Verwilderte Haustauben Tauben sind keine Schädlinge mehr - fällt das Fütterungsverbot in Magdeburg?
Traurige Bilder erreichten die Volksstimme-Redaktion. Sie zeigen Tauben mit schweren Verletzungen, zugefügt von Menschenhand, so der Verein Tieranker Magdeburg. Der Frust über Taubendreck und die vielen Krähen sitzt offenbar tief. Zeitgleich hat das Land den Schädlingsstatus der Stadttauben soeben aufgehoben. Was bedeutet das?

Magdeburg - In der Wilhelm-Klees-Straße im Magdeburger Stadtteil Stadtfeld-Ost sind wie in der City Hunderte Stadttauben zu Hause. Leider inzwischen auch auf dem Balkon unserer Stadtfelder Leserin, die vorige Woche am Redaktionstelefon ihrem Ärger Luft macht. Ein Pärchen habe in der Nähe gebrütet, Jungtiere verschmutzten nun regelmäßig ihren Balkon mit Kot, berichtet sie.
Die Tauben sind standorttreu. Wer sie einmal zu Gast hat, wird sie kaum wieder los. Auch die vielen Krähen seien ein großes Problem, erzählt die Leserin. Ihren Namen sollen wir nicht nennen, doch dass „endlich etwas passiere“, sei ihr wichtig.
Ärger um Tauben in der Stadt: Land will Stadttauben nicht mehr als Schädlinge bewerten
Regelmäßig beobachtet die Stadtfelderin zudem, wie Bewohner im Stadtteil die Tauben auch noch füttern. Ein Unding, findet sie. Das Rathaus hat schon vor Jahren mit einem Fütterungsverbot auf die wachsende Population von wildlebenden Vögeln in Magdeburg reagiert. Die Leiterstraße ist ein weiterer Brennpunkt, wo trotz Verbots regelmäßig gefüttert wird, wie die Volksstimme erst im Juli wieder berichtete.
Tierschützer sagen: Aushungern der Tauben muss ein Ende haben
Der Verein Tieranker, in dessen Pflegestelle sich die Stadttaubenhilfe Magdeburg um verletzte und hilflose Stadttauben kümmert, fordert schon lange betreute Taubenhäuser für artgerechte Fütterung und Bestandskontrolle. Das derzeit gezielte „Aushungern“ und die „anhaltende Hetzkampagne“ gegen Stadttauben (sie sind Nachfahren von ausgesetzten Zuchttauben oder ausgedienten Brief- und Ziertauben) müsse ein Ende haben. Das führe letztlich auch zu schlimmen Tierquälereien, beklagen Nicole Hoffmann-Fritsch und Nancy Piontek vom Tieranker im Volksstimme-Gespräch. Zum Beweis legen sie Bilder vor, die Tauben mit schlimmen Verletzungen zeigen.
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Die Tiere seien allesamt in Magdeburg aufgefunden worden, betonen sie. Schussverletzungen, gestutzte oder angeklebte Flügel fügten den Tauben schwere Qualen zu. „Jedes Jahr werden unzählige Tauben dehydriert, erschöpft, verletzt, am Verhungern, aus dem Nest gefallen oder von Fressräubern attackiert gefunden“, berichten die Tierfreunde.

Ehrenamtliche der Stadttaubenhilfe kümmern sich um die hilflosen Vögel, geraten aber längst an ihre Grenzen. Wie viele Neuzugänge es dort gibt? „Man kann sagen, mindestens 365 im Jahr. Wir finden jeden Tag hilflose Tauben“, beantworten Nicole Hoffmann-Fritsch und Nancy Piontek die Frage.
Auf Landesebene hat man jetzt reagiert. Auf Initiative der Grünen-Fraktion beschloss das Kabinett im August eine Änderung der aktuellen Schädlingsbekämpfungsverordnung. Danach galt die verwilderte Haustaube in Sachsen-Anhalt bislang noch als tierischer Schädling. Die neue Verordnung trete mit Veröffentlichung dieser Tage in Kraft, informierte Andreas Pinkert, Sprecher des Gesundheitsministeriums, auf Nachfrage.
Taubenhaus auf dem Dach vom Allee-Center in Magdeburg?
Mit der Aufhebung des Schädlingsstatus werde die „Schaffung von Taubenschlägen zur Eindämmung der Populationen sowie der Verschmutzungen und die gesteuerte tierschutzgerechte Fütterung möglich“, erläutert Pinkert. Anders gesagt: Fütterungsverbote, wie sie etwa in Magdeburg gelten, sind zumindest bei den Stadttauben mit Infektionsschutz künftig nicht mehr zu begründen.
In Taubenschlägen können beispielsweise auch Eier durch Attrappen getauscht werden. Die Population lässt so langfristig eindämmen. Nur Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern hatten bislang noch den Schädlingsstatus der verwilderten Haustaube aufrechterhalten. Der Tieranker Magdeburg und die Tierrechtsorganisation Peta begrüßen die Neuregelung für die Stadttauben, fordern nun aber auch Maßnahmen, um das Problem zügig anzugehen.
Schon einige Jahre alt ist die Idee, in der Innenstadt ein Taubenhaus als artgerechten Futter- und Brutplatz zu bauen. Das Allee-Center hatte sein Dach dafür angeboten. Im Frühjahr gab es eine Vor-Ort-Begehung. „Wir würden uns sehr freuen, wenn es damit jetzt wirklich voran ginge“, sagen die Vertreter des Tierankers. Der Verein sei bereit, bei der Betreuung des Taubenhauses zu helfen.
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Genau auf solche Initiative hofft IG Innenstadtsprecher Arno Frommhagen. Die City-Händler, die an vielen Stellen mit Vogeldreck zu kämpfen haben, wollen eine tierschutzgerechte Lösung, wie Frommhagen betont. Deshalb unterstütze man den Plan für ein Taubenhaus auf dem Allee-Center-Dach, würde sich sogar an den Kosten zur Errichtung beteiligen – in Kooperation mit der Stadt. Das wisse auch OB Simone Borris. „Wir stehen bereit“, sagt Frommhagen. Falls die Stadt das Geld nicht aufbringen könne, wäre die Sammlung von (Spenden-)Mitteln über ein Crowdfunding denkbar. Einige Unternehmen hatten schon Unterstützung zugesagt.
Tauben in der Stadt: Futterreste bieten Nahrung für Ratten
Frommhagen glaubt, dass das funktionieren könnte. Geklärt werden müsse allerdings die Frage der Trägerschaft für das Taubenhaus, also wer sich regelmäßig darum kümmere. „Da müssen schon Fachleute aufs Dach zum richtigen Füttern und Austauschen der Eier. Das kann nicht der Hausmeister machen“, so Frommhagen.

Aber welche Schlussfolgerungen zieht das Rathaus nun aus dem neuen „Freiflugschein“ für Stadttauben? „Sollte die Taube nicht mehr als Schädling betrachtet werden, wird die Verwaltung prüfen, ob es möglich ist, einzelne Futterplätze vom Ordnungsamt bestätigen zu lassen“, erklärt Stadtsprecher Michael Reif. Dafür müsse aber nicht das grundsätzliche Fütterungsverbot aufgehoben werden.
Bei dem Verbot des Fütterns von Wildvögeln gehe es besonders auch um die Folgen des unkontrollierten Fütterns. „Eine Folge ist, dass Futterreste, die verschmäht werden, wenn Vögel satt sind, teilweise von Ratten gefressen werden“, so Reif. Ratten wiederum fallen unter die Schädlingsbekämpfungsverordnung von Sachsen-Anhalt, argumentiert der Stadtsprecher.