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Vier Landrats-Kandidaten stellen sich im Forum den Fragen von Zuhörern, Volksstimme-Lesern und Experten Heimatkunde und viele heiße Themen

Sollen die Kreiskliniken privatisiert werden? Kann das Städtebundtheater
erhalten werden? Und wie lässt sich die Wirtschaft auf sicherem Kurs
halten? Fragen, die beim Forum zur Landratswahl diskutiert worden sind.
Mit Sabine Kolbe, Dirk Michelmann sowie Carsten Nell und Martin Skiebe
haben sich vier Kandidaten, die am Sonntag am Start sind, den Fragen der
Wähler gestellt.

Von Dennis Lotzmann 29.08.2013, 03:14

Halberstadt l Ginge es beim Besetzen des Landratssessels um Faktenwissen in punkto Heimatkunde, bliebe der Stuhl nach dem Wahlgang am Sonntag womöglich leer. Denn die Kandidaten, die SPD und CDU sowie die Links-Partei und die Wählervereinigung "Bürger unseres Kreises ohne Parteibuch" (Buko) am Sonntag bei der Landratswahl ins Rennen schicken, offenbarten beim Heimatwissen noch leichte Holprigkeiten.

Zwar wussten sie die Frage nach der tiefsten Stelle im Kreis, mit der Volksstimme-Moderator Tom Koch das Forum eröffnete, mit dem Großen Bruch noch überwiegend richtig zu beantworten. Als es dann aber um die Zahl der Ortsteile der Stadt Falkenstein/Harz (sieben), das einstige Autokennzeichen dieser Stadt (ASL) oder um die Harz-Kommune mit den wenigsten Einwohnern (Treseburg mit 83) ging, kam das Quartett ins Schwimmen.

Aber: Es ging im Forum, zu dem Industrie- und Handelskammer, Hochschule Harz und Volksstimme eingeladen hatten, nicht vordergründig um Heimatkunde, sondern um die Frage, wie die vier Anwärter, die am Sonntag für sieben Jahre ins Landratsamt gewählt werden wollen, den Kreis voranbringen wollen. Sowohl auf kulturellem Gebiet als auch in Sachen Wirtschaft, Bildung und Finanzen.

Dabei forderte Tom Koch gleich eingangs die Vision der Vier heraus: Wie werde zum Ende der Wahlperiode im Jahr 2020 die Kulturlandschaft aussehen? Gibt es dann noch die Bühnen in Halberstadt und Quedlinburg sowie das Orchester in Wernigerode?

Für SPD-Kandidat Dirk Michelmann ist das Theater wichtig, um kreative Menschen im Harz zu halten. Es müsse möglichst rasch wirtschaftlich aufgestellt werden. Sabine Kolbe (Buko) plädiert dafür, die Werbetrommel zu rühren, um mehr Besucher anzulocken.

Der amtierende Landrat Martin Skiebe, der als Parteiloser für die CDU ins Rennen geht, ist überzeugt, dass es die Einrichtungen auch 2020 noch gibt. Aber: "Über die Rechtsform muss gesprochen werden." Und Skiebe fordert mehr Kooperationen, um Synergien zu nutzen. "Wir haben hier Tarifverträge - eine Schließung bringt im Moment keine finanziellen Effekte."

Links-Politiker Carsten Nell will mehr Kommunen in den Theaterzweckverband holen, um die Kultur auf breitere Schultern zu stellen. Zudem müsse ein Kultur-Fördergesetz her - die Region, sagt er, müsse aufstehen und das beim Land einfordern.

Markige Worte, die die Vorharzer Verbandsgemeinde-Bürgermeisterin Ute Pesselt (Buko) zum Einwurf motivierten: Theater, Orchester und Kultur seien ja gut und schön - allerdings lägen die Probleme in den kleinen Orten woanders: "Viele Einwohner kommen mangels Nahverkehr gar nicht mehr in die Städte und zur Kultur. Bei uns geht es um den Erhalt von Jugend- und Seniorenclubs sowie die Sportvereine." Das seien die Themen, die die Menschen auf dem Land bewegten und die angesichts des Spardrucks immer mehr Sorgen bereiteten, so Pesselts Appell ans Podium.

