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  7. Archäologie in Zerbst: Hünenbett Gehrden älter als Pyramiden und Stonehenge

Archäologie Geheimnisvolle Steine in einem Dorf bei Zerbst sind älter als die Pyramiden von Gizeh und Stonehenge

Die Pyramiden von Gizeh standen noch nicht. An das berühmte Stongehenge oder das Ringheiligtum in Pömmelte war noch nicht zu denken. Da tat sich in einem Dorf bei Zerbst: Wegweisendes.

Von Andreas Baumgart Aktualisiert: 18.11.2023, 14:04
Das Hünenbett in Gehrden bei Zerbst ist für Besucher über einen kurzen Wiesenweg frei zugänglich. Eine Vielzahl von Schildern im Ort weist den Weg. Am Hünenbett befinden sich eine Tafel mit Informationen zur Geschichte des Hünenbetts, des Dorfes und der Umgebung sowie die Möglichkeit für eine Rast.
Das Hünenbett in Gehrden bei Zerbst ist für Besucher über einen kurzen Wiesenweg frei zugänglich. Eine Vielzahl von Schildern im Ort weist den Weg. Am Hünenbett befinden sich eine Tafel mit Informationen zur Geschichte des Hünenbetts, des Dorfes und der Umgebung sowie die Möglichkeit für eine Rast. Foto: Petra Wiese

Gehrden/pwi. - Auf einer Wiese am Rande von Gehrden befinden sich die ältesten für jedermann sichtbaren menschlichen Siedlungsspuren zwischen Elbe und Fläming – das Gehrdener Hünenbett.

Das neolithische Bauwerk ist in der Zeit ab zirka 3.800 vor Christus entstanden und damit älter als die Pyramiden von Gizeh, die Steinkreise von Stonehenge oder die Himmelsscheibe von Nebra. Auch vergehen noch fast 2.000 Jahre, bis die Menschen das Ringheiligtum von Pömmelte erschaffen.

In der Zeit der Entstehung des Hünenbetts bot die Landschaft ein ganz anderes Bild als heute. Gehrden lag an einem verzweigten, in die Elbe mäandernden, Flusslauf, umgeben von fruchtbaren Böden, sandigen Höhen, sumpfigen Wiesen und dichten Wäldern aus Eichen und Buchen.

Diese Bedingungen boten einen idealen Siedlungsplatz für die Menschen der Steinzeit. Davon zeugen eine Vielzahl neolithischer Scherbenfunde mit charakteristischen Verzierungen oder Gräberfelder, die auch nach tausenden Jahren vor allem bei Trockenheit aus der Höhe sichtbar werden.

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Doch die deutlichste Spur, welche die einstigen Siedler hinterlassen haben, sind die Riesensteine des Hünenbetts. Seit Generationen fragen sich Einheimische, wie die Menschen vor fast 6.000 Jahren die bis zu zehn Tonnen schweren Granit-Steine transportiert haben und welchem Zweck dieses Bauwerk gedient haben möge. Dabei ist es ein wirklicher Glücksfall, dass dieses Hünenbett auch heute noch bestaunt werden kann.

Entstehung der Anlage in der „neolithischen Revolution“

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden mehrere Findlinge angebohrt und mit Hilfe von Meißeln und Eisenstangen gesprengt. Zudem wurde nach dem Ende des Ersten Weltkriegs einer der schönsten Steine von der nördlichen Querseite des Hünenbetts als Denkmal für die Kriegsgefallenen auf dem Gehrdener Kirchhof aufgestellt.

Nur dank der schützenden Hand des damaligen Besitzers der Wiese wurde noch größeres Unheil verhindert und dem Hünenbett blieb das Schicksal vieler anderer neolithischer Anlagen erspart.

Kurze Zeit später wurde das Hünenbett auf Antrag des damaligen Altertumsvereins in Burg unter staatlichen Schutz gestellt. Heute sind von den ehemals 62 Steinen noch 58 erhalten, wodurch das kammerlose Hünenbett das letzte nahezu vollständig erhaltene Monument dieser Art in Sachsen-Anhalt ist.

