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Skeleton Grotheer rauscht aus dem Nichts zum Glück

Vor seinen vier Titelfahrten hat Christopher Grotheer einen miesen Winter erlebt. Aber dann kam Altenberg. Nun ist er Weltmeister.

Von Daniel Hübner 02.03.2020, 17:17

Altenberg/Magdeburg l An Kurve neun in Altenberg hat man offensichtlich beste Chancen, Gratulanten abzupassen. An Kurve neun des Eiskanals stand Christopher Grotheer am Sonnabendmittag und musste das Telefonat mit der Volksstimme immer wieder unterbrechen, um Glückwünsche entgegenzunehmen. In Altenberg ist er ja solche Situationen gewohnt. Dort gewann er am 7. Januar 2017 seinen ersten und bislang einzigen Weltcup. Drei Jahre und 52 Tage später stand er erneut auf dem obersten Podest – diesmal bei der Weltmeisterschaft. „Es wird ein paar Tage dauern, bis ich diesen Erfolg realisiert habe“, sagte Grotheer.

Ob sich Grotheer noch an seine ersten Titelkämpfe erinnern kann? Damals am 1. und 2. Februar 2013 in St. Moritz (Schweiz)? Berge von Schnee. Minusgrade. Trübes Wetter. Als er zum ersten Mal vier WM- statt der üblichen zwei Weltcup-Wertungsläufe absolvieren musste? Und was er nach dem Stress für Körper und Kopf inklusive einem 16. Platz sagte? „Ich bin müde.“ Das war er in den nächsten Jahren nicht mehr, zumindest nicht offensichtlich. Er hatte sich bei drei weiteren Titelkämpfen an die Belastung gewöhnt: In Winterberg 2015 wurde der Fünfter, in Königssee 2017 Sechster, in Whistler (Kanada) 2019 Vierter.

Auch am Sonnabendmittag in Altenberg klang er frisch und munter. Obwohl er bei der Verabredung zum Termin sich nicht ganz sicher war, ob er zu diesem auch ansprechbar sein würde, hatte er mit einem Lachen mitgeteilt. Aber die Party am frühen Abend des 28. Februar 2020, dem Tag seines größten Karrieretriumphes, war recht kurz ausgefallen. Grotheer, Freundin Mary Ann, Freunde, Wegbegleiter, Trainer Christian Baude, womöglich Axel Jungk und Alexander Gassner, die mit Silber und Bronze den deutschen Dreifach-Triumph gesichert hatten, saßen im Festzelt am Busbahnhof. „Es gab helles Pils“, erklärte Grotheer. „Und ich war froh, dass sich der Durchgangsverkehr in Grenzen hielt.“ Grotheer konnte feiern und genießen zugleich.

Zum ersten Mal nach 20 Jahren hatte wieder ein deutscher Skeleton-Pilot die ganze Welt hinter sich gelassen. Nach vier Fahrten durch den 1413 Meter langen Eiskanal mit 17 Kurven in Altenberg. Ausgerechnet dort, auf der schwersten Bahn der Welt mit ihren vielen technischen Herausforderungen. „Ich weiß, dass ich konstant auf hohem Niveau fahren und gerade in den technischen Passagen viel Zeit herausholen kann“, betonte Grotheer. Zeit, die er am Start verliert. Dieser gehörte nämlich noch nie zu den Stärken des Wernigeröders.

Aber diesmal hat er sich selbst dort übertroffen, ist im zeitlichen Gleichklang mit der Weltspitze zunächst in den Eiskanal gesprintet. Für Grotheer hat einfach alles gepasst. Und deshalb konnte er sich in den Läufen drei und vier auch Fehler leisten, die letztlich den Vorsprung auf Jungk auf zwei Hundertstelsekunden schrumpfen ließen. „Ich hätte im Ziel nicht gedacht, dass ich noch gewonnen habe“, erzählte der 27-Jährige über den ersten emotionalen Moment, dem noch viele Glückstränen des ansonsten so nachdenklichen Grotheer folgen sollten.

Und das waren zugleich die Glückstränen nach einer unglücklichen Saison, die Grotheer mit dem Satz „lief richtig scheiße“ erklärte. Im Gewicht zu schwer in der Qualifikation für die internationale Saison, weshalb ihm Aerodynamik und Geschwindigkeit fehlten, weshalb er letztlich aus dem Weltcup-Team fiel, weshalb er nur im zweitklassigen Intercontinental-Cup zum Einsatz kam.

Eine Junioren-WM inklusive Titel für Weltcup-Fahrer Felix Keisinger und ein gewonnenes Stechen um den vierten WM-Platz gegen Kilian von Schleinitz später hatten ihn aus dem Nichts nach Altenberg gebracht. „Ich hatte im Saisonverlauf noch fünf Kilo abgenommen, wir haben am Material geschraubt und gefeilt. Und zwei Wochen vor der WM wusste ich, dass ich in jedem Fall konkurrenzfähig bin“, so Grotheer. Was er noch nicht wusste: Er war sogar stärker als der sechsfache Weltmeister Martins Dukurs (Lettland) oder Olympiasieger Sungbin Yun (Südkorea).

Solch ein Titel hat für Grotheer noch einen weiteren Vorteil. Er ist für die ersten Weltcups im nächsten Winter gesetzt. Was aufgrund seines engen Zeitplans in den kommenden Monaten nicht übel ist. Denn: „Ich schließe im Sommer meine Ausbildung zum Polizeimeister ab“, so Grotheer. Aber zunächst geht es mit Mary Ann nach Mexiko in den Urlaub. Wohin genau? „Das weiß ich gar nicht“, meinte er am Sonnabendmittag an der Kurve neun. Nach einem WM-Titel kann man solche Details schon mal vergessen.