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Von der Schwierigkeit im Umgang mit verfallenen Schlossgütern in Sachsen-Anhalt Walbeck: Ein ganzes Rittergut für 49 000 Euro

Von Oliver Schlicht 17.03.2011, 05:32

Am 26. März versucht die Deutsche Grundstücksauktionen AG
in Berlin erneut, ein 1000 Jahre altes Rittergut zu versteigern: das Schloss und der Gutshof Walbeck (Mansfeld-Südharz). Vier Privatisierungen sind seit der Wende gescheitert. Seit 20 Jahren verkommt diese Anlage. Verfallene Herrenhäuser und Schlösser gibt es in Sachsen-Anhalt zuhauf. Für die Denkmalschützer sind das meist traurige, aber manchmal auch erfreuliche Baukapitel.

Magdeburg. Der Anblick der Schlossanlage Walbeck ist alles andere als herrschaftlich: Tapeten hängen von den Wänden, Fenster sind eingeschlagen, die Dächer sind löchrig wie Schweizer Käse. Das riesige Schloss-Terrain – ungefähr 15 Gebäudeteile auf 22 000 Quadratmeter – ist zu einem gefährlichen Abenteuerspielplatz verkommen. Schloss, Gutshaus, Stallungen – an vielen Stellen laden offene Türen zum Herumtoben ein.

Im Inneren lässt sich noch die bessere Zeit des Rittergutes ablesen. Ein trauriger Anblick: Wappen an Portalen und über Kaminen erzählen von der Zeit des Freiherrn von dem Bussche – im 18. Jahrhundert Staatsminister bei August dem Starken am sächsischen Hof. Der hatte Schloss Walbeck 1745 erworben und in ein Rittergut umgewandelt. Die Gründung des Gutes geht aber weiter zurück. 997 hatten die Benediktiner hier ein Kloster gebaut. Später nahmen die Grafen von Regenburg das Gut in Besitz. Besagte Familie von dem Bussche war es aber, die dem Gut seine heutige Dimension verlieh. Mehrere Wirtschaftsgebäude flankieren seither das dreigeschossige Schloss.

Als der Krieg 1945 zu Ende war, ging der Niedergang des Anwesens in die erste Runde. Die Familie vertrieben, das Land im Zuge der Bodenreform enteignet – aus dem Rittergut wurde ein "volkseigenes Gut". Die DDR-Genossenschaft baute noch mehr Ställe. Pferde, Rinder und Schweine übernahmen die Regie im Terrain des Adels. Im Schloss wurde eine Lehrlingsausbildung angesiedelt.

Mit der Wende 1990 war damit Schluss. Doch die neue Freiheit brachte dem Schlossgut keinen Neuanfang, im Gegenteil. Der Niedergang ging in die zweite, in die vielleicht schlimmste Runde. Dieses Kapitel heißt: Verkauf durch die Treuhand. "Damals wurde der Fehler begangen, Schlossgut und die dazugehörigen Ländereien getrennt zu verkaufen", erzählt die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Walbeck, die ehemalige Landwirtschaftsministerin von Sachsen-Anhalt, Petra Wernicke (CDU).

Ländereien und Schloss getrennt verkauft

Etwa 350 Hektar Ackerfläche waren dem Schlossgut Walbeck direkt zugeordnet. Mit einem weiter entfernten Vorwerk waren es sogar knapp 600 Hektar. Wernicke: "Häufig konnten nach der Wende Güter und die dazugehörigen Ländereien nur zusammen erworben werden. Beim Gutshof Walbeck verfuhr die Treuhand leider anders." Die Ländereien wurden sofort erfolgreich verkauft, das Schlossgut zwar auch – aber alles andere als erfolgreich.

"Viermal hat seit Beginn der 1990er Jahre der Besitzer gewechselt. Passiert ist nichts", so Petra Wernicke. Hotel mit Gastronomie und Reiterhof sollte es einmal werden. Sogar ein SOS-Kinderdorf war mal angedacht. Nach wenigen Jahren haben die potenziellen Investoren kalte Füße bekommen und das Schlossgut weiterveräußert. Zu hoher Sanierungsaufwand, zu wenig Fördermittel. Wernicke: "Derzeit ist es im Besitz einer spanischen Investorengruppe. Auf Drängen des Landkreises wollte die zuletzt zwar immerhin einen Hausmeisterdienst zur Gebäudesicherung bereitstellen. Aber davon ist bislang auch nichts zu sehen." Dabei wurden in den vergangenen Jahren einige Gebäude aus DDR-Zeiten bereits abgerissen. Für ältere Wirtschaftsgebäude gibt es Abrissgenehmigungen. Doch die Spanier wollen trotzdem verkaufen.

Von der Planung, dass das Schlossgut bei der Treuhand-Versteigerung nun am 26. März erneut unter den Hammer kommt, erfuhr die Bürgermeisterin von der Volksstimme. "Das ist ja ein Ding." Ob das Gut tatsächlich verkauft wird, darf allerdings angezweifelt werden. "Die Spanier wollten es im Frühjahr 2010 schon einmal verkaufen. Das hat aber nicht geklappt. Es gab keinen Interessenten", erinnert sich die Bürgermeisterin. 49 000 Euro soll das einstmals imposante Rittergut kosten. Genug Platz zum Wohnen wäre ja. Wohnnutzfläche insgesamt etwa 12 000 Quadratmeter, im Schloss knapp 3000 Quadratmeter.

