Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt Ameos-Chef im Interview: „Kleine Fallzahlen können wir uns nicht mehr leisten“
Mit 4000 Beschäftigten in 18 Einrichtungen ist die Ameos-Gruppe einer der größten privaten Klinikbetreiber in Sachsen-Anhalt. Im Volksstimme-Interview mit spricht Vorstandschef Axel Paeger über die Lage der Kliniken in der Pandemie, die Omikron-Welle und die Zukunft der Krankenhauslandschaft.

Magdeburg - Herr Paeger, wir stehen in Sachsen-Anhalt am Beginn der Omikron-Welle. Zuletzt zog angesichts der Meldungen zur Gefährlichkeit der Variante etwas Sorglosigkeit in die Debatte ein. Droht es nochmal kritisch zu werden in den Kliniken?
Ja, wir rechnen damit, dass es um den 15. Februar sehr problematisch wird. Es zeichnet sich zwar ab, dass die Hospitalisierungsrate unter Omikron pro Inzidenzfall nur halb so groß sein könnte wie bei Delta. Aber: Wenn die Inzidenzen so in die Höhe schießen wie prognostiziert, bedeutet das trotzdem, dass wir mehr Patienten auf den Intensivstationen haben werden als je zuvor in der Pandemie.
Wenn die Inzidenzen so in die Höhe schießen wie prognostiziert, bedeutet das, dass wir mehr Patienten auf den Intensivstationen haben werden als je zuvor in der Pandemie.
Bei rund 5000 Intensiv-Patienten bundesweit sehen Experten eine kritische Grenze. Schon in früheren Wellen wurde vor der Triage gewarnt. Schließen Sie diese jetzt aus?
Der Triage-Fall, ein Szenario also, bei dem es nicht genügend Kapazitäten gibt, um alle Patienten gleichzeitig zu versorgen, ist bei Omikron nicht auszuschließen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir hier auch hohe Ausfälle beim Personal befürchten. Dankenswerterweise ist das Personal, das auf unseren Intensivstationen arbeitet, fast vollständig geimpft.
Ameos ist mit Kliniken in Österreich, der Schweiz und Deutschland vertreten. Wie stellt sich die Situation mit Blick auf die Länder für Sie im Vergleich dar?
Die Gesundheitsversorgung ist im Prinzip in allen drei Ländern ähnlich. Die Politik hingegen ist sehr unterschiedlich. In Österreich wird ein sehr hartes Regime gefahren, in der Schweiz ein vergleichsweise lockeres. Deutschland geht einen Mittelweg. Hier wie dort hatten wir in allen Wellen eine sehr starke Auslastung unserer Intensivstationen. Die Bettenzahl ist allerdings dabei nicht entscheidend. Der limitierende Faktor ist das Personal. Das ist seit Beginn der Pandemie ein stärker werdendes Problem geworden. Die Knappheit ist in Österreich und Deutschland dabei viel stärker als in der Schweiz.
Warum ist das so?
Weil wir schon vor Corona in der Schweiz einen höheren Personalschlüssel auf den Intensivstationen hatten und diesen durch die Krankenkassen auch finanziert bekamen.
Der Personalschlüssel ist auch in Deutschland kurz vor der Pandemie verbessert worden ...
Was heißt verbessert? Die Anzahl an Personal pro Intensivpatient ist keineswegs erhöht worden. Der Personalschlüssel ist wie früher. Nur würde es jetzt bei Nichteinhaltung Sanktionen geben. An der Finanzierung hat sich leider nichts verändert.
Spüren Sie Auswirkungen der Impfpflicht für die Pflege?
Wir haben bereits jetzt eine sehr hohe Impfquote bei Ameos. Generell ist die Impfquote in Krankenhäusern auch deutlich höher als in Altenheimen. Trotzdem haben wir noch einen verbleibenden Teil an Mitarbeitenden von etwa zehn Prozent, der bis zum 15. März überzeugt werden muss. Da sind wir in allen Ameos-Regionen in intensiven Einzelgesprächen mit den Mitarbeitenden. Das läuft sehr gut. Die Tendenz ist, dass neun von zehn Ungeimpften sich impfen lassen werden. Ich rechne damit, dass wir durch die Impfpflicht so gut wie keine Beschäftigten verlieren.
Wir haben durch duale Finanzierung die Situation, dass Investitionen in Häuser fließen, in denen später wenig oder gar keine Versorgung stattfindet.
