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Radsport Das Herz auf der Zunge: Ein Nachruf auf Wolfgang Wesemann

Zum Tod des Wolmirstedter Radsportlers Wolfgang Wesemann, der die Konfrontation mit dem DDR-System nie scheute.

Von Klaus Renner 02.02.2025, 19:28
War auch nach dem Karriereende immer ein gern gesehener Gast: Wolfgang Wesemann (M.).
War auch nach dem Karriereende immer ein gern gesehener Gast: Wolfgang Wesemann (M.). Foto: privat

Wolmirstedt. - Die Friedensfahrt-Fanfare wird in wenigen Tagen noch einmal erklingen – aus traurigem Anlass. Fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende des weltweit bedeutendsten Radsport-Amateur-Etappenrennens hat sich der Lebensweg des im Wolmirstedter Ortsteil Elbeu geborenen Wolfgang Wesemann im Alter von 75 Jahren vollendet. Der am 16. Januar 2025 verstorbene mehrfache DDR-Meister und Olympiateilnehmer hinterlässt seine Ehefrau Margitta, die Kinder Kerstin, Jeanette, Sina und Steffen sowie vier Enkel. War der gelernte Elektromonteur noch vor Jahren mit seinem vom Sohn Steffen geschenkten Rennrad auf den Straßen rund um seine Heimatstadt unterwegs, war es zuletzt ruhig um ihn geworden. Seine Parkinson-Erkrankung ließ ihn sein Haus am Ortsrand von Elbeu kaum noch verlassen, dennoch war er bis vor etwa einem Jahr noch mit seinem E-Bike unterwegs. Wegen einer Lungenentzündung war Wolfgang Wesemann zuletzt im Krankenhaus behandelt worden. Kurz vor seiner geplanten Entlassung schlief er jedoch still ein.

„Der Radsport war sein Leben, es war zu Hause immer Thema“, erinnert sich sein Sohn, der in der Schweiz lebende Steffen Wesemann, an den Vater. „Ob die Friedensfahrt, die Papa einst gefahren ist, oder meine späteren Starts bei der Tour de France: Er war immer über das aktuelle Geschehen im Bilde.“ Nie habe der Vater Druck ausgeübt. „Selbst, als ich angefangen habe, Fußball zu spielen, war er fast immer dabei.“ Erst als beide ein Radrennen in Magdeburg besucht hätten, sei im Sohn das Interesse an den schnellen Flitzern mit den schmalen Reifen erwachsen.

Da hatte Wolfgang Wesemann, der bekanntermaßen sein „Herz auf der Zunge“ trug, seine sportliche Laufbahn bereits im besten Leistungsalter von 26 Jahren beendet. Abrupt – wie seinerzeit nie an die Öffentlichkeit gedrungen. Am Rande der Schottland-Rundfahrt 1975 war es zu einer Konfrontation mit dem damaligen DDR-Nationaltrainer Klaus Ampler gekommen. Wesemann entfuhr im Mannschaftshotel die Bemerkung, dass offenbar begleitende Funktionäre dort Geld für Friseurbesuche ausgegeben hatten. „Wir tragen hier unser Fell zu Markte, und ihr gebt unser Preisgeld für euch aus. Ich fahre die Tour noch zu Ende, dann ist für mich Schluss“, hatte er erklärt. Lediglich für die goldene Ehrennadel des DDR-Radsportverbandes hatte es bei seiner Verabschiedung im gleichen Jahr noch gereicht.

Mit 16 Jahren fängt alles an

Erst mit 16 Jahren hatte Wesemann bei der damaligen BSG Motor Mitte Magdeburg mit dem Radsport begonnen. Bereits zwei Jahre später war er erstmals DDR-Jugendmeister im Querfeldeinrennen geworden, als ihn anschließend sein Weg ins Leistungszentrum nach Frankfurt (Oder) führte. Bei den Erwachsenen wurde Wesemann dreimal DDR-Meister. Von 1971 bis 1973 ging er bei der Internationalen Friedensfahrt an den Start, bei der er 1972 als 14. seine beste Platzierung erreichte.

Im gleichen Jahr gehörte Wesemann der DDR-Olympiamannschaft bei den Spielen in München an. Dass er beim Straßenrennen als 33. ins Ziel kam, ist bekannt, nicht jedoch sein Erlebnis im Zusammenhang mit der Geiselnahme und Ermordung der israelischen Sportler. „Er hat nie ein Wort darüber verloren. Erst viele Jahre später hat mein Vater berichtet, dass er damals in unmittelbarer Nähe Augenzeuge des schlimmen Attentates gewesen ist“, berichtete jetzt sein Sohn Steffen.

Zurück in der Heimat arbeitete Wolfgang Wesemann anfangs in seinem erlernten Beruf als Elektromonteur, später als Hallenwart an einer Schule, schließlich als Klauenpfleger – und betreute ehrenamtlich junge Wolmirstedter Radsportler.

Trauerfeier am 14. Februar

Günter Grau, von 2009 bis 2018 Präsident des sachsen-anhaltischen Radsportverbandes, bezeichnet Wesemann als einen „Bolzer. Er war nicht der elegante Sprinter, fuhr eher mannschaftsdienlich, hat Lücken im Fahrerfeld geschlossen. Wenn er antrat, konnten die meisten nur staunen und zuschauen.“ Allerdings habe ihm „der ganz große Hammer“, also ein ganz großer Einzelerfolg, gefehlt, doch „Fairness und Bescheidenheit waren Wolfgangs herausragende Charaktereigenschaften. Er war einer der Größten im Magdeburger Radsport.“

Und auch der Leiter des Friedensfahrt-Museums in Kleinmühlingen, Horst Schäfer, erinnert sich zahlreicher unvergesslicher Begegnungen mit dem ehemaligen Rennfahrer: „Oft haben wir zusammengesessen und unsere gemeinsamen Erinnerungen ausgetauscht.“ Nicht ganz so oft war in den vergangenen Jahren Martin Westphal mit Wolfang Wesemann zusammen. Doch der ehemalige Betriebsdirektor des Kaliwerkes Zielitz und Vorsitzende des SV Kali Wolmirstedt weiß noch: „Wir sind beide in Elbeu aufgewachsen und mit dem Fahrrad nach Wolmirstedt zur Schule gefahren. Schon damals konnte ich kaum mit Wolfgang mithalten.“

Die Trauerrede auf dem Elbeuer Friedhof am 14. Februar wird übrigens ein alter Bekannter des Verstorbenen halten. Der jetzt in Berlin lebende Manfred Graß, in der Jugend bei der konkurrierenden SG Dynamo Magdeburg aktiv, will seines langjährigen Sportfreundes, allerdings für die damalige BSG Motor Mitte Magdeburg startenden Wolfgang Wesemann gedenken.