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DemonstrationenEin Blick aus einem Köthener Fenster

Der Tod eines 22-Jährigen in Köthen erhitzt die Gemüter. Während Menschen trauern, reden andere von einem "Rassenkrieg".

10.09.2018, 05:17

Köthen l Martina F. steht im Dunkeln. Das Licht in dem kleinen Raum, der früher ihr Kinderzimmer war und mittlerweile nur noch als Gästezimmer genutzt wird, ist aus. Mit versteinerter Miene, die Lippen aufeinander gepresst, lehnt die 55-Jährige am Fensterbrett und beobachtet die rund 1000 Menschen vor ihrem Haus und neben dem Spielplatz, auf dem einen Tag zuvor ein Streit zwischen drei Afghanen und einem 22-jährigen Deutschen tödlich endete. Mehrere rechtsextreme Gruppen haben an diesem Sonntagabend zu Mahnwache und Demonstrationen aufgerufen. "Ich hoffe, dass das friedlich endet", sagt Martina F. Es sei natürlich schlimm, dass dieser junge Mensch sterben musste und sie hoffe, dass der Fall vernünftig aufgeklärt wird. "Nationalitäten spielen dabei aber eigentlich keine Rolle."

Unter ihr, auf der Straße, spricht gerade David Köckert. Der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Rechstextremist ist Chef der "Volksbewegung Thügida", die in Thüringen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. "Jede Woche: Mord, Totschlag, Vergewaltigung und diese assoziale, deutsche Anti-Presse schweigt, weil es ein feiger Hühnerhaufen ist", schreit Köckert ins Mikrofon. Die Masse applaudiert. Einzelne Stimmen rufen "Lügenpresse", der Chor stimmt ein. Eine Frau streckt die Deutschlandfahne in die Höhe.

"Jetzt haben wir hier in Köthen leider traurige Bekanntheit erreicht", sagt die Büroangestellte, "bisher stand Köthen eigentlich nicht schlecht da. Wenn man dann mit so etwas aber direkt konfrontiert wird, ist das schon ein bisschen viel". F. lebt seit 1969 in dem Wohnhaus in der Köthener Innenstadt. "2015, als es losging, hatten wir mehr Flüchtlinge hier, jetzt sind es nicht mehr so viele", sagt sie. Bisher habe sie noch nie Probleme mit Ausländern gehabt, "zumindest nicht mehr als mit Deutschen, wenn die aus dem Jugendklub oder der Disko kommen und es mal etwas lauter ist". Sie selbst habe erst am Sonntagmorgen von dem Ereignis vor ihrer Haustür erfahren, als Beamte der Kriminalpolizei bei ihr klingelten und fragten, ob Sie am Vorabend etwas gesehen habe. Als F. weiterreden will, hallt erneut lautstarker Applaus durch das offene Fenster. Gefolgt von "Widerstand"-Rufen.

"Es ist ein Rassenkrieg gegen das deutsche Volk, was hier passiert", schreit Köckert der Masse entgegen. "Wollen wir weiter Schafe sein oder wollen wir zu Wölfen werden und sie zerfetzen?" Danach gefragt, was sie von der Mahnwache und den Demonstrationen halte, entgegnet F.: "Mahnwache? Das ist keine Mahnwache, das ist nur traurig." Es müsse sich etwas ändern im Land, ja, das stimmt, sagt F. "Es muss mehr darauf geachtet werden, wer ins Land kommt bzw. welche Vergangenheit der Mensch hat, aber kriminell ist kriminell. Ob das ein deutscher oder ausländischer Krimineller ist, ist mir egal. Menschen müssen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden". Angst habe Martina F. angesichts der sich abspielenden Szenen vor ihrem Haus nicht, "ich denke mal, es wird auch wieder ruhiger hier".

Die Ereignisse von Köthen zum Nachlesen im Liveticker.

Der Kommentar zum Thema: Keine Macht den Brandstiftern.