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  7. Betreuung eines "Systemsprengers" in Magdeburg: Ex-Kita wird Hochsicherheitstrakt

Erziehung und Protest Betreuung eines "Systemsprengers": Magdeburger Ex-Kita wird Hochsicherheitstrakt

Weil ein Problem-Jugendlicher vom Typ „Systemsprenger“ rund um die Uhr allein betreut werden muss, wird in Magdeburg eine Ex-Kita nur für ihn zu einer Festung ausgebaut. Es hagelt Protest.

Von Rainer Schweingel Aktualisiert: 21.10.2022, 15:44
Blick auf die ehemalige Kita im Magdeburger Stadtteil Nordwest. Das städtische Gebäude soll für die Betreuung eines schwer erziehbaren Jungens mit Sicherheitstechnik wie Zäunen, Kameras und bruchsicherem Glas sowie starken Türen ausgestattet werden.
Blick auf die ehemalige Kita im Magdeburger Stadtteil Nordwest. Das städtische Gebäude soll für die Betreuung eines schwer erziehbaren Jungens mit Sicherheitstechnik wie Zäunen, Kameras und bruchsicherem Glas sowie starken Türen ausgestattet werden. Foto: Rainer Schweingel

Magdeburg - Ein Projekt der Stadt Magdeburg sorgt derzeit für Diskussionsstoff. In einer ehemaligen Kita soll ein schwer erziehbarer 13-Jähriger untergebracht werden. Dafür wird das Gebäude mitten in einer Einfamilienhaussiedlung in einen Hochsicherheitstrakt umgebaut. Anwohner sind nun in Sorge um sich und ihre Grundstücke.

Wer den Film „Systemsprenger“ gesehen hat, dem muss man nicht viel erklären. Allen anderen sei gesagt: Abseits der großen Öffentlichkeit gibt es immer wieder Kinder und Jugendliche, die eine ganz besondere Betreuung benötigen. Sie können nicht zur Schule gehen, bringen regelmäßig sich und andere in Gefahr und bedürfen deshalb einer Einzelbetreuung, bei denen sogar den Pädagogen ein Wachschutz zur Seite gestellt wird. Drei solcher Betreuungsfälle gibt es derzeit in Magdeburg, für die zuvor ein Team aus Ärzten, Sozialpädagogen, Richtern und anderen statt einer Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung die Einzelbetreuung durch Sozialpädagogen festgelegt hat. Umzusetzen hat das die Stadt Magdeburg als Jugendhilfeträger.

Systemsprenger: Magdeburger Träger haben keine Kapazitäten für Betreuung

Während zwei dieser Jugendlichen weitgehend unbemerkt und problemlos im Auftrag der Stadt von freien Trägern betreut werden, fällt der dritte „Fall“ wieder an die Stadt Magdeburg zurück. Hintergrund: Der bisherige Träger in einem anderen Bundesland kann die Aufgabe der Betreuung des Magdeburgers nicht mehr übernehmen. Der Junge muss nun durch die Stadt Magdeburg kurzfristig selbst betreut werden, weil freie Träger dafür aktuell keine Kapazitäten melden konnten.

Genau an diesem Punkt bricht nun der Konflikt auf. Für die Umsetzung der Aufgabe braucht die Stadt geeignete Räume und hat dafür die ehemalige Kita „Haus Siebenpunkt“ im Parzellenweg vorgesehen. Mitten in einer idyllischen Siedlung verfügt die Stadt hier über ein Objekt in Einfamilienhausgröße, das zuvor von einem Kita-Träger im Juli aus technischen Gründen an die Stadt zurückgegeben worden war.

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Das Gebäude soll nun für die Betreuung des „Systemsprengers“ kurzfristig umgebaut werden. Zäune, Kameras, Sicherheitstüren, ausbruchssicheres Glas und noch mehr sind geplant. Einziehen soll hier der Jugendliche zusammen mit pädagogischem Personal und einem Wachschutz, der den Jungen vor sich selbst als auch die Pädagogen schützen soll.

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Benötigt werden insgesamt fünf pädagogische Fachkräfte in Vollzeit und zwei Wachschutzmitarbeiter. Allein die pädagogische Betreuung kostet im Jahr rund 300.000 Euro. Oberbürgermeistern Simone Borris (parteilos) bestätigt: „Ja, wir müssen kurzfristig eine Lösung zur Unterbringung des Jugendlichen schaffen, weil der bisherige Träger diese Aufgabe nicht mehr übernehmen kann.“

Magdeburg: Auf dem Gelände befindet sich noch Beschriftung der ehemaligen Kita "Haus Siebenpunkt".
Magdeburg: Auf dem Gelände befindet sich noch Beschriftung der ehemaligen Kita "Haus Siebenpunkt".
Rainer Schweingel

"Systemsprenger in der Nachbarschaft": Magdeburger erhalten kurze Information per Postwurf

Anwohner wurden darüber in einer Postwurfsendung allerdings nur ganz kurz aufgeklärt und bei Fragen zu Telefonaten mit der Stadtverwaltung aufgefordert. Spätestens seitdem gibt es in der Siedlung nur noch ein Thema: Mitten im Wohngebiet entsteht ein Hochsicherheitstrakt für einen schwer erziehbaren jungen Menschen.

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Skepsis bis Angst brach sich deshalb am Mittwochabend auf der turnusgemäßen Sitzung der Bürgergruppe für Gemeinwesenarbeit GWA Nordwest Bahn. Unverständnis und viele Fragen mischten sich mit Sorge um sich selbst und die benachbarten Grundstücke. Tenor: Was soll so eine Einrichtung mitten bei uns im Wohngebiet, schrieb unter anderem ein Anwohner der Volksstimme.

Mit diesem Schreiben wandte sich die Stadt am 11. Oktober 2022 an die Anwohner.
Mit diesem Schreiben wandte sich die Stadt am 11. Oktober 2022 an die Anwohner.
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Magdeburgs OB Simone Borris warb im Volksstimme-Gespräch einen Tag später um Verständnis. Die Auswahl des Objektes sei dem Druck geschuldet, schnell eine machbare Lösung zu finden, die auch noch wegen der Behandlungsmöglichkeiten in der Nähe zum Klinikum Olvenstedt liegen sollte. Das Objekt sei zunächst als Übergangslösung gedacht.

Dauerhafte Lösung für Betreuung wird angestrebt

Grundsätzlich arbeite man daran, eine dauerhafte Lösung zu finden. Man müsse davon ausgehen, dass die Stadt Magdeburg in Zukunft noch mehr solcher Personen betreuen müsse. Deshalb suche man für die Zukunft nach einer besseren Lösung an einem anderen Ort, die sowohl den betreuten Personen als auch dem Umfeld sowie der Verhältnismäßigkeit für Kosten und Aufwand gerecht werde.

Vorerst gebe es keine andere Lösung als die im Parzellenweg. Borris kündigte allerdings an, dass die Stadt in in der nächsten Woche in einer Einwohnerversammlung Anliegern Rede und Antwort stehen wolle.