Laut einer Umfrage haben 60 Prozent der deutschen Kliniken 2021 mit einem Minus abgeschlossen. Auch 2022 erwartet nur jedes fünfte Haus eine Besserung. Woran liegt das?
Das Gros der Krankenhäuser, auch Ameos, ist durch die Pandemie von einer zusätzlichen finanziellen Anspannung betroffen. Wir haben viel mehr Intensivpatienten. Deren Versorgung wird zwar auskömmlich vergütet. Vor allem ungeimpfte Patienten liegen aber oft sechs oder sogar acht Wochen auf der ITS. In dieser Zeit blockieren sie im Schnitt 18 Operationen anderer Krankheitsbilder. Die Krankenschwestern auf den normalen Stationen sind in dieser Zeit nicht ausgelastet. Das ist ein großes Problem. Denn: Die Personalkosten haben wir trotzdem, ihnen stehen aber keine Erlöse gegenüber.
Die Freihaltepauschalen des Staates gleichen das nicht aus?
Nein, die gleichen das längst nicht aus. Wir können den Verlust leider nicht vollständig kompensieren.
Sachsen-Anhalts Landesregierung hatte erst vor einem Jahr festgeschrieben, dass alle 47 (inzwischen 46, Anm. d. Red.) Krankenhausstandorte im Land erhalten bleiben sollen. Dennoch soll ein vorgeschaltetes Gutachten zusätzlich klären, wo künftig noch Investitionen des Landes hinfließen. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Ich sehe, dass Sachsen-Anhalt ganz wesentlich seine Hausaufgaben bei der Krankenhausstrukturpolitik gemacht hat. Ich hielte dennoch einen ganz anderen Ansatz für besser: Wenn Sie in Krankenhäusern die Investitionsmittel, so wie in der Schweiz, über die Fallpauschalen mit auszahlen, erledigt sich das Thema Investitionen von selbst. Krankenhäuser, die keine ausreichende Auslastung haben, keine wichtige Funktion in der Versorgung wahrnehmen, bekommen dann eben auch nicht mehr das Geld, um zu investieren.
Ein monistisches System also, statt dualer Finanzierung. Bislang kommt das Geld für die Behandlung ja von den Krankenkassen, die Länder geben Zuschüsse für Investitionen. Ist das duale System nicht trotzdem sinnvoll, um die Versorgung auch in dünn besiedelten Regionen zu sichern?
Wir haben durch duale Finanzierung seit Jahrzehnten die Situation, dass Investitionen in Häuser fließen, in denen später wenig oder gar keine Versorgung stattfindet. Wir haben ja 2012 etwa das Klinikum Staßfurt übernommen. Der Standort war vorher eineinhalb Jahre geschlossen – obwohl das Land über die duale Finanzierung zuvor rund 40 Millionen Euro Fördermittel in das Haus gesteckt hatte. Wenn Ameos Staßfurt nicht wieder hochgefahren hätte, hätte der Steuerzahler allein hier 40 Millionen in den Sand gesetzt. Solche Beispiele gibt es viele.
Der freie Markt soll also über die Zukunft der Standorte entscheiden?
Ich würde es anders formulieren: Die Patienten entscheiden, indem sie mit den Füßen abstimmen. Das nimmt nicht notwendigerweise den Lauf, den sich Beamte an Schreibtischen vorstellen. Ich glaube einfach nicht daran, dass vom Ministerium aus festgelegt werden kann, welche Krankenhäuser wir in zehn Jahren noch haben.
Wie viele Krankenhäuser braucht Sachsen-Anhalt?
Ich wäre zumindest vorsichtig, zu sagen, alle 47 Standorte im Land wird es auch in zehn Jahren noch geben. Da können schon noch zwei, drei herausfallen. Richtig ist in jedem Fall, dass wir – wenn wir eine gute Versorgung haben wollen – uns kleine Fallzahlen und Mengen in kleinen Krankenhäusern nicht mehr leisten können.
Das Ameos-Klinikum Bernburg hat über große Zeiträume während der Pandemie mehr Covid-Patienten auf Intensivstationen versorgt als die Uniklinika in Magdeburg und Halle zusammen.
Die Ampel-Koalition will beim Fallpauschalsystem nachbessern. In einem nach Größe der Häuser gestaffelten System soll erlösunabhängig bereits das Vorhalten von Angeboten bezahlt werden. Geht das aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung?