Für die 900-Einwohner-Kommune Walbeck – inzwischen ein Ortsteil von Hettstedt – ist das Schlossgut längst keine Freude mehr, sondern ein Klotz am Bein. Wernicke: "Ein kleiner Heimattiergarten grenzt unmittelbar an das Gut. Da besteht Einsturzgefahr." Auch seien es die Walbecker inzwischen leid, jedem Besucher erklären zu müssen, warum sich bei ihnen "seit der Wende nichts getan" habe. So ganz hat die Bürgermeisterin den Traum von einem finanzkräftigen Investoren aber noch nicht aufgegeben. "Warum nicht ein großes Hotel? Hettstedt hat kein Hotel. Und Walbeck liegt sehr verkehrsgünstig. Halle, Magdeburg und der Harz sind schnell zu erreichen."

Das heruntergekommene Schlossgut im Südharz ist in Sachsen-Anhalt sicherlich ein Extrembeispiel. Eine Ausnahmeerscheinung ist es nicht. "Herrenhäuser bereiten uns große Sorgen. Das ist die am meisten gefährdete Gebäudegattung", sagt Landeskonservatorin Ulrike Wendland am Landesamt für Denkmalschutz und Archäologie. Grundsätzlich sei zwar der Erhalt von Schlössern und Gutshäusern auch im Westen nicht einfach. Aber durch Krieg und Bodenreform ist die Lage in den neuen Bundesländern noch komplizierter.

In der DDR Heime und Kindergärten

Wendland: "Umnutzungen zu Kindergärten oder Heimen zu DDR-Zeiten waren weniger problematisch. Denn dadurch wurden die Gebäude wenigstens beheizt und Dächer geflickt. Schlimmer war vielfach der jahrelange Leerstand in den Jahren nach der Wende." Undichte Dächer und feuchte Wände haben in vielen Gütern in nur zwei, drei Jahren so schlimme Schäden angerichtet, dass Sanierungskosten dadurch extrem in die Höhe gestiegen sind.

Neue seriöse "Schlossherren" zu finden, sei deshalb schwierig. Auch die zunehmende Vermarktung von Immobilien über das Internet habe dazu beigetragen. "Das Internetgeschäft zieht Leute an, die ihre Möglichkeiten überschätzen. Da klickt jemand, der irgendwo auf der Welt sitzt, schnell mal ein Schloss für 1000 Euro an", so die Landeskonservatorin. Wieviel Schlösser und Gutshäuser sich in Sachsen-Anhalt in sehr sanierungsbedürftigem Zustand befinden, kann Ulrike Wendland kaum sagen. "Dazu gibt es keinerlei Statistik, weil sich die Güter zumeist in Privatbesitz befinden." Eine niedrige dreistellige Zahl sei es bestimmt, schätzt sie.

Nach der Datenbank des Landesamtes gibt es derzeit 263 Guts- und Herrenhäuser, 147 Schlösser, 80 Rittergüter, fünf Güter und 32 Domänen (Gutshöfe) in Sachsen-Anhalt. Bislang habe es ihres Wissens noch niemand gegeben, der den Komplettabriss einer Anlage beantragt habe. Teilabrisse zum Beispiel von Wirtschaftsgebäuden und Stallungen gebe es dagegen durchaus. Die Möglichkeiten zur Enteignung im Falle eines jahrelangen Leerstandes seien auch für die öffentliche Hand sehr begrenzt. "Dies ist zum einen mit Entschädigungszahlungen verbunden. Zum anderen schrecken natürlich Landkreise davor zurück, angesichts knapper Kassen Hausherr über solche großen Immobilien zu werden."

Schöne Schlösser – es gibt viele Beispiele

Dass eine Schloss- oder Gutshofsanierung vielleicht keine gewinnbringende, aber immerhin eine segensreiche Angelegenheit sein kann, beweisen in Sachsen-Anhalt eine ganze Reihe von neuen Besitzern von Schlössern und Gutshöfen. Ulrike Wendland nennt einige Beispiel: "Der Star in dieser Hinsicht ist sicherlich das Schlossgut Seggerde im Bördekreis. Familie von Davier hat das Gut und die Ländereien nach 1990 zurückgekauft." Die Familie wohnt im Gutshaus. Rudolf von Davier leitet den landwirtschaftlichen Betrieb – sogar historische Stallungen werden wieder bewirtschaftet. Ehefrau Bianca von Davier ist die Kultur-Verantwortliche. Das kleine Schloss Seggerde ist im Konzertbetrieb Sachsen-Anhalts inzwischen eine feste Adresse.

Andere Beispiele für vorbildliche Gutshofsanierungen sind die Schlossanlage Pietzpuhl der Familie von Wulffen im Jerichower Land und das Gutshaus der Familie von Bismarck im altmärkischen Briest. "Vielfach wurde dort mit hohem persönlichen Einsatz der Besitzer Stein für Stein saniert. Die Ergebnisse können sich wirklich sehen lassen", so die Landeskonservatorin.

Vielleicht erlebt das Gut Walbeck eine solche Zukunft ja auch noch? Vorsichtige Zweifel sind angebracht. "Sachsen-Anhalt ist reich gesegnet mit Baudenkmälern. Ein Stück weit ist es einfach Schicksal, wenn etwas davon vergeht", sagt Ulrike Wendland.