Nachruf Früherer Arzt hinterlässt viele Spuren in Havelberg
Dr. Hans-Jürgen Nisch war über drei Jahrzehnte für seine Patienten da und hat sich im Ruhestand für die Stadt eingesetzt. Weggefährten berichten.

Havelberg. - Als Arzt, Heimatvereinsvorsitzender, Verfechter für Stadtgrün, Kümmerer für ältere Leute bei der Volkssolidarität und auch Weihnachtsmann im lebendigen Adventskalender hat Dr. Hans-Jürgen Nisch seit mehr als fünf Jahrzehnten in Havelberg gewirkt. Am 11. Oktober ist der Sanitätsrat im Alter von 85 Jahren gestorben. Die Volksstimme blickt auf sein Leben zurück und hat mit Weggefährten gesprochen.
Er wollte nur drei Jahre in Havelberg bleiben, als er hier 1971 als Hausarzt begonnen hatte. Doch es kam anders. Der Mann, der in den Masuren geboren, im Harz und im Erzgebirge aufgewachsen ist und in Leipzig Medizin studiert hat, blieb in der Domstadt. „Er war ein sehr geschätzter Kollege, fachlich kompetent, immer hilfsbereit und für die Menschen da. Seine Patienten haben ihn geliebt“, denkt Dr. Renate Wolff an die vielen Jahre zurück, in denen sie als Hausärzte in der Stadt und auf dem Land tätig waren. Sie kam 1973 nach Havelberg. „Als ich schwanger wurde und keine Dienste mehr wahrnehmen konnte, ist er sofort eingesprungen. Er hatte sehr große Erfahrungen und mit Schwester Wanda war er ein gut eingespieltes Team. Ich habe ihn nie mit schlechter Laune erlebt“, denkt Renate Wolff zurück.
Hohe Einsatzbereitschaft
Ähnlich äußert sich Dr. Ernst Gilbrich aus Klietz. „Hans-Jürgen Nisch war ein Vorbild als Haus- und Landarzt. Er hat bei Sprechstunden nie auf die Uhr geschaut, hat viele Hausbesuche gemacht. Nach der Wende hat er sich eingesetzt für uns Hausärzte, als es zum Beispiel um die Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung, den Aufbau einer neuen Struktur und Absprachen zu den Bereitschaftsdiensten gegangen ist“, blickt der einstige Leiter des Landambulatoriums Klietz zurück. Und ergänzt: „Ihn zeichnete eine hohe Einsatzbereitschaft aus.“
Feste Größe im Julianenhof
30 Jahre lang war er auch Heimarzt im Julianenhof, berichtet dessen frühere Leiterin Birgit Lemke. Die sogenannte Enthospitalisierung behinderter Menschen war nach der Wende ein großes Thema, das sie gemeinsam gemeistert haben. Das Heim mit vor allem Säuglingen und Kleinstkindern und einer Gruppe schwerstbehinderter Jugendlichen hatte zunächst kaum noch Bewohner. „Wir sind an Wochenenden in die Kinder- und Jugendpsychiatrien gefahren und haben geschaut, welche Patienten wir übernehmen könnten. Das war eine spannende Zeit, aber es ist uns gelungen, eine neue Perspektive zu finden.“ Der Doktor war eine feste Größe im Julianenhofheim. „Er war jemand, der immer da war. Auch an Wochenenden oder abends. Mindestens zweimal in der Woche kam er morgens um sechs, vor seinen Sprechstunden in der Praxis, zu uns. Er kannte unsere Bewohner gut, und sie ihn“, sagt Birgit Lemke.
Bis 2006 hat Hans-Jürgen Nisch in seiner Praxis in der Genthiner Straße Patienten behandelt. Dann begann die Zeit des Ruhestandes, die geprägt war von vielen Aktivitäten. Privat und im Ehrenamt. Er freute sich auf Zeit zum Malen, Handwerken, Gärtnern und Musizieren. Und suchte Möglichkeiten des Engagements für das Allgemeinwohl. „Er hatte überlegt, ob er sich im Gemeindekirchenrat oder stärker im Heimatverein einbringen wollte“, erzählt Thomas Krispin, der zu dieser Zeit Dompfarrer und Vorsitzender des Heimatvereins war. „Ich kenne ihn schon als Hausarzt. Er hat sich immer Zeit genommen für seine Patienten. Entsprechend voll war das Wartezimmer.“
Stadtgrün lag ihm am Herzen
Hans-Jürgen Nisch entschied sich für den Heimatverein, dem er bereits seit 1993 angehört hat. Er wurde Mitglied des Vorstands und Stellvertreter und übernahm die kommissarische Leitung, als Thomas Krispin für eine neue Pfarrstelle in der Uckermark 2011 aus Havelberg weggezogen ist. 2015 wurde er Vorsitzender. Doch wollte er lieber aus der zweiten Reihe agieren, weshalb er wieder Stellvertreter wurde, als Frank Ermer den Vorsitz übernahm.
