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Hochwasser in Ilsenburg Flutwelle fordert Konsequenzen

Am Tag zwei nach der verheerenden Flutwelle in Ilsenburg rückt die Frage
nach Ursachen und Konsequenzen in den Mittelpunkt. Kritik wird an der
Nationalparkverwaltung laut. Einheimische monieren die Vernachlässigung
der Grabenpflege. Nationalpark-Chef Andreas Pusch sieht keinen Grund für
Kritik, ist aber offen für einen Dialog.

Von Dennis Lotzmann 29.07.2014, 03:25

Ilsenburg l Der erste Schock ist vorüber, die Ilsenburger räumen nach der katastrophalen Flutwelle vom vergangenen Sonnabend auf. Gleichwohl will die Kritik, die vor allem Anwohner direkt am Fuße des Meinebergs in Richtung Nationalparkverwaltung formulieren, nicht abreißen. Es habe, so sagen es beispielsweise Hartmut Mänz und Henning Hausmann als Anwohner der Buchbergstraße, in der Vergangenheit immer wieder extrem starke Regengüsse gegeben. Die Folgen, die sich daraus für die Anwohner unterhalb des Hangs ergeben hätten, seien tendenziell schlimmer geworden. "Immer öfter und immer dramatischer", sind sich beide einig. "Weil oben im Wald die Grabenpflege total vernachlässigt wird", wie Hartmut Mänz als Grund ausgemacht hat.

Eine Sicht, die Gerhard Meißner nicht uneingeschränkt teilt: "Ich lebe jetzt 60 Jahre hier oben - solch ein extremes Gewitter habe ich noch nicht erlebt", sagt der 65-Jährige mit Blick auf die dramatischen Stunden am Sonnabend.

Am Abend hatte sich laut Wetterdienst über Ilsenburg eine Gewitterzelle entladen. Binnen 90 Minuten fielen zwischen 80 und 100 Liter Regen pro Quadratmeter. Anschließend wälzte sich eine Flutwelle aus Wasser, Schlamm und Geröll von den Hängen her durch die Stadt. Dabei wurden viele Häuser und Keller überflutet.

Dass er noch nie vorher so extreme, sintflutartige Regenfälle erlebt hat, ist für Gerhard Meißner ein Aspekt. Der andere: Auch er macht im Nationalparkwald mangelnde Pflege an Wegen und Grabensystemen geltend. Bach- und Wasserläufe würden mit Baumschnitt versperrt, Wasserabschläge auf neuen Waldstraßen nicht in die hangseitigen Gräben geleitet, sondern talseitig orientiert. Obendrein sei der Windeweg, eine Hauptzufahrt im Wald, nicht hangwärts geneigt, sondern talwärts. "All das führte dazu, dass die Flutkatastrophe jetzt noch schlimmer wurde", ist Gerhard Meißner überzeugt.

"Möglichst viel Wasser muss im Wald versickern. Wir können das Wasser nicht wegzaubern." - Andreas Pusch, Nationalparkchef

Das sieht Nationalparkchef Andreas Pusch anders: "Die Gewitterfront war einfach zu extrem. Die Fluten haben am Wochenende beispielsweise einen kompletten Durchlass im Wald weggespült, den wir erst vor zwei Jahren nach allen Regeln der Technik gebaut hatten." Obendrein sei der Waldboden am Meineberg aufgrund vorheriger Regenfälle extrem gesättigt und kaum noch aufnahmefähig gewesen.

Auch die baulichen Kritikpunkte will Pusch so nicht gelten lassen. Das Wasser allein in die Gräben leiten zu wollen, sei ein Trugschluss und keine Lösung, so der 59-Jährige. "Alles, was im Graben zusammenläuft, kommt dann irgendwo ganz konzentriert und mit geballter Kraft an und muss weiter abgeleitet werden." Deshalb würden Abschläge, die das Wasser von Wegen ableiten sollen, ganz bewusst in Richtung Wald und nicht Richtung Graben gebaut. "Wir setzen darauf, dass möglichst viel Wasser im Wald versickert, im Graben würde es nur die Gesamtlast erhöhen. Und das Wasser können wir nun mal nicht wegzaubern", so der Nationalparkchef.

Wegzaubern ist das Stichwort. Anwohner wie Gerhard Meißner, Hartmut Mänz oder Henning Hausmann würden solche Fluten am liebsten gänzlich wegzaubern. Ein massives Grabensystem am Fuße der Ilsenburger Hänge - so wie vielerorts in den Alpen - wäre das die Lösung für Ilsenburg?

Denkbar scheint es. Andreas Pusch sähe dann jedoch auch nur eine Verlagerung des Problems: "Wir bräuchten eine aufnahmefähige Ableitung zur Ilse, und die würde dann noch schneller anschwellen", zählt er die Schwierigkeiten auf.

Apropos Ableitung: Hier bringt Gerhard Meißner gleich noch ein Problem zur Sprache: Ganz oben in seiner Straße, direkt am Waldhang, sei vor vielen Jahrzehnten ein massives Rohr verbaut worden. "Da liegt ein 1000 Millimeter Querschnitt in der Erde. Doch was nützt das, wenn 30 Meter weiter der Querschnitt auf weniger als 200 Millimeter reduziert wird? Die Alten wussten schon, was sie machen." Heute seien es wohl Kostenfragen gewesen, die zum Verlegen der gering dimensionierten Leitung veranlassten, glaubt Meißner zu wissen. Obendrein hätte sich der 65-Jährige am Wochenende gewünscht, dass sich die Nationalpark-Ranger mal vor Ort ein Bild vom Chaos machen.

"Wir sind nicht im Chaos versunken. Ilsenburg ist wieder offen für alle und freut sich auf Touristen." - Denis Loeffke, Bürgermeister

Gerhard Meißner, Hartmut Mänz und Henning Hausmann bringen Probleme zur Sprache, die augenscheinlich viele Anwohner in der Buchberg-Siedlung bewegen. Und sie haben womöglich auch Tipps, Detailkenntnisse und Ratschläge parat, die für die Verantwortlichen der Nationalparkverwaltung hilfreich sein könnten. Warum also nicht einfach unter Federführung der Stadtverwaltung zusammenkommen - Anwohner, Nationalpark-Verwaltung und Verwaltungsmitarbeiter?

Ein Vorschlag, dem Andreas Pusch ebenso offen gegenübersteht wie Bürgermeister Denis Loeffke (CDU). "Diese Idee greife ich auf jeden Fall auf", unterstreicht Loeffke, der dieser Tage als rastloser Krisenmanager unterwegs ist und dafür Lob und Anerkennung erfährt.

Loeffke selbst versucht sich am Tag zwei nach der Flutwelle in einer ersten vorsichtigen Schadensbilanz. "Es gibt große Schäden in der Stadt und ganz viele Betroffene im Privatbereich - es gibt aber zum Glück keine Opfer. Wir sind im Vergleich zum dramatischen Elbe-Hochwasser mit einem blauen Auge davongekommen."

Nunmehr, so Loeffke, sei es wichtig, nach vorn zu schauen. "Wir müssen zwar Straßenaufbrüche flicken und Gehwege reparieren, und viele Privatleute werden noch lange mit den Schäden zu tun haben - wir sind aber nicht im Chaos versunken. Ilsenburg ist wieder offen für alle und freut sich auf Gäste und Touristen."