Ein steinzeitliches Gräberfeld bei Gehrden, einem Dorf bei Zerbst. Die grünen kreisrunden Areale sind Grabstellen.
Ein steinzeitliches Gräberfeld bei Gehrden, einem Dorf bei Zerbst. Die grünen kreisrunden Areale sind Grabstellen.
Foto: Andreas Baumgart

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In der Zeit der Entstehung der neolithischen Anlage befanden sich die Menschen in Mitteleuropa am Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, der „neolithischen Revolution“. Dieser Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zu einer sesshaften Lebensweise, die von Ackerbau und Viehzucht bestimmt wurde, prägte von nun an die menschliche Gesellschaft.

Die Siedler wohnten in großen rechteckigen, teils trapezförmigen, „Langhäusern“ von bis zu 30 Metern Länge, deren Dreiteilung Platz für Wohnräume, für Tierstallungen sowie für Arbeits- und Vorratshaltung bot. Durch eine Umzäunung mit Palisaden oder dem Ausheben umlaufender Gräben, die wohl vor allem zum Schutz der Haustiere sowie der Nutzpflanzen dienten, entstanden die ersten dörflichen Strukturen.

Gehrdener Hünenbett gehört zu ältesten erhaltenen Grabmonumenten Nordmitteleuropas

Die Bauherren des Gehrdener Hünenbettes gehörten zu der steinzeitlichen Gruppe der Tiefstichkeramiker, eine der ersten sesshaften bäuerlichen Kulturen östlich der Mittelelbe. Das Hünenbett wurde bisher noch nicht archäologisch erforscht, aber Untersuchungen an ähnlichen Bauwerken in Norddeutschland ergaben interessante übereinstimmende Grundprinzipien.

So ist davon auszugehen, dass das Gehrdener Monument ab zirka 3.800 v. Chr. in mehreren Bauabschnitten errichtet wurde, wodurch es zu den ältesten erhaltenen Grabmonumenten Nordmitteleuropas gehört.

Bis sich der Ahnenkult um die Hünenbetten ändert und die steinzeitlichen Menschen Ganggräber bauen, die mit riesigen Decksteinen abgeschlossen werden, vergeht noch ein halbes Jahrtausend.

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Die kammerlosen Hünenbetten, so legen archäologische Funde nahe, waren Orte für spirituelle Handlungen und rituelle Begräbnisse, die vor allem im östlichen Teil der Steinsetzungen stattgefunden haben (Richtung Sonnenaufgang).

Hier fanden Opferungen statt, brannten Feuer und wurden Menschen- und Tierknochen niedergelegt oder eingegraben. An der Spitze des rituellen Handelns stand ein Schamane oder, wohl noch weit häufiger, eine Schamanin. Die Steinreihen waren in die Siedlungsstrukturen eingebunden, so dass die Vermutung nahe liegt, dass es neben den „Häusern der Lebenden“ auch ein „Haus der Ahnen“ gab.

Die auffällige Gleichheit der Grundrisse von Langhäusern und Hünenbetten scheint diese Annahme zu unterstützen.

Menschen vor 6.000 Jahren mit Lebensraum bei Gehrden verwurzelt

Unerwähnt blieb bisher noch das eigentliche „Warum“. Was veranlasste die Menschen, so große Mühen auf sich zu nehmen, riesige Steine zu bewegen und monumentale Bauten zu errichten? Archäologische Detektivarbeit und vergleichende ethnologische Studien mit heute noch lebenden archaisch-megalithischen Kulturen konnten etwas Licht in das Dunkel der steinzeitlichen Kultur bringen.

Mit der Veränderung der Gesellschaft hin zu einer sesshaften Lebensweise waren die Menschen fest mit ihrem Lebensraum verwurzelt, auf dem sie lebten und der sie ernährte. Auch die Einstellung zum Tod und der Umgang mit den Verstorbenen veränderten sich. Die Ahnen, von denen sie das Land und die Wälder übernahmen, waren weiter ein Teil der Gemeinschaft.

Diese neolithischen Scherbenfunde stammen aus der Umgebung von Gehrden bei Zerbst.
Diese neolithischen Scherbenfunde stammen aus der Umgebung von Gehrden bei Zerbst.
Foto: Andreas Baumgart

In Anlehnung an den Glauben heutiger Naturvölker könnte jeder Stein eine verstorbene Person beziehungsweise deren Persönlichkeit repräsentieren, mit der über Träume oder in Trance Verbindung aufgenommen werden kann.

