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Jahrestag Sprengung besiegelte die Abwicklung des DDR-Betriebs ZRAW in Gommern

Rund drei Jahrzehnte prägten die Schornsteine des Braunkohle-Heizwerks des ZRAW das Stadtbild Gommerns. Heute vor exakt 30 Jahren, am 21. August 1993 wurde der erste der beiden gesprengt.

Von Thomas Schäfer 21.08.2023, 06:00
Heute vor exakt 30 Jahren, am 21. August 1993, wurde der erste von zwei Schornsteinen des Braunkohle-Heizwerkes gesprengt.
Heute vor exakt 30 Jahren, am 21. August 1993, wurde der erste von zwei Schornsteinen des Braunkohle-Heizwerkes gesprengt. Thomas Schäfer

Gommern - Es ist der 21. August 1993. Ein Sonnabend. Punkt 7 Uhr in der Früh gibt es auf dem Gelände des ehemaligen Zentralen Reparatur- und Ausrüstungswerkes Gommern (ZRAW) einen lauten Knall. Einer von zwei über 60 Meter hohen Schornsteinen neigt sich leicht zur Seite und sackt in sich zusammen. Das symbolische Ende des einstigen volkseigenen Vorzeigebetriebes.

„Ein kurzes Zucken erschütterte den Giganten, und wie im Bilderbuch neigte er sich behende zur Erde - genau in die vorgeschriebene Fallrichtung. Wenige Sekunden danach krachte die Esse zu Boden“, ist am Montag, 23. August 1993, in der Volksstimme zu lesen.

Nicht nur die Volksstimme war vor Ort, um über das Ende eines einstigen Wahrzeichens Gommern zu berichten. „Es hatte sich natürlich herumgesprochen. Halb Gommern war da, um sich das Schauspiel anzusehen“, erinnert sich Gerhard Flögel. Er arbeitete wie so viele andere Gommeraner zu DDR-Zeiten im ZRAW. Seine Tätigkeit damals: Schweißingenieur.

Heute arbeitet er gemeinsam mit Kurt Stach die Geschichte von Erdöl-Erdgas in Gommern auf und hält sie lebendig. Regelmäßig veröffentlichen die beiden Beiträge in der „Wir“-Zeitung und betreuen zudem die Zeitzeugenausstellung, in der alles Wissenswerte rund um das ZRAW zusammengetragen wurde.

Leute strömten in Massen zum Gelände

Gerhard Flögel erinnert sich noch gut an den Tag der Sprengung. „Die Leute strömten in Massen zum Gelände. Es herrschte große Hektik, denn jeder wollte so nah wie möglich ran. Kurz nach 7 Uhr war dann alles vorbei“, so Gerhard Flügel.

Wie aber waren die Reaktionen der Anwesenden? Unzählige hatten immerhin über Jahre oder Jahrzehnte im ZRAW gearbeitet. „Es gab teilweise verhaltenen Applaus. Aber insgesamt herrschte eher eine nachdenkliche, gedrückte Stimmung. Die meisten waren bewegt. Denn es war ja das Ende. Das symbolische Ende von Erdöl-Erdgas und des ZRAW in Gommern“, erinnert sich Gerhard Flögel.

Ein Blick auf das Heizhaus und den gigantischen Kohlelagerplatz. Bis zu 50.000 Tonnen Braunkohle wurden jährlich verfeuert.
Ein Blick auf das Heizhaus und den gigantischen Kohlelagerplatz. Bis zu 50.000 Tonnen Braunkohle wurden jährlich verfeuert.
Thomas Schäfer

Die beiden großen, weithin sichtbaren Schornsteine gehörten zum Heizhaus des ZRAW. Das ZRAW selbst war als großer Betrieb in Unterbereiche unterteilt. Dazu gehörte unter anderem der Bereich „Hauptenergetik“, dem die Versorgung des Betriebes mit Elektroenergie, Wärme, Wasser und technischen Gasen oblag.

Ein besondere Rolle spielte dabei die Wärmeversorgung. Das ZRAW versorgte nicht nur die ansässigen Betriebe auf dem Werksgelände, sondern über Fernleitungen das Fachkrankenhaus Vogelsang, das Kombinat Industrielle Mast für Hühner (KIM) in Pöthen und Wahlitz, die Getreidewirtschaft Gommern als auch die Wohngebiete rund um den Wohnblock „Völkerfreundschaft“ und Kellerberg mit Wärme - insgesamt 552 Wohnungen.

