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Streit um Kreditgebühr: Leser berichten von ähnlichen Fällen mit Harzsparkasse / Vorstand sieht sich im Recht Kritik an Harzer Bankhaus reißt nicht ab

Von Dennis Lotzmann 19.03.2015, 02:25

Die Harzsparkasse sieht sich wegen ihres Umgangs mit erhobenen Kreditgebühren Kritik ausgesetzt. Nach der Berichterstattung in der Volksstimme haben sich weitere Betroffene gemeldet. Lenkt das Bankhaus jetzt ein?

Wernigerode l Ein Bankkredit, 240 Euro Gebühr für die Geschäftsabwicklung und ein daraus entstehender Konflikt zwischen Kundin und Bank, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) derartige Gebühren für unzulässig erklärt hatte: Die Vermutung, der von der Volksstimme thematisierte Fall von Hannelore Becker aus Wernigerode könnte ein Einzelfall sein, trügt. Nach der Berichterstattung am 4. März haben sich mehrere Leser aus dem Harz gemeldet. Sie alle eint ein Problem: Sie haben sich in der Vergangenheit per Kredit Geld geliehen und beißen nun mit ihrer Bitte, die dafür berechnete Gebühr nach einem entsprechenden BGH-Urteil erstattet zu bekommen, auf Granit. Und: Es dreht sich ausnahmslos um Fälle der Harzsparkasse.

So wie beispielsweise der von Konstanze Lindemann aus Osterwieck. Sie hatte nach eigenen Worten vor etwa fünf Jahren einen Sparkassenkredit aufgenommen und dafür rund 500 Euro Gebühren zahlen müssen. Einen Betrag, den sie mit Zinsen zurückfordert.

Sie habe sich im Herbst 2014 an die Sparkasse gewandt und um Rückzahlung gebeten. Ihr Wunsch wurde mit ebenso deutlichen Worten abgelehnt wie bei Hannelore Becker: Ihre Forderungen seien verwirkt und die Bank zu keinen Gesprächen oder Verhandlungen bereit. "Als ich das gelesen habe, wäre ich fast an die Decke gegangen", sagt Lindemann.

Mit ihren Erfahrungen ist die Osterwieckerin ganz offenkundig nicht allein, machen die Berichterstattung der Volksstimme und die Reaktionen deutlich. Ausnahmslos alle Leser, die die Redaktion kontaktiert haben, berichten von einem inhaltlich identischen Antwortschreiben.

Darüber hatte sich zunächst Hannelore Becker aus Wernigerode empört. Die Frau wandte sich im Februar mit ihrem Problem an die Volksstimme. Auch sie soll aus Sicht der Sparkasse die 240 Euro für ihren 2008 aufgenommenen Kredit in den Wind schreiben. Auch sie ist vor allem über die Schlussformel im Schreiben empört: "Bitte betrachten Sie unseren Standpunkt hierzu als abschließend. Zu Verhandlungen oder Gesprächen hierüber sind wir nicht bereit", heißt es dort.

Sollte ein Kreditinstitut, insbesondere eines mit kommunalem Anstrich wie die Harzsparkasse, so mit ihren Kunden umgehen? Werner Reinhardt, Vorstandsvorsitzender der Bank, würde diese Sätze so heute offenbar auch nicht wieder zu Papier bringen. Sein Haus habe ein von Juristen des Sparkassen- und Giroverbandes formuliertes Musterschreiben verwendet, erklärt er und sagt: "Dieses Schreiben, das ist nicht der Stil unseres Hauses." Gleichwohl ist es zigfach versandt worden.

Im Gespräch mit der Volksstimme beschreibt Werner Reinhardt das Agieren seines Hauses so: "In Fällen, die aus unserer Sicht von den Urteilen und der BGH-Rechtsprechung abgedeckt sind, haben wir gezahlt." In Euro und Cent formuliert: Bislang seien 742 Kunden rund 190 000 Euro Kreditgebühren erstattet worden. Nicht automatisch, sondern nach Aufforderung seitens der Kreditnehmer.

Und Reinhardt präzisiert in einem zweiten Punkt: "Die BGH-Urteile vom Mai vorigen Jahres betreffen Anschaffungs- und Allzweckdarlehen von Verbrauchern und lassen sich nicht automatisch auch auf andere Kredite, beispielsweise für Immobilien, übertragen."

Das sieht Sven Kretzschmar von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt in Halle ganz anders: "Wir sehen nach den Urteilen keine Einschränkungen - sie treffen auf alle Verbraucherkredite zu."

Zwei Sichtweisen, die deutlich machen, dass der Spruch der Karlsruher Richter Interpretationsspielräume lässt. BGH-Pressesprecherin Dietlind Weinland erklärt auf Anfrage, dass sich die BGH-Entscheidungen "nur auf Verbraucherkredite (z.B. Kredit für die Anschaffung eines Autos)" bezögen. "Zur Frage, ob diese Grundsätze auch auf Immobilienkredite übertragbar sind, ist noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen."

Konsequenz für Immobilien-Kreditnehmer: Verweigern Banken die Gebührenrückzahlungen, müssen sie notfalls klagen, um die Rechtsfrage klären zu lassen.

