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Serie „Otto ist Einheit“ über 35 Jahre Wiedervereinigung Zu bescheiden im Osten: Magdeburger SWM-Chef plädiert für mehr Stolz

Der Chef über Strom und Gas in Magdeburg sieht gute Chancen für Magdeburg. SWM-Geschäftsführer Thomas Pietsch über NVA, Wende und den Blauen Bock.

Von rs 02.07.2025, 19:00
Thomas Pietsch, SWM-Geschäftsführer Magdeburg.
Thomas Pietsch, SWM-Geschäftsführer Magdeburg. Pro M Magdeburg

Magdeburg - In einer Serie erzählen Menschen aus Magdeburg mit Ost- oder West-Hintergrund ihre Geschichte über Wiedervereinigung und Deutsche Einheit seit 35 Jahren. Hier Thomas Pietsch, Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg.

Es gibt Momente, die man nie vergisst. Als Politbüro-Mitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 live im Fernsehen verkündet, dass die neue Regelung zur Reisefreiheit für DDR-Bürger „ab sofort, unverzüglich“ gelte, kann Thomas Pietsch es kaum fassen. Was dann folgt – Mauerfall, Wiedervereinigung, Transformation – prägt sich tief ins Bewusstsein des Magdeburgers ein. „An so etwas war nie zu denken gewesen“, sagt er.

Mauerfall in Kaserne der NVA erlebt

1989 sitzt der heutige SWM-Geschäftsführer als Angehöriger der Nationalen Volksarmee in einer Kaserne. Die Stimmung ist seit Monaten von Unsicherheit geprägt. Er erinnert sich an eine „intensive Zeit, wo jederzeit alles hätte passieren können“. „Wir hatten uns schon überlegt, was wir tun, wenn uns Befehle erteilt werden, die wir nicht ausführen wollen. Gewalt oder sogar Bürgerkrieg waren damals nicht ausgeschlossen.“ Doch es geht gut aus: Die Revolution verläuft friedlich.

Lagerfeuer im Grenzgebiet

Als wenige Monate später am 3. Oktober 1990 die Deutsche Einheit gefeiert wird, steht Thomas Pietsch in Hötensleben direkt im einstigen Grenzgebiet und schaut ins knisternde Lagerfeuer, um das sich Gäste gescharrt haben. Sie erleben entspannt ein Ereignis, das lange unerreichbar schien.

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Mit der politischen Wende ändert sich einiges im Leben des Elbestädters. Nun kann er doch noch studieren. Zu DDR-Zeiten war ihm das verwehrt worden, darum lernt Thomas Pietsch zunächst den Beruf des Gießereifacharbeiters im „Schwermaschinenbau Karl Liebknecht“ und macht parallel sein Abitur.

Student in Hamburg bei Siemens

In der Zeit des Aufbruchs studiert der Tüftler dann an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im Bereich Thermischer Maschinenbau/Energietechnik. Die Welt ist plötzlich groß geworden, der Geldbeutel des Studenten allerdings schmal. Darum zieht er nicht gleich los, bleibt in seiner Heimatstadt und wohnt in einer günstigen Wohnung.

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Später heuert das technische Talent als Werkstudent in Hamburg bei der Siemens AG an. Für das Unternehmen betreut er 1992 für Abu Dhabi ein großes Projekt, 1995 macht er seinen Abschluss. Er sammelt fleißig Berufserfahrungen – weiter bei Siemens, später als Block-Ingenieur bei der Volkswagen Kraftwerk GmbH. Diesen Schritt beschreibt der SWM-Chef heute als Start auf seinem „Weg in die Energiewirtschaft“.

Prokurist bei der Avacon AG

Wenn Thomas Pietsch auf seinen Werdegang blickt, spricht er von „einer Ansammlung glücklicher Zufälle“. Dazu zählt auch das Traineeprogramm bei der Energieversorgung Magdeburg AG und später seine Tätigkeit als Prokurist der Avacon AG. Beruflich ist er viel unterwegs, doch Magdeburg bleibt sein „Hafen“. „Das war richtig so“, sagt der heutige SWM-Chef.

Anbieter für Strom und Gas

1999 – vor 25 Jahren – erhält er das Angebot, beim mehrheitlich kommunalen Unternehmen die Verantwortung für Vertrieb und Handel zu übernehmen. Eine Weichenstellung in seinem Leben. Lange zögert er nicht: Die Position klingt vielversprechend, gleichzeitig wird sein erster Sohn geboren, das private Umfeld passt, der Freundeskreis wächst. Pietsch sagt zu – und sieht sich direkt mit der Liberalisierung des Energiemarkts konfrontiert. Er positioniert die SWM als bundesweiten Anbieter für Strom und Gas. Anfang 2021 übernimmt der Magdeburger die Geschäftsführung.

Im Vorstand des SC Magdeburg

„Ich liebe diesen Job“, sagt er und fragt sich manchmal, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn es nicht zur Wiedervereinigung gekommen wäre. „Ich hätte versucht, zu studieren, mich zu qualifizieren und weiterzubilden“, sagt der 56-Jährige. „Das liegt mir im Blut“.

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Genau wie seine Verbundenheit zur Ottostadt, wo sich der Ruderer im Vorstand des SC Magdeburg engagiert und 2024 selbst die Bronzemedaille in der Weltmeisterschaft gewonnen hat. Von hier wegzugehen, ist in all‘ den Jahren nie eine Option. Er schwärmt: „Unsere Stadt hat sich stark positiv gewandelt. Allein die Transformation des Stadtbildes! Heute wird Industriekultur wiederbelebt, vieles ist bunt, Stadtteile wie Buckau blühen auf.“

350 Arbeitsplätze und der Blaue Bock

Ein bauliches Highlight setzt die SWM mit der Fertigstellung im Jahr 2021 selbst. Das Unternehmen verwandelt den „Blauen Bock“ im Herzen der Stadt in einen modernen Arbeitsplatz für rund 350 Mitarbeitende sowie in ein Kunden- und Veranstaltungscenter. Darauf sei er sehr stolz, sagt Thomas Pietsch. Und: „Manchmal sind wir im Osten ein bisschen zu bescheiden. Dabei haben wir in den vergangenen 35 Jahren Großartiges geleistet – und tun es noch“.