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Raupenplage Schädling erzürnt die Altmärker

Im Kampf gegen den Eichenprozessionsspinner hat ein Bürgermeister aus der Altmark zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen: Selbstanzeige.

Von Alexander Walter 12.06.2018, 01:01

Magdeburg l In der Altmark eskaliert der Konflikt um die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners. Anlass ist der Zusammenbruch eines achtjährigen Mädchens kürzlich in der Grundschule Groß Garz. Sie fiel in Ohnmacht, entwickelte Schwellungen an den Augen und Hautausschlag. Wie Ärzte später feststellten, eine allergische Reaktion auf die giftigen Härchen des Eichenprozessionsspinners.

In der Verbandsgemeinde Seehausen ganz im Nordosten der Altmark ist der Befall besonders massiv. Das liegt am hohen Bestand an Eichen. Mehr als 10.000 der Hartholzbäume stehen hier. Bürgermeister Rüdiger Kloth (CDU) hat nun zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen: Weil er sich mit der Bekämpfung des Prozessionsspinners seit Jahren vom Land alleingelassen fühlt, hat er sich „wegen Körperverletzung im Amt“ selbst angezeigt. Der Fall liegt bei der Staatsanwaltschaft Stendal.

Als Bürgermeister sei es seine Aufgabe, die Bevölkerung vor Schaden zu bewahren, begründet Kloth. Das könne er nicht mehr zusichern. Der CDU-Mann hofft endlich auf die nötige Aufmerksamkeit für das Thema, wie er sagt. „Die Konsequenzen für mich sind zweitrangig.“ Sie könnten ohnehin nicht größer sein als das Leid der Bevölkerung. Kloth spricht von Dutzenden Betroffenen, der Fall der kleinen Pauline sei nur der vorläufige, traurige Höhepunkt.

Dabei hat die Gemeinde nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren 300.000 Euro in die Bekämpfung der Raupen investiert. Auch in diesem Jahr ließ sie 1700 Bäume auf 30 Hektar aus der Luft behandeln. Das reiche aber nicht, sagt der Bürgermeister. Viele Kommunen – vor allem in der waldreichen Altmark – seien logistisch und finanziell überfordert. Schon 2017 habe man deshalb eine flächendeckende Bekämpfung durch das Land gefordert.

Das allerdings kommt diesem Wunsch so nicht nach. Zwar stellt es 2018 insgesamt 330.000 Euro bereit. Bei den Gemeinden kommt davon aber kaum etwas an. Das meiste Geld fließt in die Bekämpfung in den Wäldern, ein weiterer Teil in Maßnahmen an Elbe- und Europaradweg.

Das Problem: Es gibt ein Wirrwarr an Zuständigkeiten, sagt Kloth. Tatsächlich liegt die Koordinierung zwar bei dem dem Umweltministerium unterstellten Landeszentrum Wald (LZW). Teilzuständigkeiten bleiben aber erhalten. Das Umweltministerium etwa verweist darauf, dass es nur für Waldflächen zuständig sei – alles andere sei Sache von Kreisen und Kommunen. Auch Innenministerium (Kommunen) und Wirtschaftsministerium (Tourismus) haben eigene Zuständigkeitsbereiche.

Weiteres Problem: Nach Ansicht Kloths fehlt es an einem wirksamen Mittel gegen die Raupen. Zugelassen sind aus Umweltschutzgründen nur indirekt wirkende biologische Insektizide. Die aber seien zu niedrig dosiert und überdies im jetzigen Stadium des Raupenwachstums nicht mehr von Nutzen.

Für seine Aktion erhält der Bürgermeister Unterstützung anderer Kommunen: „Die Landesregierung hat sich aus der Verantwortung genommen“, stellt Tangerhüttes Bürgermeister Andreas Brohm fest.

„Manchmal bedarf es ungewöhnlicher Maßnahmen“, ergänzt René Schernikau, Bürgermeister der altmärkischen Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck. Die Zuständigkeit für die Bekämpfung müsse endlich zentral beim Land liegen.

Die CDU-Fraktion im Landtag attackiert in der Debatte das nun grün geführte Umweltministerium von Ministerin Claudia Dalbert: „Das Ministerium sollte viel stärker koordinierend tätig werden“, fordert Innenexperte Chris Schulenburg. So müsse die Behörde Ausschreibungen für die Bekämpfung in die eigene Hand nehmen sowie das Befliegen und Absaugen überwachen.

Separate Zuständigkeiten seien grundsätzlich sinnvoll, hier aber liege ein landkreisübergreifendes Problem vor, ergänzte Schulenburg. Zudem sollte sich das Ministerium um ein wirksameres Bekämpfungsmittel kümmern. Auch SPD-Innenexperte Rüdiger Erben fordert die Bekämpfung in zentrale Hände zu legen. „Vorbild könnte Brandenburg sein“, sagte er. Dort habe die Landesregierung die Aufgabe dem Landwirtschaftsministerium zugeteilt. Seitdem erfolge die Bekämpfung wesentlich effektiver, sagte Erben. Der SPD-Mann fordert zudem die Unterstützung betroffener Gemeinden. Das Problem betreffe nur wenige Kommunen in dem Maße wie in Seehausen, sagte er.

Auch die Staatskanzlei hat inzwischen Handlungsbedarf erkannt. Ministerpräsident Haseloff werde das Thema am heutigen Dienstag im Kabinett ansprechen, sagte Regierungssprecher Matthias Schuppe gestern. Rüdiger Kloth hofft derweil auf eine rasche Lösung. Er fürchtet weitere Fälle wie den von Pauline.

Der Kommentar zum Thema finden Sie hier.