Weihnachtsstress vor 120 Jahren Weihnachtseinkauf in Gommern bei Magdeburg im Jahre 1903 ein echtes Erlebnis
Am 13. Dezember 1903 erhielt die „Zeitung für Gommern und Umgegend“ einen Brief. Eine Leserin berichtet darin von ihrer erfolgreichen „Weihnachtswanderung“ durch Gommerns Geschäfte.

Gommern. - Weihnachtszeit, Einkaufszeit. Wer kennt ihn nicht, den Weihnachtsstress? Jahr ein, Jahr aus das gleiche Spiel: Was kauft man wann und vor allem wo ein? Kann ich alles vor Ort erledigen, oder muss ich in die große Stadt?
Nicht nur heutzutage geht es uns so. Schon vor genau 120 Jahren zerbrachen sich die Leute genau über die gleichen Fragen den Kopf. Das beweist ein Schreiben an die „Zeitung für Gommern und Umgegend“ vom 13. Dezember 1903.
Plädoyer für Einkauf vor Ort
Eine Leserin, deren Name leider nicht überliefert ist, schildert darin ihre Erlebnisse bei den Weihnachtseinkäufen in Gommern. Der Leserbrief ist dabei vor allem eins: Ein Plädoyer für den Einkauf vor Ort. Das Schreiben der „geschätzten Abonnentin unseres Anzeigers“, so die einleitenden Worte im Jahre 1903, ist ein herrliches Zeitdokument, verfasst in bildreicher Sprache mit heutzutage kaum noch verwendeten Begrifflichkeiten. Ein Lesegenuss, den wir Ihnen, liebe Leser der Volksstimme, nicht vorenthalten möchten:

„Sehr geehrter Herr Redakteur, da Sie jedes Jahr um die Weihnachtszeit den Mahnruf „Kaufe am Orte“ an Ihre Leser richten, so möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich eine große Anhängerin dieses Prinzips bin, also alles, was ich in Gommern in guter Ware und zu reellen Preisen bekommen kann, auch in Gommern kaufe. Ich denke immer: Leben und leben lassen, und kümmere mich nicht im Geringsten um die Preislisten und Kataloge, die einem fast täglich von den großstädtischen Geschäften ins Haus geschickt werden. Dass ich dabei sehr gut fahre, werden Sie ersehen, wenn ich Ihnen erzähle, was ich alles bei meinen Einkäufen in unserer Stadt für billiges Geld gefunden habe.
Mein Männchen und erst die Kinder, was werden die für Augen machen, wenn der Heilige Abend da ist, und was werden sie staunen, wenn sie sehen, was das Christkind alles gebracht hat.
Duftende Zigarren
Da mein Mann ein leidenschaftlicher Raucher ist – du lieber Gott, was will man auch dagegen machen – so dachte ich, du siehst zuerst mal zu, wo du eine gute Zigarre für ihn findest, und das ist mir bei Herrn Tappe wider Erwarten gut gelungen. Ja, wie mir in dem schön ausgestatteten Laden all die duftenden Zigarren vorgelegt wurden, und die Tabake und Zigaretten, da hätte mich beinahe die Lust angewandelt, selbst mal eine Probe im Rauchen zu machen. Ich hab’s aber doch lieber gelassen.
Na, und da der Onkel Fritz, der meines Mannes Bruder ist, ohne seine Pfeife nicht leben kann und sein gegenwärtiges Rauchinstrument schon längst pensionsfähig ist, so nahm ich hier auch gleich eine schöne kurze Pfeife mit. Ein Pfund von der Leib- und Magensorte seines Tabaks hatte ich unterwegs schon bei Herrn Friedrich eingekauft, der mir ein besonderes Kompliment machte, wahrscheinlich weil er ein alter Skatbruder meines Mannes ist.

