Liebe, Achtung, Toleranz Magdeburger Bischof: Alt werden ist nichts für Feiglinge
Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige hat Ehejubilare gewürdigt. Was er den Paaren zu sagen hatte.

Magdeburg - Anlässlich der Segnung von 115 Ehejubilar-Paaren in der Kathedrale St. Sebastian in Magdeburg hat Bischof Feige den Wert der Dankbarkeit hervorgehoben. Jahrzehntelange Treue, Geduld und gegenseitiges Tragen seien nicht nur Grund zur Freude, sondern auch ein ermutigendes Zeugnis für kommende Generationen. Seine Predigt im Wortlaut.
Liebe Ehejubilare, liebe Schwestern und Brüder,
wer so lange verheiratet ist wie Sie, schaut sicher manchmal staunend und dankbar auf die zurückliegenden Jahrzehnte zurück, auf gute und schlechte Tage, Höhen und Tiefen, Freud und Leid, auf das, was Sie in Ihrer Ehe getragen hat und was Sie miteinander durchgetragen haben. 50, 60 oder mehr Jahre gehen Sie gemeinsam durchs Leben und sind dabei auch gemeinsam älter geworden.
Altwerden aber ist – salopp formuliert – nichts für Feiglinge. In den Schriften der Bibel zeugt hohes Alter von einem segensreichen Leben. Von Adam heißt es, er sei 930 Jahre alt geworden (Gen 5, 5), Methusalem sogar 969 Jahre (Gen 5, 27), und Sara, die Ehefrau Abrahams, habe wunderbarerweise noch spät in ihrem Leben ein Kind zur Welt bringen können. Die Erzählungen der Bibel sind ein großer Schatz menschlicher Erfahrungen.
Einsamkeit bedrückt, Krankheit belastet
Deshalb verschweigen sie auch nicht die Angst vorm Altern. „Verwirf mich nicht, wenn ich alt bin“ – so haben wir es aus dem Mund des Psalmbeters gehört – „verlass mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden.“ Dahinter steckt die Sorge, im Alter nicht mehr gebraucht und angenommen zu sein und, wenn die Kräfte schwinden, einander oder der jüngeren Generation zur Last zu werden. Wer alt wird, weiß: Der Körper wird fragiler, die Kreise kleiner, Einsamkeit kann bedrücken und Krankheit belasten.
Der Gerontologe Andreas Kruse spricht deshalb von der Verletzlichkeit des Alters, der wir alle unausweichlich begegnen. In ihr liegt zugleich aber auch die Chance für eine tiefe Erfahrung: Wer die eigene Verletzlichkeit spürt, wird offener für das, was wirklich trägt: die Treue Gottes und die Nähe eines Menschen, auf den Verlass ist.
Was in Momenten der Schwäche passierte
Vielleicht durften Sie, liebe Ehejubilare, das in 50 oder mehr gemeinsamen Jahren auch erfahren, haben in Momenten der Schwäche einander getragen und sich gegenseitig keine Vorwürfe gemacht. Sicher ist dabei manchmal gegenüber Ihrer Gattin oder Ihrem Gatten zum Ausdruck gekommen, was sich in die sehr persönlichen Worte fassen lässt: Wenn deine Kräfte schwinden, wenn das Leben miteinander auch anders ist, weil wir anders geworden sind, verlasse ich dich doch nicht, sondern bleibe bei dir.
Vom Bleiben in Treue
Vom Bleiben in Treue erzählt auch das heutige Evangelium, das uns mit dem Leben des gottesfürchtigen Simeon und der Prophetin Hannah in Berührung bringt. Beide sind alt, haben viel erlebt und fast ihr ganzes Leben gewartet. Und doch sind sie nicht verbittert, sondern strahlen eine innere Ruhe aus. Was ist die Ursache dafür? Woraus schöpfen sie ihre Zuversicht? Es ist der Glaube an Gott und das Vertrauen, dass er die Geschichte führt. Sie haben gelernt, ihr Leben nicht krampfhaft festzuhalten, son-dern es in seine Hände zu legen. Und so können sie letztlich auch loslassen.
Loslassen ohne aufzugeben
Vielleicht ist das auch ein Bild für die Ehe im Alter. Nach anstrengenden Jahren, in denen Sie sich eine gemeinsame Existenz aufgebaut, eine Familie gegründet und schwierige Situationen miteinander durchgestanden haben, kommt nun die Erfahrung: Wir sind getragen, wir dürfen loslassen, ohne aufzugeben. Wir dürfen uns Gott und einander anvertrauen.