Dort herrschte in einem Punkt Einigkeit: Das Harzklinikum mit den Standorten in Quedlinburg und Wernigerode sollte - anders als das Krankenhaus in Halberstadt - nicht privatisiert werden. Die Fusion beider Häuser sei noch nicht abgeschlossen, erinnerte Skiebe. "Diesen Teil sollten wir in kommunaler Hand behalten, um ihn mitgestalten zu können", legte sich der amtierende Landrat fest.

Auch Sabine Kolbe will ein Klinikum mit kommunalem Anstrich. Die Kassenprüferin beim Bundesrechnungshof plädiert für mehr Spezialisierung und fordert in der Bilanz mindestens eine schwarze Null. Ebenso wie Carsten Nell würde auch ein Landrat Michelmann auf kommunale Kliniken pochen. "Sie sind Teil der kommunalen Daseinsfürsorge. Wir sollten die kommunalen Einflussmöglichkeiten erhalten und obendrein die Wertschöpfung im Kreis behalten", so der Sozialdemokrat.

Das Stichwort Wertschöpfung bildete die Brücke zum Themenkomplex Wirtschaft, den Jürgen Ude von der Industrie- und Handelskammer moderierte. Dass mit den Wirtschaftsförderern in Landratsamt und Kommunen, der Harz AG und anderen Anlaufpunkten vergleichsweise viele Chöre um Investoren buhlen, bestätigte Michelmann. Es sei wichtig, die Zusammenarbeit zwischen diesen Chören zu optimieren.

Für Sabine Kolbe sind Vernetzung, Zusammenarbeit und einheitliche Datenbanken "ungemein wichtig, um in der EU bestehen und mitreden zu können". Martin Skiebe sieht trotz der Vielfalt keine Konkurrenzsituation. "Die kommunalen Vermarkter sollten aber stärker ins Gesamtsystem integriert werden." Ein Landrat Nell würde einen Wirtschaftsstammtisch initiieren, um alle Beteiligten und die Experten an einen Tisch zu holen. Und Nell skizzierte noch ein grundsätzliches - wiederum finanzielles - Problem: Die Finanzausstattung der Kommunen müsse verbessert werden, um dort Aufträge für die heimische Wirtschaft zu erteilen.

Zuhörer Wolfgang Fischer von der Kreishandwerkerschaft Wernigerode wollte von Buko-Kandidatin Kolbe wissen, wie sie die Abwanderung junger Leute verhindern wolle. Dirk Michelmann bat er um Erhellung von dessen persönlichen Slogan "um die Ecke denken".

Um die Ecke stehe für Pragmatismus und Ziel orientierte Lösungssuche und stets für die Perspektive nach vorn. "Wichtig ist, dass wir Botschaften und Visionen brauchen und immer nach vorn schauen", sagte Michelmann. Seine Vision sei es, den Harzkreis zur Nummer eins in Sachsen-Anhalt zu entwickeln.

Dafür bedürfe es junger Leute - Sabine Kolbe will für die Jugend einen bunten Strauß flechten. Praktika in Firmen seien ebenso wichtig wie die Vermittlung leerstehender Häuser, um Jugendlichen Perspektiven zu bieten. "Kreis und Gemeinden müssen Hand in Hand arbeiten, und neben Marketing für die Kultur ist auch Marketing für die Region wichtig."

Werden regionale Kultur und Wirtschaft in den Fokus gerückt, sind im Harz Tourismus und Natur damit verbunden. Das Thema Naturschutz bewegt gegenwärtig im Alt-Kreis Quedlinburg viele Menschen. Bei Ballenstedt ist mitten im Wald ein fast 70 Hektar großer Steinbruch geplant, viele hoffen, dass der neue Landrat eine Kurskorrektur vollzieht. Martin Skiebe will sich in dieser Frage jedoch nicht festlegen. Noch sei nichts entschieden, es gelte das Planungsverfahren abzuwarten. Das ablehnende Votum des Stadtrates Ballenstedt akzeptiere er. Und noch ein Dauerbrenner fand ins Forum: Die Bildungslandschaft und die Debatte um Grundschul-Schließungen. In diesem Punkt fühlte die Vorsitzende des Stadtelternrates Wernigerode, Cary Barner, den vier Anwärtern auf den Zahn: Wo Korrekturen vornehmen und welche bewährten Aspekte beibehalten, lautete ihre Frage.

