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Ernährung Forscher züchten Fleisch im Labor: Diese Vorteile sehen Wissenschaftler aus Bernburg

Schinken, Steaks, Wurst: All das könnte in Zukunft nicht nur aus dem Schlachthof, sondern auch aus dem Labor kommen. Wissenschaftler der Hochschule Anhalt in Bernburg sehen darin viele Vorteile.

Von Robert Gruhne Aktualisiert: 28.02.2023, 10:26
In einem Reagenzglas in der Hochschule Anhalt in Bernburg befinden sich Zellen von Schweinen.
In einem Reagenzglas in der Hochschule Anhalt in Bernburg befinden sich Zellen von Schweinen. Foto: Robert Gruhne

Bernburg - 28 Gramm. Gerade einmal ein kleines Reagenzglas voll Zellen haben die Bernburger Forscher bekommen, um sie zu untersuchen. Zumindest fürs Erste. „Wir sind noch im Grammbereich, aber am Ende des Projekts wollen wir im Kilogrammbereich sein“, sagt Wolfram Schnäckel. Aus den Zellen soll einmal Schweinefleisch werden – gezüchtet im Labor.

„Cellzero Meat“: Bernburger Forscher züchten Fleisch im Labor

Schnäckel ist Professor für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Gemeinsam mit seiner Kollegin Sandra Warmuth arbeitet er im Forschungsprojekt „Cellzero Meat“. Projektpartner sind das Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern, das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie in Greifswald und das Unternehmen Pan-Biotech aus Bayern. Die Bundesregierung fördert das Projekt mit 1,2 Millionen Euro. Etwa ein Zehntel davon fließt nach Bernburg. In Deutschland ist es nach Angaben der Forscher das einzige geförderte Projekt zu dem Thema.

Wir müssen das Tier weder quälen noch töten.

Sandra Warmuth

Die Idee, Fleisch im Labor herzustellen, ist nicht neu. Schon vor zehn Jahren stellte ein niederländisches Forscherteam einen Burger aus Zellfleisch her. Der Gegenwert des Burgers damals: 250.000 Euro. Überall auf der Welt wurde an der Verbesserung des Zellfleischs geforscht. In Singapur darf Fleisch aus Stammzellen bereits vermarktet werden. Dort gibt es das Zell-Hühnchen-Curry heute schon für vier US-Dollar.

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Fleisch aus Stammzellen: Neues Verfahren verringert Kosten

Der gewaltige Preissturz liegt daran, dass mittlerweile Milliarden in die Forschung geflossen sind. „Wir sind spät dran“, sagt Wissenschaftlerin Sandra Warmuth aus Bernburg. Allerdings hat das Forschungsteam ein vielversprechendes neues Verfahren entwickelt.

„Wir müssen das Tier weder quälen noch töten“, meint Warmuth. Denn bei der „klassischen“ Fleischproduktion aus Stammzellen sei das bisher nicht der Fall. Dafür müssen nämlich die Stammzellen lebender Tiere entnommen werden. „Sie sterben nicht, aber es ist schmerzhaft“, sagt Schnäckel zu der Biopsie.

Ich sehe keine anderen gesundheitlichen Risiken als bei normalem Fleisch.

Wolfram Schnäckel

Das Forschungsteam hat nun eine andere Möglichkeit gefunden, um an die Stammzellen zu kommen. Sie verwenden Blut aus der Nabelschnur von frisch geborenen Ferkeln, also schmerzlos.

In den Niederlanden hat ein Forschungsteam um Mark Post schon im Jahr 2013 einen Burger aus Zellfleisch hergestellt.
In den Niederlanden hat ein Forschungsteam um Mark Post schon im Jahr 2013 einen Burger aus Zellfleisch hergestellt.
Foto: dpa

Forscher verzichten auf Antibiotika

Auch für ein zweites großes Problem haben die Forscher einen Lösungsansatz gefunden. Die Stammzellen müssen sich nach der Biopsie im Labor vermehren. „Die Zellen müssen in der Nährlösung absolut steril sein. Deshalb wird vor allem mit Antibiotika gearbeitet. Aber das wollen wir nicht“, betont Schnäckel. In ihrem Verfahren bleiben die Zellen dem Professor zufolge auf physikalische Weise ohne Antibiotika und Chemie völlig steril.

Aber Stammzellen sind noch kein Fleisch. Sie müssen sich erst zu Muskelgewebezellen entwickeln. Das geschieht über die Zugabe von Enzymen. Laut Schnäckel gibt es bei der „Fleischwerdung“ wiederum zwei verschiedene Wege: Entweder lässt man das Gewebe einfach wachsen. Oder man nimmt die verschiedenen Zellen und setzt sie mit einem 3D-Drucker zu Fleisch zusammen. Ein Unternehmen in Israel habe das ihm zufolge schon getestet.

Die Lebensmittel- und Ernährungsforscher Wolfram Schnäckel und Sandra Warmuth tüfteln an der Hochschule Anhalt in Bernburg an Schweinefleisch aus Stammzellen.
Die Lebensmittel- und Ernährungsforscher Wolfram Schnäckel und Sandra Warmuth tüfteln an der Hochschule Anhalt in Bernburg an Schweinefleisch aus Stammzellen.
Foto: Robert Gruhne

Wenn die Zellen schließlich absterben, müssen sie noch reifen – so wie herkömmliches Fleisch auch. Dafür sind Temperatur und Luftfeuchtigkeit entscheidend. „Es soll ein saftiges, wohlschmeckendes Stück Fleisch herauskommen“, sagt Schnäckel.

Die Stammzellen kommen aus dem Institut in Dummerstorf. Die Bernburger Forscher arbeiten vor allem daran, wie das Fleisch weiter verarbeitet werden kann. Sie untersuchen die Zellmasse: Wie ist die Dichte? Wie ist die Zusammensetzung? Die Gesundheit betreffend machen die Forscher sich keine Sorgen. „Ich sehe keine anderen gesundheitlichen Risiken als bei normalem Fleisch“, meint Wolfram Schnäckel.

Kann Zellfleisch bald die Welt ernähren?

Im Labormaßstab funktioniert das Verfahren, das das deutsche Forschungsteam entwickelt hat, schon. Im Projekt gehe es nun darum, einen größeren Maßstab zu entwickeln. „Das Ganze muss auch wirtschaftlich funktionieren“, sagt Schnäckel. Die Bernburger Forscher sind, was das angeht, zuversichtlich. Ihr Anspruch ist, dass Fleisch aus Schlachtung und aus dem Labor irgendwann nicht mehr zu unterscheiden sein werden.

Zellfleisch wird die Möglichkeit sein, die Bevölkerung auf der ganzen Welt satt zu kriegen.

Sandra Warmuth

Wolfram Schnäckel und Sandra Warmuth gehen davon aus, dass der weltweite Hunger nach Fleisch bleiben wird, auch wenn der Konsum in Deutschland aktuell weiter sinkt. „Die Weltbevölkerung steigt und alle wollen Eiweiße. Zellfleisch wird aus unserer Sicht die Möglichkeit sein, die Bevölkerung auf der ganzen Welt satt zu kriegen“, meint Warmuth. Die beiden Forscher sehen nicht zuletzt als weitere Vorteile des Zellfleisches, dass die CO2-Emissionen deutlich reduziert werden können und dass weniger landwirtschaftliche Fläche für die Tierhaltung verbraucht wird.

Bis Juni 2024 läuft das Projekt „Cellzero Meat“. Wolfram Schnäckel und Sandra Warmuth hoffen nun, dass bald Zell-Nachschub aus Dummers-torf kommt.