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Landratswahl Viele hausgemachte Probleme

So sieht die Bilanz des Landkreises Stendal für die vergangenen sieben Jahre ist.

Von Bernd-Volker Brahms 26.10.2019, 01:01

Stendal l Der Posten des Landrates wird mit der Wahl am 10. November für die kommenden sieben Jahre neu vergeben. Es ist zweifellos ein sehr herausfordernder Job, der da zu erledigen ist. Der Landrat lenkt eine Behörde mit fast 700 Mitarbeitern. In den vergangenen Jahren gab es dabei viele Herausforderungen. Wie sie im Landkreis Stendal gemeistert wurden, soll in einem Überblick gezeigt werden.

Im Prognos-Zukunftsatlas, der die Entwicklungschancen bewertet, landet der Landkreis Stendal 2019 deutschlandweit auf dem 401. und damit letzten Platz. Es gibt es kaum nennenswerte Firmenansiedlungen. Auch im Zuge der A 14, deren Bau 2018 den Landkreis erreichte, gab es nur wenig Initiative, um auswärtige Firmen für die Regionen zu interessieren. Es hat viele Schließungen von landwirtschaftlichen Betrieben gegeben. Im Rahmen der Wirtschaftsförderung gibt es zahlreiche Bundes- und Landesprojekte. Hier engagierte sich der Landkreis, stockte Personal auf. Es wurde der Rückkehrertag initiiert.

Ab 2014 wurde ein Chaos bei nicht angeschlossenen Haushalten und Gewerben deutlich. Es folgten Zwangsanschlüsse und am Ende Verwaltungsgerichtsverfahren, bei denen die Rechtswidrigkeit von Gebührenbescheiden und damit auch der zugrundeliegenden Satzungen bestätigt wurden. Zuvor gab es viel Ärger um die Gelben Tonnen, viele Bürger beschwerten sich, dass ihnen keine zur Verfügung gestellt werden. Eine Abstimmungsvereinbarung des Landkreises mit dem Systembetreiber Landbell AG liegt bis heute nicht vor, obwohl dies seit Anfang des Jahres gesetzlich vorgeschrieben ist. Dazu kommt, dass sich herausstellte, dass in Polte der Bioabfall des gesamten Landkreises seit Jahren nur deponiert und so gut wie gar nicht weiterverarbeitet wird. Die Einführung der kostenpflichtigen Biotonne wurde vom Kreistag abgelehnt. Im Übrigen wurde eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Landrat, bei der es unter anderem um die nicht durchgesetzte Anschlusspflicht ging, im April 2017 von der Tagesordnung des Kreistags genommen und nicht wieder angefasst.

Im Laufe des Jahres 2015 stellte sich für den Landkreis die Aufgabe, immer mehr Asylbewerber unterzubringen. Zeitweise kamen täglich 50 Menschen hier an. Ende 2015 lebten rund 1500 Asylbewerber (ohne Landesaufnahmestelle Klietz) im Landkreis. Es wurde schnell gehandelt. Die Menschen brauchten nicht – wie in anderen Regionen – in Zelten oder Turnhallen übernachten. Auch gut: Es wurden keine langfristigen Mietverträge für Unterkünfte gemacht. Dadurch entstanden nicht unnötige Kosten, als die Zahl der Flüchtlinge wieder sank. Es wurden Integrationskonferenzen vom Landkreis und von Kommunen ausgerichtet, Beteiligte wurden an einen Tisch geholt. Die Stimmung kippte nicht, es blieb friedlich. Mit Hilfe von Fördergeld laufen beim Landkreis vielfältige Integrationsbemühungen zur Teilhabe von benachteiligten Menschen in der Gesellschaft. Die Ausländerbehörde gilt aber als besonders rigoros. Es wurden mehrere Abschiebeversuche publik, bei denen die Behörde den rechtlichen Spielraum überstrapazierte. Große Aufgabe der Zukunft: Umgang mit den Menschen der Landesaufnahmeeinrichtung in Stendal, die sich derzeit im Bau befindet.

Um dem drohenden Ärztemangel in der Region vorzubeugen, schreibt der Landkreis künftig ein Stipendium für Medizinstudenten aus, um sie zu binden. Die Stadt Osterburg hatte es vorgemacht.

Die umfangreichsten Investitionen des Landkreises fließen in die Schulen. Es steht viel Fördergeld zur energetischen Sanierung bereit. Millionen Euro werden dafür ausgegeben. Mit der Schulentwicklungsplanung 2014 wurde das Ende für sechs Grundschulstandorte beschlossen. Dabei scheiterte in Werben die private Initiative, dort eine neue Schule einzurichten. Dafür gründete sich in Kamern eine neue Schule – nach Rechtsstreit mit dem Land. Auch in Goldbeck und Stendal entstehen neue Schulgebäude. Die Planungen bleiben weiter schwierig.