Sanftmut und Freiheit
Wer so bei sich angekommen und der Hast des Lebens entwachsen ist, der strahlt etwas nach außen aus. Simeon und Hannah sind da gute Beispiele. Aber auch heute spürt man bei manchen Menschen im Alter den großen Schatz ihrer Lebenserfahrung. Nicht umsonst sind sie dort, wo das Verhältnis zwischen den Generationen gelungen ist, gern gehörte Gesprächspartnerinnen und -partner.
Ihr ganzes Dasein und ihr Um-Gang mit anderen lässt erkennen, was der Benediktinermönch Anselm Grün „Tugenden des Alters“ nennt. Dazu zählt er Gelassenheit und Geduld, Sanftmut und Freiheit, Dankbarkeit und Liebe. Solche Haltungen können im Alter in besonderer Weise Raum gewinnen und zum Ausdruck kommen. Aber – das betont er auch – sie fallen nicht einfach so zu, sie müssen immer wieder neu eingeübt werden, damit das Älterwerden gelingen kann – denn es sind „Haltungen, die auch im Alter Halt geben“.
Tugend der Gelassenheit
Dabei ist mit der Tugend der Gelassenheit gemeint, nicht krampfhaft an dem, was gewesen ist und wer man selbst war, festzuhalten, sondern sein Leben loszulassen. Der Mensch aber, der gelassen auf sein Leben schauen kann, kann auch gelassen auf das Leben anderer schauen und sie so lassen, wie sie sind. Dem Druck des Lebens entrinnen und die Zeit bewusst wahrnehmen zu können, ist sowohl ein Geschenk des Alters als aber auch eine Herausforderung.
Herausforderungen im Leben
In manchem ähnelt dem auch die Tugend der Geduld. Sie bedeutet, einander oder etwas tragen und ertragen beziehungsweise aushalten und standhalten zu können. Das ist sicherlich eine der großen Herausforderungen im Leben insgesamt, besonders auch in einer langjährigen Ehe und zwischen den Generationen. Zum einen braucht es da die Geduld der Jüngeren, weil wir Menschen uns im Alter nicht mehr so schnell ändern. Und zum anderen dürfen diese auf die Geduld der Älteren hoffen, wenn sie ihr Leben im eigenen Tempo und nach eigenen Vorstellungen gestalten möchten. „Der Geduldige duldet“, nimmt die Dinge sowie den und die andere so an, wie sie sind.
Innerer Reichtum
Gut gefällt mir auch, was Anselm Grün zur Tugend der Sanftmut schreibt. Sanftmut ist von seiner Wortbedeutung her der „Mut, alles, was in mir ist, zu sammeln.“ So wird nichts von dem ausgeschlossen, was das eigene Leben ausgemacht hat. Und wer bei sich selbst sanftmütig ist, kann auch andere ermutigen, „alles in sich zuzulassen und zu sammeln“ und auf diese Weise ihren inneren Reichtum zu entdecken.
Schließlich ist es ein großes Geschenk, mit der Tugend der Dankbarkeit auf das eigene Leben schauen zu können. Nur wer dankbar ist, kann mit anderen in Gemeinschaft leben. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Herzen zusammenklingen. Wer mit Dankbarkeit die Gegenwart und jeden neuen Tag annehmen kann, kann auch im Alter zuversichtlich und hoffnungsvoll leben.
Viele sind schon vorausgegangen
Mit Dankbarkeit schauen wir heute auf die vielen Jahre, die Sie gemeinsam verbracht haben, und auf den heutigen Tag, den wir in festlicher Gemeinschaft verbringen dürfen – Sie als Ehepaare und Familien und wir als den Gottesdienst Mitfeiernde. Wir alle danken für das Zeugnis Ihres Lebens. Wir danken dafür, dass Sie durch Ihre Liebe und Treue anderen Menschen – vor allem auch Ihren Kindern und Enkeln – ermutigende Vorbilder gewesen sind. Gemeinsam mit Ihnen danken wir aber auch all denen, die Ihnen diesen Weg ermöglicht und Sie unterstützt und begleitet haben.
Viele von ihnen sind uns schon zu Gott vorausgegangen. Danken wollen wir aber vor allem Gott, der Sie bisher begleitet hat. Möge er Ihnen auch weiterhin die Tugenden des Alters schenken: Gelassenheit und Geduld, Sanftmut und Dankbarkeit. Mögen Sie erfahren, dass er auch dann an Ihrer Seite ist, wenn die Kräfte schwinden und die Last des Alters größer wird. Und möge Gott Ihnen all das Gute, das Sie gewirkt haben, dereinst in Fülle vergelten.