Die Hünenbetten waren das mythisch-kulturelle Zentrum einer Siedlung, das einer Gemeinschaft Halt und Orientierung bot und sie miteinander, aber auch mit den Vorfahren und dem Land, verband. Wie Untersuchungen der Grabbeigaben zeigen, scheint diese frühe Phase der bäuerlichen Kultur eine sehr egalitäre Gesellschaft hervorgebracht zu haben.

Ruhm und Anerkennung wurden nicht demjenigen zuteil, der viele Dinge (Tiere, Schmuck, Werkzeuge) anhäufte, sondern demjenigen, der am meisten mit anderen Menschen teilen konnte.

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Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass diese frühe Zeit des Neolithikums eine sehr friedvolle geschichtliche Periode gewesen sein muss. Im Gegensatz zu späteren Zeiten sind an ausgegrabenen Skeletten sehr selten Gewalteinwirkungen festzustellen.

Auch fehlen die sterblichen Überreste junger Männer und Grabbeigaben wie Äxte oder Beile, die auf kriegerische Auseinandersetzungen hindeuten. Erst mit dem kontinuierlichen Anwachsen der Bevölkerung und sich ungünstig verändernden klimatischen Bedingungen etabliert sich um die Wende des 3. Jahrtausends zunehmend eine Kriegerkultur.

Wie bereits erwähnt, ist das Gehrdener Hünenbett das letzte erhalten gebliebene Bauwerk dieser Art in Sachsen-Anhalt. Vor ca. 250 Jahren bot sich allerdings ein ganz anderes Bild.

Nach den handschriftlichen Aufzeichnungen des Pfarrers Joachim Gottwald Abel (1755–1806) aus Möckern in seiner Chronik „Von andern heilig und in Ehren zu haltenden Götzen-Altären, Hünenbetten und- Hügeln“ gab es eine Vielzahl kammerloser Hünenbetten. Allein in der Umgebung von Gehrden sind sechs Anlagen dieser Art dokumentiert, die zu Zeiten Abels zumindest teilweise erhalten waren.

Diese Postkarte vom Hünengrab stammt aus den 1960er-Jahren. Andreas Baumgart (47) wuchs in Gehrden auf  und lebt wieder in seinem Heimatdorf. Der elterliche Garten hörte am Hünengrab auf. 
Diese Postkarte vom Hünengrab stammt aus den 1960er-Jahren. Andreas Baumgart (47) wuchs in Gehrden auf und lebt wieder in seinem Heimatdorf. Der elterliche Garten hörte am Hünengrab auf. 
Foto: Archiv Baumgart

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Archäologische Funde: Das imposante Hünenbett auf dem Mühlenberg

So berichtet der Pfarrer von einem Hünenbett auf dem Mühlenberg in Gehrden. Er schreibt: „Die mehrsten von den Steinen dieses Denkmals haben der Mühle weichen müssen, und sind nur die auf der Mittagsseite stehenden noch übrig geblieben, von welchen auf der Abendseite noch neun und auf der Morgenseite noch sechs Steine zu sehen, die theils in die Höhe gerichtet stehen, theils liegen, etliche aber schon versunken sind.“ Ein Großteil dieser Steine ist bis heute erhalten geblieben und liegt in der Nähe des Mühlenberges verstreut.

So wie dem Hünenbett auf dem Mühlenberg erging es leider den meisten neolithischen Anlagen. Sie wurden abgebaut, weil sie die Bauern bei der Bestellung ihrer Felder behinderten oder sie dienten als Quelle für günstiges Baumaterial. Die Vielzahl nachgewiesener kammerloser Hünenbetten in diesem relativ kleinen Gebiet östlich der Elbe legt die Vermutung nahe, dass dies ein Hotspot früher neolithischer Besiedlung war und Ausgangspunkt für eine Expansion steinzeitlicher Kultur Richtung Osten und Süden.

Nachdenklich stimmt die Tatsache, dass in unmittelbarer Nähe riesige Windräder gebaut werden sollen, welche die Ursprünglichkeit dieser Anlage zerstören und deren Fundamente neolithische Gräberfelder sowie alte Siedlungsstätten unwiderruflich verschwinden lassen würden.

Für den Beitrag verwandte Literatur und Quellen: Müller, J.: Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel. Darmstadt 2017.Scharl, S.: Jungsteinzeit. Stuttgart 2021. Preuß, J.: Die altmärkische Gruppe der Tiefstichkeramik. Berlin 1980. Warnecke, O.; Baumgart, A.: Ortschronik Gehrden. Unveröffentl.