Mit dem Tabakgeschenk werfe ich natürlich, wie man zu sagen pflegt, mit der Wurst nach einer Speckseite, denn der liebe Onkel lässt es sich selbstredend auch nicht nehmen, den Kindern eine Freude zu machen. Er hat auch diesmal schon alles besorgt.
Wie er mir im Geheimen sagte, hätte er bei seinem besten Freunde, dem Kaufmann Ruthe, wundervolle Spielsachen eingekauft. Gewehre und Säbel in erster Linie, da unsere Jungs jetzt Tag für Tag große Schlachten zu schlagen haben, unsere sind natürlich die Bulgaren und nebenan von Lehmanns die Kinder müssen die Mazedonier abgeben.
Außerdem hat er noch bei Cohns ein paar reizende Puppen und bei Schurichts einen Puppenwagen und etwas ganz Neues in Bilder- und Märchenbüchern zum Abholen bereitstellen lassen. Aber der Onkel kann sich’s auch erlauben.
Und was er erst für mich in petto haben wird? Mir ahnt etwas. Denn kürzlich gingen wir an den Schaufenstern von Bohm vorbei, wo es die prächtigsten Sachen in Gold und Silber, Uhren, Ketten, Broschen und Ohrringe zu sehen gab. Aber wie gesagt, ich wage kaum, daran zu denken.
Alles, was das Herz begehrt
Dasselbe sagt meine Älteste, die Minna. Die wünscht sich außerdem noch eine Pelzgarnitur, wie sie solche in den Läden von Herrn Heberlein gesehen haben will. Ich möchte ihr allerdings einen Bräutigam wünschen, der besonders zu Weihnachten sehr schätzenswert sein soll. Na, man weiß nicht, was noch werden kann. Für die Pelzwarenhändler ist das Wetter eigentlich wenig zum Geschäfte machen angetan und auch für die Kleidermagazine.
Bei Luthers und Hartnauers war es in den kalten Tagen allerliebst, aber nun bei solchem Wetter – die Läden voll von schönen nützlichen Sachen, da wird wohl das Klagen wieder losgehen. Die denken aber, wenn der Laden nicht immer voll ist, da geht es nicht. Da werden wir wohl unserer Minna schon den Gefallen tun müssen und Ausstattung vorrätig kaufen.
Den Christbaum wollen wir dies Jahr besonders schön ausputzen. Die Kerzen und neue Halter hole ich bei Lüdeckes, wo ich auch immer für meinen Mann ein paar Büchsen Konserven mitnehme. Pfefferkuchen und Konfekt sollen mir Baumanns liefern, einen fetten Aal und kalten Aufschnitt habe ich mir bei Caroline Schmidt ausgesucht und wenn’s ans Backen geht – für ein Stück Kuchen und ein Tässchen Kaffee laufe ich nämlich bis ans Ende der Welt – so werde ich mir die nötigen Zutaten, da es im Konsum-Verein doch noch nichts gibt, in den Kolonialgeschäften von Ruthe, Wehner und Friedrich holen, wo man alles haben kann, was das Herz begehrt.
Mancher annonciert nicht
Und darauf möchte ich hierdurch auch andere aufmerksam machen. Man sieht’s ja heute auch in Ihrer Zeitung. Freilich habe ich auch manches, was ich eingekauft, nicht unter Ihren Weihnachtsinseraten gesehen, und das finde ich komisch. Manch einer annonciert überhaupt nicht und wundert sich, wenn er kein Geschäft macht.
Außer mir gibt wohl jeder andere Leser viel darauf, aus Ihrer Zeitung zu hören, was und wo man alles bei uns in Gommern haben kann, denn sonst kann man es doch nicht wissen, wenn man Einkäufe machen will.
Doch, was ich noch sagen wollte, Visiten- und Gratulationskarten lasse ich selbstredend bei Ihnen machen und wenn’s mit Minna mal dazu kommt, so sollen Sie auch die Verlobungskarten drucken – mit Goldrand natürlich. Im Übrigen wie immer,Ihre treue Abonnentin“