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Ein halbes Jahr nach dem Untergang des Elbe-Havel-Winkels herrscht nicht überall Feststimmung. Fischbeck: Weihnachten im Container

"Fröhliche Weihnacht überall..." Nicht überall! In einigen Häusern in
Fischbeck und anderen Dörfern elbabwärts leuchtet heute kein
Weihnachtsbaum. Gerade noch rechtzeitig vor dem Fest ist Familie
Grünwald zurück nach Hause gezogen.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 24.12.2013, 02:09

Fischbeck l Aik will gar nicht mehr raus aus seinem Kinderzimmer! Hier ist nicht zu übersehen, dass der Dreijährige mal Feuerwehrmann wie sein Papa werden will. Wenn der Weihnachtsmann heute Abend einen Gürtel mit Megafon und Halte-Kelle bringt, dann ist die Welt des Steppkes wieder perfekt. Er vergisst sicher schneller als seine Eltern Mandy und Tobias Grünwald, was der Deichbruch am 10. Juni angerichtet hat.

Das Wasser hat das Zuhause der jungen Familie verwüstet, in das sie erst ein Jahr zuvor eingezogen war. Kaum etwas ist vom alten Leben übrig geblieben. Denn Zeit, viel zu retten, war nicht geblieben, weil der 26-jährige Familienvater als Feuerwehrmann zusammen mit seinen Kameraden auf dem Deich gestanden hatte und versuchte, die Katastrophe abzuwenden. Die Wassermassen waren stärker und ließen den Wall bersten. Binnen Minuten erreichte die Elbe auch das schmucke, rot verputzte Haus am Fischbecker Ortsrand, stieg unaufhörlich bis auf einen Meter und flutete das Hab und Gut von Grünwalds, auch Aiks Spielzeug und sein Auto-Bett.

Ein halbes Jahr lang musste der Familie eine kleine Pension im benachbarten Tangermünde genügen. So manche Nacht haben die Eltern schwer in den Schlaf gefunden vor Sorge um die Zukunft. Auch wenn die Versicherung die Schäden am Haus beglichen hat, das Inventar ausgerechnet gegen Hochwasser nicht versichert.

Wie alle anderen auch krempelte das junge Paar die Ärmel hoch und fing noch einmal fast von vorn an. Nur ein Rohbau blieb übrig, nachdem Wände abgeschlagen und sämtliche Installationen rausgerissen waren. "Oft haben unsere Nerven blank gelegen und wir mussten uns gerade vor Aik zusammenreißen", sagt Tobias Grünwald.

Doch die große Herausforderung hat das Paar zusammengeschweißt und immer mehr macht sich Erleichterung breit, rechtzeitig zu Weihnachten zurück zu Hause zu sein. Aiks Zimmer war als erstes fertig und ist auch am schönsten geworden. Oliver Murawski aus Stendal, ein Graffiti-Künstler, hat den Raum mit Feuerwehrmotiven gestaltet.

"Eigentlich wollten wir ja erst umziehen, wenn alles fertig ist. Aber zum Jahresende mussten wir die Pension räumen. Deshalb mussten wir jetzt Druck auf der Baustelle machen. Zum Glück haben Maler und Fliesenleger nicht auf die Uhr geschaut und ihr Möglichstes getan", sind Grünwalds dankbar. Auch ihren Eltern, den anderen Helfern und den Spendern - "die tatkräftige Hilfe hat vieles leichter gemacht, allein kann man so eine Katastrophe gar nicht bewältigen".

Bei aller Freude über den Wiedereinzug sind Grünwalds längst nicht sorgenfrei. Denn es gibt an einigen Stellen im Haus feine Haarrisse. Wo kommen die her? Das Grundwasser steht hoch, schwankt, viele Häuser im Flutgebiet "schwimmen". Hält die Statik das aus? Was passiert, wenn das Grundwasser wieder Normstand erreicht? Die Gedanken daran wollen Grünwalds heute ausblenden und einfach nur das Weihnachtsfest genießen. Heller als die Weihnachtssterne am Tannenbaum strahlen Aiks Augen - dafür hat sich all die Mühe der letzten Wochen gelohnt!

