Millionen-Projekt Wie ein 80-jähriger Zahnarzt aus Dessau eine alte Mühle rettet
Rainer Westphal stemmt im hohen Alter ein Mammutprojekt. Der 80-Jährige saniert eine Mühle bei Dessau. Bisher flossen fast eine Million Euro – bald soll auch das Wasser endlich übers Mühlrad laufen.

Chörau - In der Küche der Mühle ist es warm. „Das ist das erste Mal in 13 Jahren, dass die Heizung läuft!“, freut sich Rainer Westphal. Er bückt sich, hält die Hand über den Boden und vergewissert sich: Die Wärme strömt tatsächlich durch die Rohre und erfüllt den sonst noch leeren Raum mit etwas Behaglichkeit. Und wieder ist ein Meilenstein auf dem Weg, die alte Mühle zu retten, erreicht.
Schritt für Schritt geht das so, seit 13 Jahren. Da erwarb Westphal mit seiner Tochter den heruntergekommenen Vier-Seiten-Hof bei Dessau: die Wassermühle im 200-Einwohner-Dorf Chörau. Eine Mühle muss es hier in dem Ort im Urstromtal der Elbe schon vor fast 900 Jahren gegeben haben. Im Wappen des Dorfes sind ein Hahn und ein Mühlrad zu sehen. Der Hof hat noch mehr Geschichte: Im 16. Jahrhundert soll sich Fürst Wolfgang von Anhalt hier aufgehalten haben.
Seit den 1950er Jahren aber stand die Mühle still, weil der Nachkomme des letzten Müllers bei der Lehre einen Arm verlor und den Familienbetrieb nicht weiterführen konnte, erzählt Westphal während eines Rundgangs. Der Hof verfiel zusehens. „Als wir hier reinkamen, konnte man den Himmel sehen“, sagt er im Flur des Mühlengebäudes und zeigt auf die Decke. Als neuer Eigentümer ließ er als ersten Schritt 150 Container voll mit Schutt und Dreck abtransportieren.
Mühlenretter Westphal ist noch täglich in der Zahnarzt-Praxis
Erzählt Rainer Westphal über seine Mühle, ist er kaum zu bremsen. Wo andere es im Rentenalter ruhiger angehen lassen, hat er sich mit Ende 60 ein Mammutprojekt aufgebürdet. Mittlerweile ist er 80 Jahre alt – und immer noch Feuer und Flamme, dass irgendwann wieder Leben in die Mühle einzieht.
„Ich bin mit der Heimat verwurzelt, mit dem Land, den Leuten und der Landwirtschaft“, sagt Westphal zu seiner Motivation. Er will, dass Kultur, Technik und Identität der Region erhalten bleiben und sieht sich als „Sprachrohr des Denkmals“.
Nebenbei kann er auf dem Land, das zur Mühle gehört, Tiere halten. Mehrere Pferde und zwei Schafe stehen hinter dem Hof. Früher pachtete Westphal das historische Gestüt am Luisium im Dessau-Wörlitzer Gartenreich. „Ich wollte aber selbst etwas in der Hand haben“, betont er. Für seine Tochter und ihre Familie wurde das Ausziehhaus der Mühle in Chörau zudem bereits zum Zuhause. Westphal selbst wohnt einen Ort weiter.