Es macht Sinn, Vorhaltung zu bezahlen. Denn: Es kostet Geld, etwa Intensivstationen zur Verfügung zu stellen. Hier – wie in anderen Fachbereichen – können wir nicht darauf setzen, dass diese zu 100 Prozent ausgelastet werden. Dann könnten wir nämlich den nächsten Patienten schlicht nicht mehr aufnehmen. Wenn es allerdings so laufen soll, dass etwa Uniklinika schon per se mehr Geld bekommen als ein Grundversorger im Landkreis, dann wäre das nicht sinnvoll. Allein das Ameos-Klinikum Bernburg hat über große Zeiträume während der Pandemie mehr Covid-Patienten auf Intensivstationen versorgt als die Uniklinika in Magdeburg und Halle zusammen. Kritisch für die Versorgung war also ein kompetenter Grundversorger. Das heißt nicht, dass weniger kompetente oder allzu kleine nicht entbehrlich sein können.
Welche Fahrstrecken kann man den Menschen denn für eine Krankenhausbehandlung zumuten?
Die Versorgung macht sich nicht an Landkreisgrenzen fest. Es wird für die Patienten besser sein, wenn sie eine kompetente Behandlung in einem bestimmten Fachgebiet im Nachbarkreis bekommen oder sogar im übernächsten Kreis. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Grundversorgung und Spezialversorgung.
Wie viel Strecke ist für eine Blinddarm-OP oder den Besuch des Kindes im Krankenhaus zumutbar?
60 Kilometer würde ich für zu viel halten.
Ameos hat die Geburtsklinik in Schönebeck im Dezember wegen Personalmangels vorerst geschlossen. Gibt es da neue Entwicklungen?
Nein, da gibt es noch keine neuen Entwicklungen.
Auf gleicher Stundenbasis bezahlen wir besser als andere Träger. Sonst würde das Personal nicht zu uns wechseln.
Sie hatten es angesprochen: Die Personalknappheit hat durch Corona zugenommen. Für wie bedrohlich halten Sie den Personalmangel auch vor der Entwicklung des demografischen Wandels?
Der Fachkräftemangel ist ein großes Thema. Bei Ameos haben wir aber sehr große Krankenpflegeschulen. Das heißt: Wir bilden weit mehr Pflegepersonal aus, als wir selbst benötigen.
Tatsächlich, immer noch?
Ja. Ich wollte aber nicht Schönfärberei betreiben. Das heißt nicht, dass wir im Bereich der hochqualifizierten Pflege, etwa Intensiv- und OP-Pflege, nicht dieselben Herausforderungen haben wie andere. Das Personal geht dorthin, wo es die besten Konditionen gibt. Auch deswegen müssen wir die spezialisierte Pflege gut bezahlen. Dabei rede ich nicht von einem Tarif. Die Pandemie hat den Konkurrenzkampf um die Intensivschwestern noch deutlich verstärkt.
Zum Jahresende ist die Friedenspflicht für die Entgeltverhandlungen an den Ameos-Klinika im Salzlandkreis und in Haldensleben ausgelaufen. Es gibt immer noch eine Lohnlücke zu anderen Krankenhäusern, ist zu hören ...
Nein, da muss ich widersprechen, die ist nicht vorhanden. Das ist eine Ente. Entsprechend einer alten Gewerkschaftsforderung wird in vielen Ameos-Klinika 35 Stunden gearbeitet, anderswo 40 Stunden. Auf gleicher Stundenbasis bezahlen wir besser als andere Träger. Sonst würde das Personal nicht zu uns wechseln. Genau das aber ist der Fall, in Halberstadt ist das ganz aktuell wieder sehr stark festzustellen.
Klinikbetreiber Ameos - Zahlen und Fakten
Ameos ist ein in Zürich ansässiger Träger von Gesundheitseinrichtungen mit – nach eigenen Angaben – 104 Einrichtungen in den Bereichen Krankenhäuser, Pflege sowie Eingliederung im deutschsprachigen Raum. In Sachsen-Anhalt beschäftigt die Ameos-Gruppe rund 4000 Mitarbeiter in 18 Einrichtungen mit 1900 Betten oder Behandlungsplätzen. Klinikstandorte gibt es etwa im Salzlandkreis sowie in Haldensleben und im Harz.
Der promovierte Mediziner Axel Paeger ist Gründer des Unternehmens und seit 2003 CEO sowie Vorstandsvorsitzender der Ameos-Gruppe.
