Freiwasser Leonie Märtens vom SCM überwindet die Angst
20-jährige Magdeburgerin beißt sich bei Sieg von Sharon van Rouwendaal durch.

Paris - Diese Einsamkeit hat sie fertig gemacht. „Ab der dritten Runde wurde es hart, richtig hart“, sagte Leonie Märtens vom SCM. Für einen Moment lang dachte sie, sie müsse aufgeben. Hier geht“s nicht weiter. Aber dann dachte sie sich wiederum: „Wer kann schon von sich behaupten, ein olympisches Rennen in der Seine geschwommen zu sein.“ Sie kraulte also weiter. Auch gegen die Angst. „Ich bin sehr stolz, das geschafft zu haben.“ Ihr Trainer Bernd Berkhahn pflichtete ihr bei: „Leonie ist toll geschwommen und hat ihre Probleme besiegt.“
Die 20-Jährige hat beim Freiwasser-Rennen in Paris den 22. Platz belegt. Mit 2:15:57,3 Stunden hatte sie 12:23,1 Minuten Rückstand auf Sharon van Rouwendaal (Niederlande), die sich vor den ebenso starken Moesha Johnson (Australien/+5,5 Sek.) und Ginevra Taddeucci (Italien/+8,3) durchsetzte. Van Rouwendaal, die nach Rio 2016 zum zweiten Mal Olympia-Gold gewann, und Johnson gehören zur Magdeburger Trainingsgruppe. „Der Verlauf war erwartet träge, die Athletinnen mussten hart arbeiten aufgrund der Gegenströmung. Sharon und Moesha haben die Marschroute hervorragend umgesetzt“, erklärte der 53-Jährige.
So gut Märtens Linie auch war, sie kam nicht auf die Geschwindigkeit, um den Abstand zu verkürzen. Aber sie biss sich durch, „ich hatte den Ehrgeiz, durchzuhalten“. Dabei war ihr die Freude am Freiwasser vor drei Jahren vergangen. Während des Europacups in Kiel hatte sie sich bei hohem Wellengang verschluckt, wäre beinahe ertrunken, musste gerettet und ins Krankenhaus gebracht werden. Sie wollte eigentlich aufhören mit dem Schwimmen, nahm sich einige Zeit raus, ehe sie ins Becken zurückkehrte.
Kratzer und Übelkeit
Nun hat ihr Olympia das Tor zum Freiwasser wieder geöffnet. Und sie entstieg diesem mit Kratzern auf dem rechten Arm, verursacht von Dornenbüschen, die am Ufer in die Seine ragten – in jenen Fluss, der für Übelkeit sorgte. „Mir ist zwischenzeitlich das Frühstück hochgekommen, weil ich so viel Wasser geschluckt hatte.“
Kratzer hatte auch Leonie Beck, die als Neunte ins Ziel kam, davongetragen – und Enttäuschung. „50 Menschen sind hergekommen, um mich anzufeuern“, sagte sie. „Für die tut es mir leid, dass ich keine bessere Platzierung erreicht habe.“
Für die 27-Jährige war das kein normales Rennen, sondern „zwei Stunden lang Krafttraining“. Der Kampf gegen die Strömung hat ihre Kräfte schnell schwinden lassen. „Ich bin nur ein Lachs, ich habe wenig Muskeln“, so Beck und ergänzte „Die Bedingungen waren aber für alle gleich. Und ich habe großen Respekt vor der Leistung der drei Medaillengewinnerinnen, die sehr gut gearbeitet haben.“
Rein physikalisch betrachtet ist der Kraftaufwand nicht höher als in jedem anderen Rennen.
Bernd Berkhahn, Trainer der SCM-Athleten
Beck hatte sich gegen eine Trainingseinheit in der Seine entschieden und „musste das Rennen erstmal verstehen“. Das tat sie letztlich zu spät. „Rein physikalisch betrachtet ist der Kraftaufwand nicht höher als in jedem anderen Rennen“, sagte Berkhahn. „Man muss nicht schneller schwimmen als sonst, man kommt durch die Gegenströmung nur langsamer voran.“ Sich diese Erkenntnis zu injizieren, „ist mental sehr schwierig“.
Van Rouwendaal, Johnson und Taddeucci haben diese bewältigt, von Beginn an das Rennen geprägt, das Tempo verschärft, als die Verfolger die taktische Linie verließen. Es war ein Genuss, den drei Damen dabei zuzuschauen, wie sie unaufhaltsam dem Ziel entgegen schwammen.
150 Meter vor dem Ende blieb aber die führende Johnson (26) einen Moment zu lange in Ufernähe statt wie ihre beste Freundin van Rouwendaal den diagonalen Kurs zu wählen. Das nutzte die 30-Jährige, die seit vier Jahren unter Berkhahn trainiert und zur SCM-Familie gehört, zum Überholmanöver und sicherte sich den Sieg – dem sie ihrem im Mai verstorbenen Hund „Rio“ widmete. Van Rouwendaal: „Da stand meine Welt still, ich wollte noch einmal für ihn schwimmen.“