Bis Edelgard Lüdtke ihre eigenen vier Wände wieder einrichten kann, dauert es noch ein paar Wochen. Karg ist der Weihnachtsschmuck in ihrer Stube. Denn die ist auch gleichzeitig Schlafzimmer und Küche, alles zusammen keine 13 Quadratmeter groß. Die 73-Jährige muss in einem Container leben, weil ihr Haus noch nicht bewohnbar ist. Gut, dass das gleich nebenan stehende Haus von Sohn Guido nicht ganz so stark betroffen war, das Wasser hier "nur" das Kellergeschoss geflutet hatte. Deshalb verbrachte die Familie mit vier Hunden die Tage der Flut auch in Fischbeck, hatte mit Lebensmitteln und Notstromaggregat vorgesorgt.

Einen Meter hoch stand das Wasser in der Wohnung der Seniorin, sämtliches Inventar ist vernichtet. Mehrere Wochen lebte die 73-Jährige in einer Pension. Aber als es im November die Möglichkeit gab, einen vom DRK bereitgestellten Container zu erhalten, packte Edelgard Lüdtke ihre Sachen, um wieder nach Hause zu kommen, "größer als der Container war mein Pensionszimmer ja auch nicht!"

Die Möbelspenden anzunehmen, fiel ihr nicht leicht, "man kommt sich vor wie ein Bittsteller, aber es nützt ja nichts!" Von hier aus ließen sich auch die Bauarbeiten besser überwachen. Verputzt sind die Wände inzwischen, aber es fehlen die Fliesen und Tapeten. "Es wird wohl Februar, bis ich wieder einziehen kann..."

Dieses Ziel vor Augen, lässt sich Edelgard Lüdtke nicht entmutigen. So wie früher, vor dem Deichbruch, macht sie sich jeden Tag mit dem Fahrrad und ihren beiden Dackeln auf zu einer Runde in die Umgebung, zum Beispiel nach Kabelitz. "Schlimm zu sehen, wie auch hier schon ein Haus abgerissen werden musste. Da sind wir noch vergleichsweise glimpflich davongekommen!"

Den Heiligabend verbringt sie natürlich nicht im Container, sondern nebenan bei Sohn Guido, Schwiegertochter Franka und dem elfjährigen Enkel Mourice.

Auch bei Familie Haberland wird es noch ein Weilchen dauern, bis die Spuren der Flut beseitigt sind. In der oberen Etage ihres Hauses haben sich Brigitte, Hubert und Tochter Viktoria notdürftig eingerichtet, die untere Etage ist immer noch Rohbau. Dennoch ließ es sich Brigitte Haberland nicht nehmen, in der Stube einen Tannenbaum aufzustellen, "so kommt wenigstens ein bisschen Weihnachtsstimmung auf".

Bei Elke und Rüdiger Reimann hält sich die Freude am Fest in Grenzen, aber die Vorfreude ist umso größer. Denn am 18. Februar wird ihr neues Haus aufgestellt. Es besteht aus Fertigteilen, "Mitte März können wir hoffentlich einziehen", kann Rüdiger Reimann diesen Tag kaum erwarten.

Ihr Haus musste nach der Flut abgerissen werden. Jetzt lebt sie in einer schimmeligen Neubauwohnung. Zu Hause fühlen sie sich hier nicht. Den Heiligen Abend verbringen sie bei der Familie ihrer Tochter Antje. "Unsere drei Enkelkinder zu sehen, wenn sie mit strahlenden Augen die Päckchen auspacken, ist für uns Großeltern das allerschönste Geschenk", sagt Elke Reimann.

Aik Grünwald kann den Weihnachtsmann kaum erwarten. Und dann kommt ja auch noch sein vierter Geburtstag. Silvester. Wenn seine Eltern die Raketen in den Himmel steigen lassen, wünschen sie sich eins ganz besonders: ein katastophenfreies Jahr 2014!