Alte Handwerksbetriebe in Sachsen-Anhalt zwischen Tradition und Moderne Die letzten ihrer Zunft
Magdeburg. Bürstenmacher, Kürschner - viele wissen nicht, dass es solche Berufe überhaupt noch gibt. Wie schaffen es solche Handwerksläden, in der heutigen Zeit zu überleben?
Es gibt nur noch wenige Menschen in Sachsen-Anhalt, die Geigen, Handschuhe oder Seile von Hand fertigen. Sie führen alteingesessene Familienbetriebe fort, bieten traditionelle Waren an - müssen aber auch mit neuen Ideen Kunden gewinnen.
So wie Ursula Römer, Bürstenmacherin aus Naumburg (Burgenlandkreis). Die 73-Jährige produziert in der 1885 von ihrem Urgroßvater gegründeten "Bürstenmanufaktur Steinbrück" Besen und Bürsten aller Art. Selbst Touristen aus Indien, den USA und Japan schätzen die Unikate. Sogar die "New York Times" hat schon über Römer berichtet. "Es ist ein aussterbender Beruf", sagt sie. "Ich will das Alte bewahren, wie es meine Vorfahren gemacht haben."
Obwohl ihr Handwerk viel Bewunderung erfahre, greifen die Kunden am Ende oft zur günstigeren Variante aus dem Kaufhaus. "Man muss sich immer etwas Neues einfallen lassen", erklärt Römer. Neben Handfegern und Pinseln stellt sie neuerdings auch Computerbürsten her, die Krümel aus Tastaturen entfernen.
Doch die besten Produkte nützen nichts, wenn Kunden nicht den Weg zum Geschäft finden. Hätte ihr Urgroßvater damals den Laden in einer Seitenstraße gekauft, würde es sie heute nicht mehr geben, ist die Bürstenmacherin überzeugt.
Oft würden alte Handwerksberufe noch existieren, ohne dass die Leute überhaupt von ihnen wissen, meint Therese Klette von der Handwerkskammer Magdeburg. "Der Otto-Normalverbraucher weiß nicht unbedingt, was er sich alles von Hand anfertigen lassen kann."
Gerade im historischen Kunsthandwerk fristen viele Betriebe in Sachsen-Anhalt ein Nischendasein. Einen davon führt Kürschnermeister Stefan Gehring aus Magdeburg. In seinem Geschäft verarbeitet der 54-Jährige in dritter Generation Tierfelle zu Pelzkleidung.
"Vom Pelz alleine könnte ich heute nicht leben."
Als Gehrings Großvater 1920 den Laden gründete, gab es mehrere solcher Handwerker in der Stadt. Heute existieren bundesweit etwa 250 solcher Betriebe, sechs davon im Kammergebiet der Handwerkskammer Magdeburg. Die Traditionen pflegen und trotzdem mit der Zeit gehen - das ist auch Gehrings Devise. Bis zur Wende machten die edlen Felle noch das Hauptgeschäft aus. Seitdem die Pelznachfrage gesunken ist, bringen Lederwaren den größten Umsatz. "Vom Pelz allein könnte ich nicht leben", sagt Gehring. Dennoch glaubt der Kürschner nicht, dass sein Beruf in absehbarer Zeit aussterben wird. "Er hat sich gewandelt. Heute sind wir kreative, individuelle Bekleidungsshersteller."
Immer öfter kommen auch junge Kundinnen, die sich alte Fellmäntel vom Flohmarkt aufarbeiten oder daraus modische Jacken nähen lassen. "Andere haben einen Pelz von ihrer Großmutter geerbt. Da hängen Emotionen dran." Manchmal landen dabei Mäntel in der Werkstatt, die früher sein Vater verkauft hat. "Pelz-Recycling" nennt Gehring das: Aus schon vorhandenen Pelzteilen entsteht etwas Neues.
Obwohl Gehring ein seltenes Handwerk beherrscht, hat auch er Konkurrenz: Boutiquen, die Echtpelze verkaufen. "Dort entdecken die Leute zufällig hübsche Fellwesten. Zu mir kommen sie, wenn sie einen bestimmten Wunsch haben wie zum Beispiel eine rosa Fellbommel."
Manche solcher Nischenbetriebe verschwinden ganz. Vor allem, wenn die Inhaber zu alt geworden sind und keinen Nachfolger haben. So hat es vor einigen Jahren im Kammergebiet der Handwerkskammer Magdeburg noch Hutmacher, sogenannte Modisten, gegeben, berichtet Klette.
Auch Kürschner Gehring weiß noch nicht, wie es mit seinem Laden später weitergehen soll. Früher hatte er Lehrlinge ausgebildet, die nicht geblieben waren. Seine Tochter will nicht in seine Fußstapfen treten. Ein Interessent könnte jedoch den Laden nebst Kundenstamm übernehmen.
"Ich will meiner Kundschaft treu bleiben."
Die Zukunft der Naumburger Bürstenmanufaktur ist ähnlich unsicher. "Ich will meiner Kundschaft treu bleiben", sagt Römer. Ihr Vater stand bis vor seinem Tod mit 99 Jahren noch im Laden. Ob ihr Angestellter, der Partner ihrer Tochter, das Geschäft übernehme, sei unklar. Für die Handwerkskammer Halle kein Einzelfall: In den kommenden Jahren werden etliche Geschäftsführer aus Altersgründen ihr Familienunternehmen verlassen. An eigenen Nachwuchs übergeben sie es nur selten - oft lohne sich die Übergabe finanziell nicht.
Und doch werden alte Zünfte wegen ihrer Qualität überleben, vermutet Klette von der Handwerkskammer Magdeburg. Kunden schätzen das Besondere, abseits der Massenware: "Bäckerbrötchen, maßgefertigte Anzüge, Fellwesten vom Kürschner." Entscheidend sei auch der regionale Faktor - die Verbraucher wissen, wo die Produkte herkommen.