Die gesetzlich vorgesehene Hilfsfrist bei Krankenwagen von zwölf Minuten wird im Landkreis im Schnitt (2018) nur in 73,87 Prozent der Fälle eingehalten. Landesweit ist nur der Harz (69,47 Prozent) schlechter. Der Altmarkkreis Salzwedel, mit dem der Landkreis Stendal seit 2016 eine Integrierte Leitstelle betreibt, liegt bei 84,93 Prozent. Im Landkreis Stendal ist der Bau weiterer Rettungswachen (derzeit sieben) geplant. Nach langer Vorbereitung spielen die Krankenkassen bei dem angedachten Finanzierungsmodell nicht mit.

Es war das Jahrhunderthochwasser, als am 10. Juni 2013 bei Fischbeck der Deich brach. Der Elb-Havel-Winkel wird auf rund 220 Quadratkilometern geflutet. Als der Pegel in Tangermünde 8,20 Meter erreichte, da brach der Deich. Es wurde ein Gesamtschaden von rund 125 Millionen Euro im Landkreis angerichtet. 1250 Gebäude standen unter Wasser, 1332 Personen mussten evakuiert werden, es wurden vier Millionen Sandsäcke geschleppt, es entstanden 6780 Tonnen Müll. Es gab viel Wiederaufbauarbeit zu leisten. Die Deiche wurden schnell saniert. Bei Fischbeck verläuft nunmehr ein hochmoderner Deich. Sieben Kilometer lang, 31,5 Millionen Euro teuer. Sowohl während der Katastrophe als auch im Nachgang liefen viele Koordinationsfäden im Landratsamt zusammen.

Im Juli 2014 wurde die Kreistagswahl – im Gegensatz zur Stendaler Stadtratswahl – für gültig erklärt. Es gab da schon Anzeichen für eine Manipulation. Den Landrat kostete sein Agieren später den Posten des Kreiswahlleiters.

In die Schlagzeilen geriet der Landkreis durch mehrere Fälle von Tierquälerei. Ein Tierschutzverein hatte heimlich in Demker und Hohengöhrener Damm gefilmt. Im ersten Fall schritt der Landkreis äußerst zögerlich ein. TV-Sender berichteten.

Im Mai 2018 musste der Verein Tourismusverband Altmark Insolvenz anmelden. Das Land hatte Fördermittel zurückgefordert. Die Verantwortlichen in den beiden Altmark-Landkreisen wussten seit Jahren, dass die Konstruktion als Verein und die Bündelung der Aufgaben von Tourismus und Regionalentwicklung schwer mit den EU-Regelungen für Vergaben, Beihilfen und Steuern kompatibel waren. Man ließ es schleifen und versäumte es, rechtzeitig neue Strukturen zu schaffen. Seit Anfang 2019 arbeitet nun ein neuer Verband, der nach wie vor von vielen Kommunen kritisch beäugt wird. Die Image-Kampagne „Altmark - Grüne Wiese mit Zukunft“, die im Januar 2014 startete, zündete nie richtig.

Mehr als die rund 1000 Hausanschlüsse im Pilot-Cluster Arneburg kann der Zweckverband Breitband Altmark (ZBA) bisher nicht vorweisen. Bereits im Juli 2016 war nach jahrelanger Vorbereitung der erste Spatenstich für die schnellen Glasfaserkabel in der Altmark erfolgt. Es sollen rund 140 Millionen Euro investiert werden. Dabei gibt der Bund rund 40 Millionen Euro und das Land 24 Millionen Euro an Fördergeld. Der Rest muss über Kredite bezahlt werden. Es konnte mit DNS:NET ein Netzbetreiber gefunden werden, der das Datennetz für 25 Jahre pachtet. In der Zwischenzeit hat der private Konkurrent Telekom in vielen Orten der Altmark Kupferkabel verlegt und Kunden gebunden. Ab Anfang 2020 sollen endlich auch vom ZBA weitere Leitungen verlegt und Haushalte angeschlossen werden. Es besteht die Hoffnung, dass der Bund noch weitere Fördermittel für Gebiete gibt, die als schon erschlossen gelten.

Der Landkreis hat mit 741 Euro die höchste Pro-Kopf-Verschuldung in Sachsen-Anhalt. Die Schulden des Landkreises liegen bei rund 85 Millionen Euro. Da der Landkreis bei Einnahmen lediglich auf die Landeszuweisungen und die Kreisumlage zurückgreifen kann, gibt es nicht viele Stellschrauben. Die Kreisumlage liegt landesweit im Mittelfeld, bei einer Erhöhung droht eine „Erdrosselung“ der Kommunen.