Carsten Nell plädierte für neue Formen bei öffentlich getragenen Schulen. "Das Feld darf nicht allein den freien Trägern überlassen werden." Auch Sabine Kolbe erinnerte an die freien Träger, die keine Gegner, sondern Partner und Ergänzung seien. "Oft sind sie Ersatz, wenn staatliche Schulen geschlossen werden."

Skiebe hofft bei den Grundschulen, von denen gegenwärtig einigen die Schließung droht, auf Lösungen über Gemeindegrenzen hinweg. Außerdem sollten die Verbindungen zwischen Schulen und Wirtschaft intensiviert werden.

Michelmann ist für längeres gemeinsames Lernen in Gemeinschaftsschulen und sieht in freien Trägern einen Garanten für "Vielfalt". Ebenso wie die drei anderen Kandidaten möchte auch er möglichst viele Grundschulen erhalten. Dabei geht der SPD-Mann, der erst seit wenigen Monaten das Parteibuch besitzt, auf Distanz zu Parteifreund und Kultusmister Stephan Dorgerloh: "Wir sollten im ländlichen Raum mehr Ausnahmen von der langfristen Mindestschülerzahl 80 zulassen", so Michelmann. Schon heute gebe es zwischen den Oberharz-Orten und Wernigerode Bus-Fahrzeiten, die kein Erwachsener auf sich nehmen würde.

Auch Martin Skiebe plädiert dafür, Ausnahmetatbestände in der Landes-Verordnung zu nutzen - diese gelten bislang aber nicht für den Harz-Kreis. Während Nell mit Blick auf den Slogan "Lasst uns die Schule im Dorf" einmal mehr zum Aufstand gegen das Land trommelte, erinnerte Kolbe an den Dreh- und Angelpunkt: Vernünftige Löhne, gute Berufsperspektiven und optimale Rahmenbedingungen pro Familienplanung seien die Basis für mehr Kinder in der Region. "Und Bildung ist der Rohstoff, den wir hier im Harz haben." Apropos Kinder: Auf deren Unterstützung und die Förderung der Jugendarbeit reflektierte Detlef Rutzen, Chef des Harzer Kreis-Fußballfachverbandes und vierter Moderator im Forum. Das Land kürze die Jugendpauschale von aktuell knapp einer Million Euro im nächsten Jahr um 200 000 Euro und plane ab 2015 Nullrunden. Wie dieses Loch kompensieren, lautete Rutzens Kernfrage.

Carsten Nell würde den Neujahrsempfang streichen, Dirk Michelmann auf Verhandlungen setzen, um das Land zu überzeugen, dass es auf dem Holzweg sei. Und Sabine Kolbe setzt auf Umschichtung innerhalb des 26-Millionen-Euro-Etats im Jugendbereich. Auch für Martin Skiebe hat die Suche nach Alternativquellen Vorrang.

Und dann dominierte noch mal Einigkeit im Podium des Hörsaals. Darin, dass - erstens - die Übergabe von kommunalen Sportplätzen in die Trägerschaft der Vereine keine Lösung sei. Dass - zweitens - Tourismus und Naturschutz gerade im Oberharzort Schierke in Einklang gebracht werden müssten, wie Rosemarie Lauenstein angemerkt hatte. Und dass - drittens - die Kreisverwaltung den Bürgern feste Bearbeitungsfristen garantieren müsse, wie André Göbel von der Hochschule hinterfragt hatte.

Zum Finale war es dann fast so, als wollte Detlef Rutzen eine letzte Quizfrage hervorkramen: Ob denn der neue Hausherr oder die Hausherrin im Landratsamt den seit drei Jahren ausgetragenen Landratspokal fortzusetzen gedenken, wollte er wissen. Eine Frage, auf die das Quartett endlich mal ganz locker und ohne großes Nachdenken antworten konnte: Ein klares Ja, vierstimmig im Chor.