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Zahlen steigen Streuner-Alarm im Jerichower Land: Katzen sind zwischen Burg und Genthin ein großes Problem

Die Zahl der streunenden Katzen im Jerichower Land steigt deutlich an. Auch Kastrationen sind auf Rekordkurs. Eine Pflicht rückt in den Fokus. Es wird dramatisch.

Von Mike Fleske und Marco Papritz Aktualisiert: 18.08.2023, 12:52
Eine Katze läuft durch einen Garten. Die Zahl der Katzen, die auf der Straße als Streuner leben, steigt im Jerichower Land stetig an.
Eine Katze läuft durch einen Garten. Die Zahl der Katzen, die auf der Straße als Streuner leben, steigt im Jerichower Land stetig an. Symbolfoto: picture alliance/dpa

Burg - Sie haben kein Zuhause und kämpfen ums Überleben: Im Jerichower Land steigt die Zahl der streunenden Katzen. Die Fälle von Fundtieren und Kastrationen sind auf Rekordniveau. Die Gründe sind vielfältig, die Hoffnung auf Besserung ist gering. Betroffene berichten.

Lesen Sie auch zum Artikel den dazugehörigen Kommentar „Eine Frage der Vernunft“

Von wegen Freiheit und selbstbestimmtes Leben. Das Bild der Streuner, der heimatlosen Katzen, ist romantisch verklärt. Sie leben in Gefahr, können sich oft nicht alleine ernähren und sind immer häufiger krank. Hinzu kommt, dass sie außerdem Krankheiten weiterverbreiten. „Die Situation hat sich zugespitzt und ist katastrophal“, sagt Astrid Finger vom Tierschutzverein Burg, der im Ortsteil Schartau ein Tierheim betreibt.

Das Problem: Die Entwicklung ist seit Jahren bekannt. Was es bräuchte, sei eine Kastrationspflicht. „Und zwar keine, die nur kommunal gilt, sondern deutschlandweit“, so die 54-Jährige. Konkret soll diese Auflage für alle Katzen gelten, die Freigang haben. Wobei der Eingriff vor Beginn der Geschlechtsreife vorgenommen werden sollte, so die Meinung der erfahrenen Tierschützerin. Nur so könne das große Leid der Straßenkatzen beendet werden.

Rekord bei den Einweisungen

Dessen hässliches Gesicht zeigt sich den Mitarbeitern verstärkt in dieser Zeit. Allein in den vergangenen 14 Tagen hat das Tierheim vom Veterinäramt drei Einweisungen erhalten, weil die Katzen vernachlässigt oder zurückgelassen wurden. 34 Katzen – darunter 20 Jungtiere – hat es bei sich aufgenommen. Ein besonders dramatischer Fall hat sich in Körbelitz ereignet. 170 Streuner waren es bislang in diesem Jahr. „So viele wie noch nie“, wie Astrid Finger anmerkt.

Katzen vermehren sich gut, bekommen im Jahr zwei- bis dreimal Nachwuchs. Mit der steigenden Population der Streuner – deutschlandweit sind es etwa zwei Millionen –, die nicht selten von Parasiten wie Flöhe und Würmer befallen sind, wächst auch die Gefahr der Weitergabe von Krankheiten. „Viele Jungtiere verenden – sie verhungern oder sterben an Katzenschnupfen oder -seuche“, so die Expertin. Von der ersten bis zur letzten Minute sei das Leben mit Elend verbunden, um es drastisch zu sagen.

Astrid Finger und ihr Team betreuen im Tierheim Schartau bei Burg unter anderem über 70 Katzen.
Astrid Finger und ihr Team betreuen im Tierheim Schartau bei Burg unter anderem über 70 Katzen.
Foto: Marco Papritz

Erschwerend kommt hinzu, dass Straßenkatzen ein anonymes Leben führen, es findet im Verborgenen statt. „Viele Fälle bekommen wir leider gemeldet, wenn die Population schon recht groß ist“, sagt Astrid Finger. Daher gelte es, verwilderte und freilebende Katzen zu kastrieren.

Eine Forderung, die auch Andrè Knopek vom Tierschutzverein Genthin unterstützt. „Nachdem in den letzten beiden Jahren etwas weniger herrenlose Katzen gefangen und kastriert werden konnten, bewegen wir uns beim aktuellen Tempo dieses Jahr auf einen neuen Rekord zu.“ Bis Mitte Juli 2023 seien 94 Katzen und Kater in und um Genthin gefangen worden. „91 wurden kastriert, gechipt, zum Teil auch tätowiert und registriert und können so keinen ungewollten Nachwuchs hervorbringen.“ Nur zwei Katzen seien bereits kastriert gewesen, diese wurden nur gechipt, eine wurde eingeschläfert. „Trotzdem reicht es leider hinten und vorne nicht, um der Lage Herr zu werden. Alle unsere Pflegestellen sind voll.“ Damit gehe es den Genthinern wie den meisten Tierheimen in Sachsen-Anhalt.

