankeschön an alle Beteiligten, die ihr diese exklusive Führung ermöglicht haben.