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Sternekoch Eine Prise Leichtigkeit

In Sachsen-Anhalt steht endlich wieder ein Sternekoch am Herd: Robin Pietsch in seinem Zeitwerk in Wernigerode. Ein Porträt.

Von Elisa Sowieja 05.12.2017, 00:01

Wernigerode l Robin Pietsch mag es mühselig. Für seine Lehre zum Konditor ging er extra zu dem Ausbilder, der seine Zöglinge stets auf die besten Abschlussergebnisse Sachsen-Anhalts trimmt. Danach hätte er eine Runde verschnaufen können, aber in seinem ersten Job als Patissier machte er gleich parallel noch eine Ausbildung zum Koch. Top-Voraussetzungen, um dann in den nächsten Jahren nach Lust und Laune in Edelrestaurants anzuheuern. Unbeschwert in der Küche zaubern, während sich andere darum kümmern, dass der Laden läuft. Doch Robin Pietsch legte nur einen Zwischenstopp als rechte Hand eines Sternekochs ein, bevor er mit 22 selbst ein Restaurant eröffnete.

Die Mühen haben sich gelohnt. Heute, sieben Jahre später, besitzt er seinen eigenen Stern. Der Guide Michelin, Deutschlands wichtigste Gourmetbibel, hat gerade sein Zeitwerk in Wernigerode in die neue Auflage aufgenommen. Damit ist Pietsch zum Einhorn in Sachsen-Anhalts Restaurantlandschaft geworden. Denn vier Jahre lang gingen wir bei der Vergabe als einziges Bundesland neben Bremen leer aus. Und davor gab es erst einen Laden mit Michelin­stern: die Forellenstube in Ilsenburg. René Bobzin – er war auch besagter Koch, unter dem der Harzer arbeitete –, holte die Auszeichnung dort erstmals 2005.

Robin Pietsch ist jemand, der zwischen Ehrgeiz und Lässigkeit wandelt. Der Stil im Gästeraum seines Restaurants: Lässig. Kellner mit Turnschuhen, Wohnzimmer-Flair statt gestärkter Tischdecken. Seine Ansprüche in der Küche: Ehrgeizig. Das Personal nennt ihn „Monk“, wie der piekpenible, sauberkeitsfanatische Detektiv aus dem Fernsehen.

Seine Erzählungen sind sogar beides auf einmal. Auf der einen Seite plaudert er kumpelhaft drauf los, ohne Auslassungen, ohne Werbesingsang. Auf der anderen offenbaren seine Antworten ordentlich Biss. Auf die Frage hin, warum er Konditor gelernt hat, spricht der Wernigeröder weder von der Schönheit tortenförmiger Kunstwerke noch von der Verlockung zuckersüßer Gaumenfreuden. Nein, er erzählt, wie schwierig es ist, bei Konditor Wiecker in Wernigerode einen Ausbildungsplatz zu bekommen. „Das schaffen nur die Besten der Besten. Mich hat das irgendwie gereizt.“

Diese ungewöhnliche Mischung hat ihm auf seinem Weg zum Stern sicher geholfen. Es war aber noch etwas anderes: das, was Pietsch selbst jugendlichen Leichtsinn nennt. „Mit Anfang 20 ein Restaurant zu eröffnen, war schon heavy“, erzählt er. „Ich wusste nicht, worauf ich mich einlasse.“ Schließlich musste er sich vorher um nichts kümmern – keine Buchhaltung, keine Personalplanung, keine Verhandlungen mit Lieferanten. Nicht mal Lebensmittelpreise kümmerten ihn, in seinen Anstellungen durfte der Koch stets aus dem Vollen schöpfen.

Nun also wollte er nicht nur mal eben sein eigenes Restaurant schmeißen. Er hatte es auch von Anfang an auf den Michelinstern abgesehen. „Das war, als ob du anfängst zu laufen“, sagt Pietsch. Und erzählt dann, wie froh er ist, dass seine Eltern nicht versucht haben, ihn abzuhalten. Obwohl sie wussten, was auf ihn zukommt, sie haben ja selbst jahrelang in der Gastronomie gearbeitet. Auch die Oma glaubte an den Plan mit dem Sternerestaurant, sie schoss ihrem Enkel sogar Geld dazu.

Am Anfang lief das Geschäft gar nicht gut. Das Problem: Vielen potenziellen Gästen fehlte das Verständnis für die Edelküche. Weil sie so etwas schlicht nicht kannten. „Den Leuten geht es beim Essen oft mehr ums Sattwerden als um den Genuss“, erzählt der Harzer. Und für einen vollen Magen sind 80 Euro pro Person dann doch ein bisschen viel.

Auch, dass nach kurzer Zeit auf seiner Speisekarte nur noch komplette Menüs standen, aus denen man höchstens einzelne Gänge abwählen konnte, war für die Menschen in der Region eine mindestens ungewohnte Sache. Dazu kamen die Vorurteile, die sich um Sternerestaurants ranken: In diesen Läden geht‘s doch stocksteif zu, ja nicht die Serviette fallen lassen oder laut lachen, und satt wird man da auch nicht.

Statt nachzugeben, zog Robin Pietsch sein Konzept durch. Er führte das Zehn-Gänge-Menü ein, ohne Wahlmöglichkeit. Bis auf ein paar Kleinigkeiten kommen alle Zutaten aus der Region. Im Laufe der Jahre hat er die Leute mit seinem Stil überzeugt: Das Zeitwerk rechnet sich inzwischen, sagt der Harzer, die Tische sind meist zwei Monate im Voraus ausgebucht.

Auch Spitzenkoch Erik Arnecke glaubt, dass die Kundschaft hierzulande schwieriger zu begeistern ist als anderswo. Er hat in der Börde gelernt, holte später in einem Essener Restaurant zwei Michelinsterne und arbeitet jetzt im hessischen Frankenberg. Die dünne Sternelandschaft in Sachsen-Anhalt erklärt er sich so: „Das Ganze ist mit hohen Kosten verbunden. Da braucht man genügend Gäste, die solches Essen wertschätzen“, erklärt er. Viele Inhaber wollten daher gar keinen Stern haben.

Sebastian Hadrys ist so ein Inhaber. Restaurantführer schmeicheln seinem Landhaus Hadrys in Magdeburg regelmäßig mit Top-Bewertungen. Den Testern des Guide Michelin – nach dem Essen geben sie sich manchmal zu erkennen – sage er aber jedes Mal, dass er einen Stern nicht möchte, erzählt er. Allerdings nicht wegen der Kosten. Hadrys geht es um den Druck, den er seinem Team zumuten müsste, um die Auszeichnung zu halten. „Ich kenne das gut, schließlich habe ich jahrelang in Ein- und Zwei-Sterne-Läden gearbeitet.“ Außerdem glaubt er, dass für viele Gäste die Hemmschwelle steigen würde, auch jenseits besonderer Anlässe vorbeizukommen.

Den Druck, seinen Stern zu halten, spürt auch Robin Pietsch. „Aber ich will es so. Außerdem weiß ich, dass mein Team mitzieht.“ Eine klitzekleine Sache stört ihn an der Geschichte mit der Auszeichnung allerdings schon: „Ich wäre gern der erste Koch in Sachsen-Anhalt mit einem Stern gewesen.“ Aber er hat da so eine Idee für ein Trostpflaster. „Vielleicht hole ich ja als Erster zwei Sterne.“