Messie verwandelt Wohnung in Barby in stinkenden Müllberg Verflixt und zugemüllt
Essensreste, dreckige Kleidung, Verwesungsgeruch - ein 52-Jähriger hat
eine Wohnung in Barby (Salzlandkreis) beim Auszug als Trümmerfeld
hinterlassen. Der neue Hauseigentümer schwankt zwischen Grausen und
Faszination.
Barby l "Wer das mal entrümpeln muss, der ist nicht zu beneiden", hält sich Nachbar Bernd K. die Nase zu. Er steigt über Berge von Müll, der sich in der gesamten Wohnung türmt.
Obwohl es ziemlich kalt ist und das Fenster seit Tagen offensteht, stinkt es in Stube, Schlafzimmer, Küche und Bad wie auf einer Müllkippe. Es ist jener süßliche Geruch der Verwesung, der auch Hartgesottene angreift. Tausende Lebensmittelverpackungen, Getränketüten oder Flaschen sind teilweise zu hüfthohen Bergen angewachsen. In der Küche findet man zwischen Schuhen, dreckigen Strümpfen und getragener Oberbekleidung Essensreste in den Töpfen. Aus einer angebrochenen Eierpappe huscht eine Maus.
Auffällig sind jede Menge Dosen Deospray. Offensichtlich überdeckte der Bewohner mit deren Inhalt sein hygienisches Defizit. "Wir haben es ja schon lange vermutet", reibt sich Bernd K. das Kinn. "Aber dass es so schlimm ist, hätten wir uns nie träumen lassen." Er wohnt Parterre, die Wohnung über ihm ist das Problem.
Auf den ersten Blick nicht ungepflegt
Hier ging bis zum vergangenen Herbst ein alleinstehender Mann ein und aus. 52, braun gebrannt und auf den ersten Blick keine ungepflegte Erscheinung. Er sei Hartz-IV-Empfänger gewesen, man habe ihn oft in Barby gesehen, wo er ständig einen Rucksack bei sich hatte. "Wenn man sich mit dem unterhielt, merkte man: Der ist nicht dumm", erinnert sich Heinz W. aus dem Nebenhaus. Woher der Mann kam, wie lange er in Barby wohnte und wohin er verschwunden ist, kann keiner der Nachbarn sagen.
Insider der "Vermieter-Szene" wissen es allerdings: Der Mann sei aus Calbe gekommen, ab 1999 in Barby gemeldet, dann mehrmals innerhalb der Stadt umgezogen und würde jetzt in Magdeburg leben.
Neuer Besitzer und Vermieter des über 200 Jahre alten Hauses ist Ulf M. aus Berlin, der wie alle anderen Beteiligten dieser Geschichte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Das Haus sei zwangsverwaltet gewesen, jetzt stehe er vor zwei großen Aufgaben: Die Wohnung zu entmüllen und so herzurichten, dass sie wieder vermietet werden kann. Der 52-jährige Messie sei dort noch im Nebenwohnsitz gemeldet, Miete bekommt Ulf M. nach eigenen Angaben nicht.
Messie-Wohnungen in allen sozialen Schichten
Der Berliner, der dort der Kunstszene nahesteht und Bücher schreibt, versucht, der Sache noch etwas Positives abzuringen: "Ich überlege, einen Fotografen nach Barby zu schicken." Auch Morbidität und Zerfall würden eine gewisse Faszination haben... Danach würde dann aber ganz schnell der Müll entsorgt.
Dipl. med. Martina Unger, Amtsärztin im Salzlandkreis, kennt das Messie-Syndrom. Zwar würde es bei dementen Menschen hin und wieder auftreten, bei Jüngeren allerdings in ihrem Amtsbereich selten. Sie spricht in solchen Fällen von einem "Zustand, weniger von einer Krankheit", der nicht therapierbar sei. "Man kann versuchen, diese Menschen zu unterstützen, damit sie in einen geregelten Tagesablauf kommen", sagt Martina Unger. Vermutlich wird die neue Wohnung in Magdeburg ebenso zugemüllt wie die Barbyer. Was Jahre dauern kann.
Das Messie-Syndrom beginnt mit einer harmlosen Neigung, Zeitungen oder leere Schachteln zu sammeln, Dinge, die man vielleicht wieder brauchen kann. Nicht selten wird daraus ein Zwang. Wie auch die Internet-Recherche ergab, ist das Barbyer Beispiel typisch. In der Messie-Wohnung stapelt sich der Unrat, bis dem Betroffenen kaum noch Platz bleibt und er umzieht. Messies wissen meist um die Irrationalität ihres Handelns, sind aber dem Chaos hilflos ausgeliefert. Aus Scham landen sie oft in der Isolation.
Das Phänomen der Messie-Wohnungen tritt in allen sozialen Schichten auf. Seit 1984 registrieren die zuständigen Behörden die Zunahme von vermüllten Haushalten, die wegen der Gefahr von Fremd- und Selbstgefährdung geräumt wurden. Viele Messies führen nach außen ein völlig normales bürgerliches Leben.