„Vor der Wahlperiode 2015 bis 2017 hatte mich Dr. Nisch angesprochen, ob ich Mitglied im Heimatverein werden möchte und mir eine Mitarbeit im Vorstand vorstellen könnte. Er hat mich – immer in freundschaftlichen Gesprächen – in die Aufgaben des Vorstandes mit allem drum und dran eingewiesen. Wir hatten viele interessante Gespräche, auch außerhalb der Vorstandssitzungen. Hinzu kam, dass wir beide im Ausschuss Ordnung, Umwelt und Tourismus tätig waren und so immer eine kooperative Verbindung zur Stadt und zum Bürgermeister hatten. Wir wussten, wo der Schuh drückte und immer noch drückt“, berichtet Frank Ermer, der noch heute Vorsitzender des Heimatvereins ist. Er hat aufgelistet, wo Hans-Jürgen Nisch, der über viele Jahre auch die AG Stadtgrün im Heimatverein geleitet hat, für alle sichtbare Spuren hinterlassen hat.
Mit der Initiative „Buntes Stadtbild“ 2011 ging es ihm um Anpflanzung von Bäumen in der Genthiner Straße und auf dem ehemaligen Schulhof auf der Stadtinsel, die farbige Gestaltung von Strom- und Trafohäusern und nicht zuletzt um das große Bild am Landkreisgebäude in der Genthiner Straße, wo, umringt von Blumen und Schmetterlingen, in Großbuchstaben „Havelberg grüßt seine Gäste“ zu lesen ist.
2015, zur Bundesgartenschau in der Havelregion, gesellten sich 20 heimische Fische in der Nähe des Hauses an den Giebel der Bauhofhalle. Stundenlang hatte Hans-Jürgen Nisch dafür in seinem Keller gesägt und gemalt.
Er kümmerte sich um Ersatzpflanzungen am Denkmal für die ehemalige Sandauer Brücke, an der Bank in der Genthiner Straße, auf der Freifläche des Behindertenwohnheimes und an der Tankstelle und organisierte Sitzgelegenheiten sowie Infotafel für das Brückendenkmal. „Die heute vernachlässigten Rankhilfen auf der Stadtinsel gehen auf ein Projekt der AG Stadtgrün zurück. Die Mitglieder unter Leitung von Dr. Nisch sprachen mit den Bewohnern der Häuser, ob sie das Projekt unterstützten und die gepflanzten Rosenstöcke gießen. Die Stadtinsel wurde somit wieder ein wenig grüner“, erinnert sich Frank Ermer.
Liebevoller Weihnachtsmann
Unvergessen auch die Aktivitäten des Mediziners im Ruhestand beim Havelberger Adventskalender. Nicht nur als liebevoller Weihnachtsmann, sondern auch als Liebhaber des gemeinsamen Gesangs von Groß und Klein, der fester Bestandteil dieser langjährigen Tradition war. Er sagte einmal: „Man darf das nicht verkennen, das ist ein verantwortungsvoller Job. Das fängt bei der Garderobe an und geht bis zum Einstellen auf jedes Kind.“
Engagiert hat er sich zudem über Jahrzehnte in der Volkssolidarität, war zu DDR-Zeiten Kreisvorsitzender. 2023 wurde er für 50 Jahre Mitgliedschaft ausgezeichnet. „Ich habe damals schon sehr geschätzt, dass das ein Verein ist, der für die Menschen, vor allem für die Älteren, da ist. Und das kann ich auch heute noch von der Volkssolidarität sagen“, erklärte er bei seiner Ehrung.
Verständnis für kleine Macken
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass er sich mit seiner Frau Petra über viele Jahre für die Aktion „Ein Päckchen Liebe packen“ eingesetzt hat. Gemeinsam mit Familie Schneider aus Wulkau, die das heute mit der Ukraine-Hilfe fortsetzt. Nischs haben zudem das Medizinstudium für zehn junge Menschen in Sri Lanka finanziert.
Havelberg als liebenswerte Stadt zu verschönern, lag Hans-Jürgen Nisch stets am Herzen. Dabei ging es ihm oft um Blumen, Sträucher und Bäume. In der dunklen Jahreszeit animierte er die Einwohner, Fenster und Grundstücke zu beleuchten. Mit der hell erleuchteten Tanne vor seinem Haus in der Genthiner Straße ging er mit gutem Beispiel voran. Licht und Wärme waren ihm wichtig.
Als einer seiner langjährigen Weggefährten sagt Thomas Krispin: „Dr. Nisch hat immer auch das Gute im Menschen gesehen. Soweit ich mich erinnern kann, hat er nie schlecht über andere geredet und viel Verständnis für die kleinen Macken gehabt, die wir ja alle haben. Natürlich hat auch er mit Sorge auf so manche Entwicklung in der Gesellschaft und der Weltgeschichte geblickt und sich gefragt, wo das noch hinführen wird. Für die jahrelange Freundschaft, seine Herzlichkeit und die tiefgründigen Gespräche sind wir ihm sehr dankbar.“
 
                 
                 
                