Volkskrankheit Sachsen-Anhalt hat Rücken: Bürger im Land stärker betroffen als die meisten Deutschen
Sachsen-Anhalter leiden deutlich häufiger unter chronischen Rückenbeschwerden betroffen als andere Deutsche. Ein neues Wirbelsäulenzentrum am Klinikum Magdeburg soll in besonders schweren Fällen jetzt helfen – wenn möglich ohne OP.

Magdeburg - Reinhard Pecher, selbständiger Fliesenleger aus Thale im Harz, arbeitet seit 50 Jahren auf Baustellen. Seit 30 Jahren hat er Rückenprobleme. Zwei Bandscheibenvorfälle und ein eingeklemmter Nerv stehen in seiner Krankenakte. Mehrere Monate war er zuletzt krankgeschrieben. Damit ist der 65-Jährige nicht allein.
Rückenschmerzen sind eine – wenn nicht die Volkskrankheit in Deutschland. 26 Millionen Menschen waren zuletzt betroffen. Die Produktionsausfallkosten durch Fehltage beliefen sich allein im Jahr 2022 auf 12,4 Milliarden Euro.
Fast 36 Prozent zwischen Arendsee und Zeitz leiden unter Rückenbeschwerden
In Sachsen-Anhalt schlägt das Leiden dabei indes nochmals deutlich häufiger als in anderen Bundesländern zu. Mehr als jeder Dritte (35,98 Prozent) zwischen Arendsee und Zeitz wird von chronischen Rückenbeschwerden geplagt. Das geht aus Daten des Gesundheitsatlasses 2023 der AOK hervor. Das Land kommt damit nach Thüringen auf den zweithöchsten Anteil bundesweit (Bundesschnitt: 31,6 Prozent).

„Rückenschmerzen gehören damit zu den häufigsten Gesundheitsproblemen“, sagt Corinna Beutel, Leiterin des AOK-Geschäftsbereichs Gesundheit und Versorgungsprogramme. Frauen trifft es häufiger als Männer. Die Daten decken sich mit denen anderer Kassen. So begaben sich laut Barmer 618.000 Sachsen-Anhalter 2023 wegen Rückenschmerzen mindestens einmal in ärztliche Behandlung.
Viele wissen um Haupttreiber für Rückenbeschwerden, nur eine Minderheit wird aktiv
„Grund für die hohe Rückenschmerz-Quote in Sachsen-Anhalt dürfte vor allem die Alterung der Bevölkerung sein“, sagt Jörg Franke, Ärztlicher Direktor am Städtischen Klinikum Magdeburg. Mit 48,2 Jahren lag das Durchschnittsalter 2024 in keinem Bundesland höher. Im Alter über 65 Jahre hat auch bundesweit indes mehr als jeder Zweite mit Rückenproblemen zu kämpfen.
Fragt man die Sachsen-Anhalter, können die meisten Betroffenen die Treiber für ihre Rückenprobleme klar benennen. So wissen laut einer AOK-Umfrage von 2024 96 Prozent der Befragten, dass Bewegungsmangel Rückenschmerzen verschlimmern kann. Fast ebenso viele wissen um die nachteilige Bedeutung von Übergewicht, einseitigem Sitzen oder schwerem Heben – viele auch von der negativen Rolle von Dauerstress.

Grund für die hohe Rückenschmerz-Quote in Sachsen-Anhalt dürfte vor allem die Alterung der Bevölkerung sein.
Professor Jörg Franke
Gleichzeitig werden die meisten trotzdem nicht aktiv: Nur 41 Prozent kümmern sich ihrer Meinung nach ausreichend um ihre Rückengesundheit, etwa durch Bewegung. Berufliche Risiken wie die von Reinhard Pecher kann Bewegung auf eigene Faust allein allerdings nicht in jedem Fall ausgleichen.
Das Klinikum Magdeburg hat auch deshalb in Kooperation mit der AOK für rund 600.000 Euro zum Jahresbeginn ein spezialisiertes Rückenzentrum eröffnet – bundesweit gibt es laut AOK derzeit lediglich vier ähnliche Einrichtungen.
Neues Wirbelsäulenzentrum von Klinikum Magdeburg und AOK
Zielgruppe seien Patienten mit besonders langen Ausfallzeiten und anhaltenden Rückenproblemen, sagt Ärztedirektor Jörg Franke, zugleich Chef der neuen Einrichtung sowie der Orthopädie im Klinikum.
Die Auswahl erfolge allein über die AOK und eine Ärztebesprechung, sagt der Mediziner. Im Zentrum befassen sich Orthopäden, Schmerztherapeuten, Psychologen und Physiotherapeuten mit den Patienten. Nach einem Erstgespräch wird ein passender Therapieplan erstellt. Es folgt ein vierwöchiges, tägliches körperliches und mentales Training. Ziel laut Kasse: Schmerzen nachhaltig zu lindern, die Beweglichkeit zu verbessern und den Patienten zu einem aktiven Alltag zu verhelfen – wenn möglich ohne Operation.
Vier Wochen Kombi-Training: Ein Spaziergang kann mehr bringen als das Fitnessstudio
„Das Rezept ist dabei weniger, die Patienten an die Kraftmaschine zu stellen“, sagt Jörg Franke. „Es geht viel mehr um Koordination und Kognition. Das Geheimnis ist die Kombination.“ Richtig angewendet könne etwa ein Waldspaziergang mehr bringen, als bloßes Training im Fitness-Center. Oft gehe es auch darum, Ängste vor der Bewegung zu nehmen und diese durch Freude zu ersetzen, zum Beispiel durch Tanzen. Zwischen 50 und 100 Patienten hat das Zentrum bisher behandelt. „Der Erfolg ist dabei statistisch schwer messbar“, sagt Franke.
„Wir haben aber überaus positive Rückmeldungen sowohl mit Blick auf die Schmerzreduktion als auch auf die Belastbarkeit.“ Reinhard Pecher hat im März am Programm teilgenommen. Die ersten Tage seien schmerzhaft gewesen, erzählt er. Inzwischen aber gehe es ihm gut. „Das Programm hat mir in jedem Fall etwas gebracht“, sagt er.