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Volksstimme-Mitarbeiter ging einen Tag beim Probst-Clown Pom Pom in die Zirkusschule/Auftritt am Nachmittag Der Meister und sein Lehrling - Duell in der Manege

12.04.2014, 01:16

Einmal als Clown in der Manege stehen - was viele sich wünschen, ist für Clown Pom Pom seit zwei Jahrzehnten Berufsalltag. Der Ungar hat selbst nie eine Clownsschule besucht - unterrichtet als Lehrer für einen Tag aber gern Volksstimme-Mitarbeiter Donald Lyko.

9:30 Der Wohnwagen steht etwas versteckt, aber verfehlen kann ich ihn nicht. Pom Pom steht groß dran, an der Scheibe klebt ein Clownsgesicht. Beherzt geklopft - und schon beginnt mein Abenteuer. Dass mir meine Kollegen ein gewisses Talent als Spaßmacher bescheinigen würden, ist eine Sache. Aber reicht das für die Manege? "Du hast auf jeden Fall ein Clownsgesicht", macht mir Pom Pom Mut. Ob ich mich über die Antwort freuen soll? Vermutlich, sie kommt ja vom Fachmann. Und von dem will ich vieles lernen. Erste Lektion: Ein Clownsgesicht ist nicht von Nachteil!

9:42Der Kaffee läuft. Pom Pom - bürgerlicher Name: Laszlo Szabo, Alter: 50, Nationalität: Ungar - greift zu einem alten Foto. Sechs Clowns sind zu sehen, in der Mitte sein Großonkel Spider Austin. "Er ist absolut mein Vorbild", erzählt der Clown, der gar kein Clown werden wollte - zumindest als junger Mann nicht. Obwohl in Frankfurt am Main in eine Zirkusfamilie hineingeboren, wuchs er "ganz bürgerlich" bei den Großeltern in Ungarn auf, absolvierte eine Hotelfachschule und arbeitete zehn Jahre in der Gastronomie. "Da musste ich auch etwas servieren, war schon ein bisschen Clown." Zweite Lektion: Nicht immer führt der direkte Weg zur Berufung!

9:48 Jetzt serviert mein Lehrmeister erst einmal den Kaffee, zündet sich dazu eine Zigarette an. Von Hektik keine Spur. Bis zum ersten Auftritt am Nachmittag sind noch Stunden Zeit. Und die Nummern sitzen. Gut 20 davon hat er im Repertoire, sieben zeigt er in dieser Show. Besonders mag er die, in denen das Publikum zum Partner wird. Ansonsten arbeitet er lieber allein in der Manege. Frühere Auftritte im Trio waren nicht seine Welt. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem er das Geheimnis lüftet: "Du bist mein Partner bei einem Duell." Toll. Ob ich mich darüber wirklich freuen soll? Dritte Lektion: Denk bei nächster Gelegenheit ein zweites Mal darüber nach, bevor du dich zur Kurzausbildung anmeldest.

10:05Die schlechte Nachricht: Für meinen Auftritt in der Manege werde ich nicht geschminkt. Ich trete als normaler Zuschauer auf. Schade! "Ich kann dich aber jetzt mal schminken", bietet Pom Pom an. Super! Er macht sich schnell selbst zurecht, das dauert keine fünf Minuten. Eine rote Nase gehört für ihn immer dazu. Er färbt die Nasenspitze mit Schminke. Die langen Haare, am Tage zum Zopf gebunden, bürstet er zu einer wilden Frisur. Freizeitclowns würden meinen, er hätte in die Steckdose gegriffen. "So fällt mir beim Auftritt keine Nase runter, und ich kann auch keine Perücke verlieren", sieht es der Zirkusmann praktisch. Und als Komiker setzt er nach: "Ich brauche keine Gumminase, ich habe schon eine Riesenkarotte."

Er zieht mit schwarzer und weißer Farbe Mund und Augen nach. "Das sieht bei den Bewegungen besser aus." Hochqualitätsschminke kommt ins Gesicht, so wie Fernseh- und Theaterleute sie verwenden. "Sie soll ja nicht verschmieren", erklärt Laszlo, verschwindet im Schlafbereich seines mobilen Zuhauses - und kommt mit einer Jacke zurück. "Die müsste dir passen." Über diesen Satz freue ich mich jetzt aber wirklich - bis ich den Bauch einziehen muss, damit der Reißverschluss zugeht. Tja, ein Zirkus-Lehrtag ist eben kein Herrentag. Punk-Gummifrisur aufgesetzt, schnell ein paar Schminkstriche - und fertig ist Clown Donaldo. Vierte Lektion: Auch beim Clowns-Schminkgesicht ist weniger oft mehr!

10:18Einstein muss dringend raus. Der 13 Jahre alte Westi ist während der Tournee Pom Poms Mitbewohner. An langen Wochenenden kommen manchmal seine russische Ehefrau und die beiden Söhne zu Besuch. Die Familie lebt in Wuppertal. Von März bis November ist Pom Pom jetzt mit dem Zirkus Probst unterwegs. Es ist seine dritte Saison dort.