Es ist nicht so, als hätte er neben der Mühlenrettung nichts zu tun. Er ist Zahnarzt und bis heute von Montag bis Freitag in der Praxis in Dessau, in der auch seine Kinder arbeiten. „So fit fühle ich mich noch“, sagt der 80-Jährige und wirkt dabei selbst ein wenig erstaunt.
Für sein Mühlenprojekt holt er sich immer wieder Hilfe von Fachleuten, die er mitunter auch aus der mehr als 50-jährigen ärztlichen Tätigkeit kennt. „Dachdecker, Zimmermänner, Elektriker. Man kennt sich seit Jahrzehnten“, sagt Westphal. Er sehe sich bei der Mühle als Vordenker und Organisator. Die „goldenen Hände“ hätten andere.
Sachsen-Anhalt unterstützt Mühlen-Sanierung mit Förderung
Fast täglich arbeitet jemand rund um die Mühle. Neben dem barocken Haupthaus mit dem Mühlrad geht es auch an den drei Nebengebäuden voran. Mittlerweile hat Westphal etwa 850.000 Euro in die Mühle gesteckt. Im vergangenen Jahr hat er erstmals Fördermittel erhalten. Das Land Sachsen-Anhalt gibt 150.000 Euro dazu, um die Mühle energetisch zu sanieren und als Industriedenkmal zu erhalten. „Nun ist die Million rund“, meint Westphal. Einen Verein wollte er nie gründen: „Ich wollte nie die Verantwortung verwischen. Eigentum verpflichtet.“

Beim Förderantrag geholfen hat Ingenieur Alexander Hanka. Er kümmert sich sonst vor allem um die wasserrechtliche Genehmigung, damit das Mühlrad bald vom Nass des oberhalb gelegenen Teiches bewegt werden kann. Westphals Engagement beeindruckt Hanka: „Seine Vorstellungskraft und sein Wille sind übermenschlich.“
Rückendeckung gibt es für den Mühlenretter auch von seiner Familie, obgleich seine Frau „nicht immer glücklich“ sei, dass er so viel Zeit dafür hergebe, erzählt Westphal. Die Tochter unterstütze das Projekt, der Sohn begleite es etwas kritisch, „was die Finanzen angeht“, sagt Westphal.
Autarke Energieversorgung für Chörauer Wassermühle geplant
Aber er hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, die Mühle wieder herzurichten: „Wenn ich etwas mache, will ich es auch fertigbringen.“ Im Torhaus laufen aktuell die Arbeiten an einer Ferienwohnung und einem Café. Im Haupthaus sind bereits einige Zimmer fertig. Das Gebäude gegenüber soll zur Kulturscheune werden. Hinter dem Hof könnte es Platz für Camper geben. Westphal hofft auch auf Radtouristen, die einen Abstecher vom Elberadweg machen.
„Ende des Jahres sind wir dem Ziel schon näher“, sagt Westphal. Mit dem Fördergeld will er auch dafür sorgen, dass der Hof sich energetisch selbst versorgen kann. Dafür will er neben Wasserkraft auch Sonnenenergie nutzen. Eine Wärmepumpe und einen Stromspeicher soll es ebenfalls geben.
Zum krönenden Abschluss der Tour schmeißt Rainer Westphal die 100 Jahre alten Motoren in der Mühle an. Er und seine Unterstützer haben es geschafft, die noch vorhandene Technik wieder instandzusetzen. Das gesamte Gebäude beginnt zu vibrieren.
Vom Keller bis zum Dach, über vier Stockwerke, erstreckt sich die Mahltechnik. Riemen übertragen die Kraft von Etage zu Etage. Dazwischen hüpft Westphal flink die Holztreppe hoch und runter, zeigt stolz, wofür er die letzten zwölf Jahre gearbeitet hat. Und wenn alles glatt läuft, kommt der Strom für die Maschinen bald nicht mehr aus der Steckdose. Sondern endlich wieder vom Wasserrad.
Denkmäler in Sachsen-Anhalt
- 29.000 Gebäude stehen in Sachsen-Anhalt unter Denkmalschutz. Obere Denkmalschutzbehörde ist das Landesverwaltungsamt.
- Eine
- Die Zahl der Abrisse von Denkmälern im Land nimmt ab. 2007 gingen 150 Abrissanträge ein. 2024 waren es nur noch 23.
- Dreimal so viel Geld wie im Vorjahr hat das Landesverwaltungsamt 2024 für Denkmäler bereitgestellt. Rund 73 Millionen Euro flossen in 211 Projekte.