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Für das ZRAW reichte 1951 noch eine alte Lokomobile für die Wärmeversorgung. Sie hatte eine Jahresleistung von 4000 Megawattstunden. Doch mit dem Wachsen des Betriebes stieg auch Bedarf der Wärmeversorgung, die Heizkapazitäten mussten erhöht werden.

Daher erfolge in den Jahren 1954/55 der Bau eines Heizwerkes, das in den Folgejahren ständig erweitert wurde. Die maximale Leistung betrug schlussendlich 30000 Megawattstunden pro Jahr.

Im Zuge dieser Erweiterungen wurden in den Jahren 1956 und dann nochmals 1964/65 die beiden Schornsteine - 64 Meter und 62 Meter hoch - errichtet. Für 37 beziehungsweise 28 Jahre dominierten sie als markante Bauwerke Gommerns Stadtbild.

Basis für die Erzeugung der Wärme war Braunkohle. Braunkohle war der einzige Brennstoff, der in der DDR in ausreichender Menge zur Verfügung stand. Im ZRAW wurden jährlich bis zu 50000 Tonnen verheizt, was zu Umweltproblemen im Territorium führte.

„Es war ein riesiges Heizhaus mit dahinter liegender Bunkeranlage, wo die Braunkohle gelagert wurde. In sehr, sehr großen Mengen“, erinnert sich Gerhard Flögel. „Diese Mengen waren notwendig, da einerseits der gesamte Betriebskomplex mit Wärme versorgt werden musste, und die Fernwärme auch bis nach Vogelsang und Wahlitz geliefert wurde.“

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Beim Heizen entstand mehr Dreck als Asche

„Die Braunkohle selbst war damals schon ein großes Problem“, berichtet Gerhard Flögel weiter. „Es war die schlechteste Braunkohle, die man sich nur denken kann. Diese schlechte Braunkohle wurde den Betreibern zugeschustert. Sie mussten sehen, wie sie damit zurecht kommen und vielleicht noch etwas anderes hinzufügen, damit überhaupt genügend Wärme entstehen konnte“, so Flögel.

„Beim Verheizen entstand mehr Dreck als Asche. Es war ein großes Problem, die Asche dann überhaupt loszuwerden. Das Heizen mit Braunkohle generell war total unrentabel“, bringt er es auf den Punkt.

Dann kam die Wende und damit auch neue Möglichkeiten der Wärmeerzeugung. Neben diesen neuen Möglichkeiten wurde Anfang der 90er Jahre auch der Betrieb des ZRAW immer weiter zurückgefahren, es wurde abgewickelt und geschlossen. Das riesige Heizhaus war nicht mehr notwendig und zudem weder rentabel noch zeitgemäß.

Am 30. April 1993 wurde der Betrieb des Heizwerkes eingestellt. „Dann begann mit dem Probebetrieb des Blockheizwerkes eine neue Ära der Wärmeerzeugung. Gegenwärtig sind an dieses Netz bereits 1400 Wohnungen angeschlossen. Weitere werden zu Beginn der neuen Heizperiode folgen“, war am 23. August 1993 in der Volksstimme zu lesen.

Nach der Sprengung der Schornsteine wurde das Heizhaus mit schwerer Technik zurückgebaut.
Nach der Sprengung der Schornsteine wurde das Heizhaus mit schwerer Technik zurückgebaut.
Fotos (3): Archiv Zeitzeugenausstellung

Das alte Heizhaus wurde zurück gebaut, die Fernwärmeversorgung nach Vogelsang, Wahlitz und Pöthen eingestellt. Ein Umstand, der durchaus zum Schmunzeln einlädt, wenn man sich die derzeitige Entwicklung in Sachen Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes vor Augen hält. Ein elementarer Bestandteil zur klimaneutralen Wärmeversorgung stellt darin die Fernwärme dar.

Nun also der 21. August 1993. Um 7 Uhr war das Schicksal des ersten Schornsteins besiegelt. In der damaligen Volksstimme ist zu lesen, dass der Schornstein aus insgesamt 300000 Steinen bestand, die Wandstärke am Sockel 1,26 Meter betrug und sein Durchmesser 5,60 Meter. Um ihn zu sprengen, waren 15 Kilogramm Sprengstoff nötig, der rund um den Sockel verteilt wurde. Alles verlief reibungslos, Sprengmeister Karl-Heinz Bühring konnte einige Sekunden nach der Zündung der Ladung aufatmen. Der zweite Schornstein folgte am 11. September 1993, ebenfalls ein Sonnabend.