Eine Hunderunde am Nordwall, Zeit für Fragen - zur Ausbildung gehört ja auch der theoretischen Teil. Wie ging es los mit der Karriere? "Ich war 27, 28 Jahre alt, da fing ich mit einer Balancenummer in England beim Zirkus Ginett an. An einem Abend war plötzlich der Clown verschwunden. Der Direktor kam und sagte: `Ab heute bist du der Clown.`" Ein Artistenkollege hat ihn für die Premiere geschminkt. Pom Pom erinnert sich daran mit einem Wort: "Potthässlich." Apropos Pom Pom. Wieso gerade dieser Künstlername? "Der stammt aus meiner Zeit in der Gastronomie." Er hatte vorn über der Stirn nur noch so ein Haarbüschel, das seine Kollegen an einen Pompon erinnerte, diese knäuelartige Quaste. "Und so bekam ich den Spitznamen, der seit dem ersten Auftritt der Name von Clown Pom Pom ist." Fünfte Lektion: Unverhofft kommt oft, und die Clowns dieser Welt haben plötzlich einen Kollegen mehr!

10:55Einstein drängt zum Rückmarsch. Zeit für mich, noch einmal den Auftritt am Nachmittag anzusprechen. Langsam juckt es mich doch, das praktische Clownsdasein. So richtig kommt Pom Pom nicht mit der Sprache heraus. Nur so viel: Es gibt zwei Leute mit Pistolen, und am Ende fallen beide um. Super, mit der Information kann ich mich in der Manege ja nur blamieren. "Nein, nein, keine Angst. Es geht ja ums Improvisieren." Ich darf und will mich nicht beschweren, ich hatte diesen Tag als Zirkusschüler ja selbst vorgeschlagen. Wieso kommt mir jetzt der Zauberlehrling in den Sinn, der die Geister nicht mehr los wurde, die er rief?

Zirkusschule - gutes Stichwort. Viel hält Pom Pom davon nicht, er selbst hat keine besucht. Wasser aus einer Blume spritzen oder zweimal hinfallen - das ist nicht das, was er als Clown zeigen möchte, was er komisch findet. Zumal er sich nicht als klassischen Clown sieht. "Meine Schule sind die Auftritte vor Publikum. Meine Fortbildung ist, auf die Zuschauer zu reagieren." Er sitzt gern im Café und beobachtet Menschen. Individuelle Geschichten mit Sinn möchte er erzählen, mit einem Anfang, einem Spannungsaufbau und einem Höhepunkt. Sechste Lektion: Clown ist nicht gleich Clown!

11:15Zurück im Wohnwagen. Pom Pom muss noch das selbst gebastelte Stethoskop reparieren, mit dem er während der Vorführung als Notarzt einen Patienten, in dem Fall einen Zuschauer, abhört. Arzt, Revolverheld, Dirigent, Lichtjäger - als Clown schlüpft der 50-Jährige in viele Rollen. Mittlerweile stimmt er seinem Großonkel Spider Austin zu. Der hatte dem Neuling im Clownsberuf vorhergesagt: "Ab 40 bist du reif, dann wirst du ruhiger in der Manege." Jetzt bringe ihn nichts aus der Ruhe, versichert mir Laszlo, "da können auch Erdmännchen vom Himmel fallen". Siebte (nicht ganz neue) Lektion: In der Ruhe liegt die Kraft, oder wie ich als Nachwuchsclown witzele: In der Truhe liegt noch Saft!

14:30 Nach der Mittagspause. Pom Pom ist geschminkt und kostümiert. Im Zelt begrüßt er die Zuschauer - meiner Frage, ob ich für unsere Nummer noch etwas wissen muss, überhört er schmunzelnd. Trotzdem habe ich selbst noch gut lachen, mein Auftritt ist erst für den zweiten Teil geplant, ganz am Ende der Nachmittagshow. Bleibt mir also noch Zeit, die tollen Tierdressuren und Artisten zu genießen und dem Meister bei der Arbeit zuzuschauen. Achte (ebenfalls nicht ganz neue) Lektion: Manegenpraxis, wenn auch nur visuell, ist immer noch der beste Lehrmeister!

16:54 Eben noch der schlafende Zuschauer in der Reihe hinter uns, kommt Pom Pom auf uns zu - und fragt Kollegin Susanne Moritz, ob er mich mal entführen dürfe. Sie sagt Ja, ich spiele den Überraschten. Und schon geht es los. Erste Bewährungsprobe: mit dem Scheinwerferlicht im Gesicht stolperfrei die Manegeneinfassung entlangschreiten. Pom Pom nimmt mich an die Hand. In der Manege geht es weiter nach einem einfachen Prinzip: Der Meister macht pantomimisch vor, der Lehrling macht nach. Für die Zuschauer sieht es sicher komisch aus, denn es wird gelacht.

Dann springt mir ein ängstlicher Clown in die Arme, als beim Öffnen einer unsichtbaren Tür lauter Straßenlärm erklingt. Hinter der zweiten Tür dann der musikalische Auftakt zum Duell: "Spiel mir das Lied vom Tod". Wir spielen. Erst, wie wir als Revolverhelden mit unseren Waffen protzen, dann das ultimative Finale. Beide sinken wir getroffen zu Boden. Zum Glück liegen für die folgende Recknummer schon dicke Matten in der Manege. Neunte Lektion: Die Geburtsstunde einer Clownskarriere kann auch eine Sterbeszene sein.

17:01Geschafft! Das war er also, mein erster Auftritt in einer Manege. Er hat richtig Spaß gemacht. So improvisiert vielleicht noch mehr, als vorher einstudiert. Jetzt kann ich es ja sagen: Ein bisschen aufgeregt war ich schon. Aber Pom Poms Daumen geht nach oben, gleich nach dem Auftritt und dann noch einmal im Finale. Die Prüfung scheint also bestanden. Zehnte Lektion (die ist für das Publikum): Machen Sie den Spaß mit, wenn Pom Pom sie zu sich in die Manege holt. Ein unvergessliches Erlebnis.