Kosten für Vereine im fünfstelligen Bereich

Auch bei den entstandenen Tierarztkosten könnte dem Genthiner Tierschutzverein ein neuer Rekord ereilen, Ende Juli sind die Kosten für die Kastrationen im fünfstelligen Bereich angekommen. Es gäbe zwar ein Förderprogramm des Landes, das der Verein in Anspruch nehmen konnte, aber die maximale Förderung je Verein sei bereits Ende April aufgebraucht gewesen. „Wir sehen weiter die unbedingte Pflicht zur Kastration und Kennzeichnung, ähnlich dem Vorbild in Stendal.“

Dort müssen Katzen seit diesem Monat kastriert beziehungsweise sterilisiert werden. Zusätzlich müssen sie gechippt und in ein Heimtierregister aufgenommen werden.

Astrid Finger, Vorsitzende des Tierschutzvereins Burg, mit Katzen im großen Außengehege vom Tierheim in Schartau.
Astrid Finger, Vorsitzende des Tierschutzvereins Burg, mit Katzen im großen Außengehege vom Tierheim in Schartau.
Foto: Philipp Ling

„Das ist eine gute Sache, ich bin sehr dafür“, sagt auch Monika Urbanczik. Die Mützelerin ist in der Region als private Anlaufstelle unter dem Namen „Katzenmoni“ bekannt. Eigentlich müsse es solche Vorgaben in einer bundesweiten Regelung geben. Sie unterstütze daher aktuell auch eine Online-Petition, die diese gesetzlichen Regelungen fordert. Auch bei ihr sei das Aufkommen von Fundkatzen so hoch wie nie. Im Wald, in Grünanlagen, auf verlassenen Flächen werden Tiere gefunden und bei ihr abgegeben. „Wir vermuten, dass viele Besitzer mit den gestiegenen Kosten nicht zurechtkommen. Futter, Pflege, Tierarzt alles sei teurer geworden. Dennoch sei dies kein Grund, sich nicht mehr um seine Katzen zu kümmern oder diese auszusetzen.

Das Tierheim in Schartau vermittelt nur erwachsene, kastrierte Katzen. Babys werden nur mit einer Kastrationsverpflichtung abgegeben. Die Kosten für den Eingriff sind gleichzeitig ein Grund dafür, warum Besitzer ihre Hauskatzen aussetzen. Aufgrund der neuen Gebührenverordnung müssen für eine Kastration einer weiblichen Katze um die 190 Euro investiert werden. Eine Hausmarke.

Andre´ Knopek mit kater Gerd in der Auffangstation des Genthiner Tierschutzvereins. Das Tier wurde in einem Waldstück ausgesetzt.
Andre´ Knopek mit kater Gerd in der Auffangstation des Genthiner Tierschutzvereins. Das Tier wurde in einem Waldstück ausgesetzt.
Foto: Simone Pötschke

Angesichts der Preiserhöhungen in nahezu allen Lebensbereichen – die Inflation hat sich bei sechs Prozent eingepegelt – können sich viele diese Investition nicht mehr leisten, Prioritäten von Tierhaltern verschieben sich.

Lesen Sie auch, warum das Tierheim gegen eine Tiervermittlung über das Internet ist.

Auch das Tierheim muss dieses Geld aufbringen und hat es bei der Finanzierung angesichts der Vielzahl an Streunern schwer. Die Einrichtung erhält von der Stadt Burg zwar mittlerweile 40 Cent pro Einwohner pro Jahr mehr. Doch dieses Geld fließe im Zuge der Gefahrenabwehr für die Betreuung von Fundtieren und reiche angesichts erhöhter Kosten, wie etwa für das Personal, nicht aus, um für den Betrieb des Hauses, die Versorgung der Tiere sowie deren Arztkosten aufzukommen. Ein Kreislauf mit einer gehörigen Unwucht. „Wir versuchen, von diesem Geld die Kastrationen finanziell zu stemmen, kommen aber an unsere Grenzen“, sagt Astrid Finger. Über 70 operative Eingriffe hat das Haus in diesem Jahr vornehmen lassen.

Der Enthusiasmus, mit dem sich Vereine in den vergangenen Jahren dem Problem gewidmet haben, ist verflogen. Unter anderem, weil Tiere über Internetportale einfach beschafft werden können.