Für Kretzschmars Interpretation spricht nicht nur die Wortwahl in den Urteilen: Dort ist eher allgemein von "Privatkreditverträgen" und "einem Darlehensvertrag zwischen einem Kreditinstitut und einem Verbraucher" die Rede. Auch die promovierte Finanzexpertin Britta Beate Schön vom gemeinnützigen Verbrauchermagazins "Finanztip" stützt diese Sicht: "Nach dem Gesetz ist ein Immobilienkredit ein ganz normaler Verbraucherkredit." Zwar sei es in den konkreten Fällen, die vom BGH entschieden worden, nicht um Baufinanzierungen gegangen - "diese hat der Bundesgerichtshof allerdings auch nicht ausgeschlossen". Und für Britta Beate Schön liegen die Parallelen auf der Hand: "Letztlich treffen die Argumente des BGH zur Unwirksamkeit der Kreditgebühren auf Immobilienkredite genauso zu."

Die Fälle der Leser, die sich an die Volksstimme gewandt haben, betreffen offenbar klassische Darlehen und keine Immobilienkredite. So bei Sandy Raabe. Die Frau aus Wernigerode hat für einen Kredit 400 Euro Gebühren gezahlt, die sie im Herbst 2014 zurückgefordert hat. "Wir erhielten denselben Brief mit der unverschämten Schlussformulierung", berichtet sie. "Fristgerecht haben wir ein Mahnverfahren eingeleitet, welches von der Sparkasse abgelehnt wurde. Wir sind den nächsten Schritt gegangen, die Sache liegt nun dem Gericht vor." Ärgerlich sei, dass man zunächst alle juristischen Kosten vorstrecken müsse. Bei ihr, berichtet Sandy Raabe, seien zu den 400 Euro Gebühren mittlerweile 285 Euro juristische Kosten hinzugekommen.

Günther Voigt aus Osterwieck fordert 300 Euro zurück. Er hat nach eigenen Worten Weihnachten ein Schreiben abgegeben und im Januar die ablehnende Antwort der Harzsparkasse erhalten.

Sehr verärgert zeigt sich auch Karl-Heinz Könnecke. Der heute 78 Jahre alte Wernigeröder nahm, wie er berichtet, im Jahr 2008 ein klassisches Verbraucherdarlehen über 3000 Euro auf, um eine Autoreparatur zu finanzieren. Ende November 2014 bat er mit freundlichen Worten um Rückzahlung der Gebühr. Die Sparkasse recherchierte in ihrem Archiv und schickte Könnecke mit Datum 29. Dezember die Standard-Absage.

Das wollte der Senior nicht akzeptieren. Er wandte sich im Januar an die Harzsparkasse und ist noch heute empört über die Reaktion: "Ich wollte mit dem Absender des Schreibens sprechen und wurde von ihm noch nicht mal ins Büro gebeten, sondern auf dem Flur abgefertigt. Das war schon ganz schön deprimierend", berichtet er. "Ich bin schon seit Jahrzehnten Sparkassenkunde und sehr verärgert, wie ich da abgefertigt worden bin", sagt der 78-Jährige.

Nach Volksstimme-Recherchen handelte es sich bei Könneckes Gesprächspartner um Sascha Neuhäuser, den Verantwortlichen im Vorstandssekretariat der Harzsparkasse. Der 43-Jährige wollte sich gegenüber der Volksstimme zu diesem Fall nicht äußern.

Selbiges gilt für Bankvorstand Werner Reinhardt: "Kein Kommentar", lautet seine Antwort zum Fall Karl-Heinz Könnecke und zu allen weiteren gegenwärtig noch ungeklärten Fällen.

Sven Kretzschmar überrascht dies nicht. "Die BGH-Urteile haben eine Rückforderungswelle ausgelöst. Wir haben viele Problemfälle auf dem Tisch. Auffällig ist, dass es vor allem um Sparkassen geht und nur ganz vereinzelt um andere Banken", sagt der Verbraucherschützer. Werner Reinhardt hat dafür und bezogen auf den Harz eine Erklärung parat: "Wir sind nun mal der Marktführer."

Das sieht Kretschmar anders: "Es ist schon auffallend, dass vor allem Sparkassen die Forderungen ablehnen", sagt er. "Für mich ist die Taktik klar: abwimmeln, hinhalten und verunsichern, um in möglichst vielen Fällen erstmal die maßgebliche Verjährungsfrist 31. Dezember 2014 zu erreichen." Bis zu diesem Stichtag mussten Betroffene ihre Forderungen geltend machen, um in den Genuss der vom BGH einmalig auf zehn Jahre verlängerten Verjährungsfrist zu kommen.

Beim 78-jährigen Karl-Heinz Könnecke dürfte die Verjährung mittlerweile ebenso eingetreten sein wie bei Günther Voigt aus Osterwieck. Weil Könnecke und Voigt keine Mahnbescheide erwirkt haben, können sie nun wohl maximal auf Kulanz hoffen.

Sandy Raabes Bruder Marco Heindorf hat nach Eingang des Sparkassen-Standard-Briefs aufgegeben: "Bei mir ging es um rund 100 Euro." Und: Bei zwei anderen Krediten hätten die Banken anstandslos und mit Zinsen gezahlt.

Währenddessen hat die Harzsparkasse bei Konstanze Lindemann eine überraschende Kurskorrektur vollzogen: Nachdem die Bank bislang selbst den Mahnbescheid angefochten hatte, bekam die Osterwieckerin jetzt Post, mit der sie nicht mehr gerechnet hatte: Man werde ohne Anerkennung einer Rechtspflicht nun sowohl Kreditgebühr als auch Gerichtskosten übernehmen.

Ob diese Kurskorrektur womöglich ein Zeichen des Einlenkens sei, wollte die Volksstimme von Sparkassen-Vorstand Reinhardt wissen. Seine Antwort: "Kein Kommentar."

Mehr zu Kreditgebühren: www.finanztip.de/kreditgebuehren/