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Jan Costin Wagner und die nordische Krimi-Melancholie

14.01.2014, 09:22

Berlin Jan Costin Wagners Kriminalromane haben einen ganz eigenen Sound. Nicht nur weil sie in melancholisch-schönen nordischen Landschaften spielen. Sondern vor allem, weil sie Menschen in den Mittelpunkt stellen, die in gewisser Weise aus dem Leben gefallen sind.

Es sind Protagonisten, die von einem Moment auf den anderen mit dem Tod konfrontiert werden, daran fast zerbrechen und den Rest ihres Lebens Trauerarbeit leisten müssen. Dies gilt ganz besonders für den jungen finnischen Kommissar Kimmo Joentaa, den Wagner-Fans bereits aus mehreren Romanen kennen. Joentaas Frau starb mit Mitte zwanzig an Krebs. Die Erinnerung an diesen frühen Verlust begleitet ihn fortan, auch wenn er versucht, ein neues Leben anzufangen.

In dem neuem Roman des hessischen Autors (41), "Tage des letzten Schnees", werden für den Kommissar die schmerzlichen Erinnerungen wieder wach, als ein Bekannter von ihm auf tragische Weise seine Tochter verliert. Der Architekt Lasse Ekholm wird bei einer Autofahrt so stark von einem anderen Wagen genötigt und geblendet, dass er einen Unfall verursacht, bei dem die elfährige Anna stirbt. Der andere Wagen fährt ungerührt weiter. Joentaa nimmt die Ermittlungen auf. Gleichzeitig begleitet er die traumatisierten Eltern.

Parallel hierzu entwickelt der Autor zwei weitere Handlungsstränge, die zunächst nichts mit der Fahrerflucht-Geschichte zu tun zu haben scheinen. Doch das stimmt nicht. Denn bei Wagner geschieht nichts zufällig, alles ist wohl durchdacht und sorgfältig konstruiert. So begleitet der Leser den Investmentbanker Markus Sedin mit einigen Kollegen auf eine Dienstreise ins belgische Ostende. Dort findet der Familienvater Gefallen an der jungen rumänischen Prostituierten Réka. Er unterstützt nicht nur ihre arme Familie in der Heimat, sondern holt die junge Frau sogar nach Finnland, wo er sie in einer eigenen Wohnung unterbringt. Sedin führt solange ein perfektes Doppelleben, bis er Réka zusammen mit einem fremden Mann erschossen in ihrer Wohnung findet.

Die dritte Geschichte ist eine Art Internetprotokoll zwischen einem durchgeknallten Schüler und einer etwas älteren Frau, die sich als seine Schwester entpuppt. Der Junge plant offenbar ein Blutbad unter Kindern auf einer Insel eine Art Amoklauf à la Anders Breivik. All diese Menschen mit ihren unterschiedlichen Schicksalen scheint nichts miteinander zu verbinden, und doch werden sich ihre Wege auf tragische Weise kreuzen. Auch der Kommissar wird mehr als er es sich vorstellen kann persönlich von ihnen berührt. Doch weil Wagner diese Zusammenhänge erst auf den letzten Metern mit einer Art Knalleffekt löst, bleibt die Spannung erhalten, selbst wenn der Leser über weite Strecken mehr weiß als der Kommissar.

Jan Costin Wagner, Deutschlands skandinavischster Krimi-Autor, bleibt seinen Grundthemen treu. Die Fragilität des Lebens, Trauer und Abschiednehmen sind auch in diesem Roman die Grundmotive. Die aus den Fugen geratene Welt der verlassenen Eltern schildert er in kurzen prägnanten Szenen und einer reduzierten Sprache, die gerade deshalb unter die Haut geht. Was Joentaa angeht, so hat sein Autor das Interesse an ihm offenbar noch nicht verloren. Ganz im Gegenteil, es scheinen neue, viel versprechende Herausforderungen auf den traurigen finnischen Kommissar zu warten.


Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees. Galiani Verlag, Berlin, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-86971-017-4