Serie „Otto ist Einheit“ über 35 Jahre Wiedervereinigung Mit Video: Die Maueröffnung verschlafen - Wie der heutige FCM-Präsident Wende und Einheit erlebte
FCM-Präsident und Unternehmer Jörg Biastoch erzählt seine Geschichte. Warum er die Maueröffnung verschlief, ein halbes Jahr nach England ging und es ihn überhaupt nach Magdeburg verschlug.

Magdeburg - In einer Serie erzählen Menschen aus Magdeburg mit Ost- oder West-Hintergrund ihre Geschichte über Wiedervereinigung und Deutsche Einheit seit 35 Jahren. Heute: FCM-Präsident und Unternehmer Jörg Biastoch:
Fragt man Dr. Jörg Biastoch nach seiner Erinnerung an den 9. November 1989, so ist das eine ganz konkrete. „Ich kann mich relativ genau an diesen Tag erinnern, weil ich die Maueröffnung verschlafen habe“, sagt der Arzt sowie Gründer und Geschäftsführer der Humanas Pflege GmbH & Co. KG in Magdeburg. „Ich war Student und mein Sohn gerade vier Monate alt.“
Video: Jörg Biastoch
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Irritiert von Schabowskis Zettel
Die von Günter Schabowski seinerzeit öffentlich auf einer Pressekonferenz verlesene „Reiseregelung“ können Jörg Biastoch und seine Freunde erst gar nicht einordnen. „Wir dachten gar nicht, dass sich das auf alle Menschen bezieht. Wir dachten, das ist nur für die, die ständig ausreisen wollten.“
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Erst als er am nächsten Tag an die Hochschule kommt, merkt er, dass „fast niemand mehr da war“. Über die nun offene Grenze setzt ihn sein Hochschulprofessor in Kenntnis. „Das war skurril und euphorisch. Ich meine, wir waren studentisch aktiv, aber wir haben für Veränderungen innerhalb des Systems gekämpft.“ Für Jörg Biastoch und seine Kommilitonen galt bis dato: „Wir sind das Volk. Wir bleiben hier.“
Mutter stammt aus West-Berlin
Jörg Biastoch wird im sächsischen Torgau als Sohn eines Pastors geboren. „Unser Leben war von der Arbeitswelt meines Vaters geprägt“, sagt er. Von 1963 bis 1968 wohnt die Familie in Arzberg, anschließend nimmt der Vater eine Stelle in Rogätz bei Magdeburg an. Im Sommer 1973 steht der Umzug nach Magdeburg an, wo Jörg Biastoch bis heute lebt und unternehmerisch sowie vielfach ehrenamtlich aktiv ist.
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„Das Ding war ja, dass meine Mutter aus West-Berlin stammt. Da haben sich meine Eltern kennengelernt. Nach der Heirat 1959 siedelte meine Mutter 1960 in die DDR über.“ Als Pastorensohn habe er gelernt, „immer zehn Prozent mehr zu geben, als die anderen“. Denn obwohl er als solcher auch viele Freiräume genossen hat, so waren da auch Einschränkungen.
Plötzlich ging es nach England
1991 beendet Jörg Biastoch sein Studium. 1993 kehrt er an die Hochschule zurück, um am Institut für öffentliches Gesundheitswesen zu arbeiten. Sein Steckenpferd als Mediziner ist das Blutspende- und Transfusionswesen. Es baut ihm die Brücke in die Pflegebranche, wie er heute betont.
Da ihm nach der Wiedervereinigung alle Türen offenstehen, entschließt sich Jörg Biastoch 1994 nach Nottingham zu gehen und seinen Master of Public mit dem Schwerpunkt „Versorgungsforschung Pflege“ abzulegen. Alle folgenden Angebote schlägt er aus; er sieht seine Zukunft in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt. „Mein soziales Umfeld und mein Netzwerk waren und sind hier.“
Seit 2022 Präsident des 1. FC Magdeburg
Magdeburg ist heute für Jörg Biastoch, der seit 2022 auch Präsident des 1. FC Magdeburg ist, ein „Hidden Champion“. „Wie das vor 35 oder 30 Jahren war, kann man sich fast nicht mehr vorstellen. Und man kann es auch kaum erzählen.“ Die grauen Ecken seien fast alle verschwunden, Magdeburg präsentiere sich inzwischen als eine „äußerst lebenswerte Stadt“.
So viele Jobs hat er geschaffen
Für das Unternehmen Humanas legt er 2006 mit Ina Kadlubietz den Grundstein und entwickelt es zu einem der modernsten Anbieter moderner Wohn- und Pflegeangebote in Sachsen-Anhalt. Mehr als 20 Standorte und mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt Humanas aktuell.
Deutschland war noch nie ein vereintes Land
Geeint sind Ost und West nicht. Auch, weil „Deutschland in seiner ganzen Geschichte noch nie ein vereintes Land gewesen ist“, bekräftigt der sehr geschichtsinteressierte Mediziner. „Es war immer ein Vielvölkerstaat, mit all den damit verbundenen regionalen Unterschieden. Und die gibt es übrigens nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd.“
Mut zu Fehlern ohne blinden Aktionismus
Bezogen auf eben diese Mentalitätsunterschiede sei es wünschenswert, „weniger den moralischen Zeigefinger zu heben“. Überall Gleichheit zu erzielen, das ginge eben nicht, sagt Jörg Biastoch. Er halte es im Leben ganz grundsätzlich überzeugt pragmatisch. „Situationen, die ich nicht ändern kann, nehme ich an und mache das Beste draus“, betont er.
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Einen „Vibe“, den er auf alle Lebensbereiche erfolgreich zu übertragen weiß. „Im besten Falle gilt das auch für Magdeburg und seine Entwicklung. Ich bin sicher, dass diese weiter sehr erfreulich sein wird.“ Das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und der Mut zu einer „gewissen Fehlerkultur ohne blinden Aktionismus“ – das sind für Jörg Biastoch im Leben, im Profisport und in der Stadtentwicklung entscheidende Werte.