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10 Tage Sudenburg Bei den "Ureinwohnern" in der Bierstube

Die Volksstimme beleuchtet an zehn Tagen das Leben in Magdeburg-Sudenburg einmal von den weniger bekannten Seiten. Heute: Tag 1.

Von Robert Richter 22.08.2017, 18:00

Magdeburg l Wie war es und wie ist es in Sudenburg? Versuch einer Annäherung mit Hilfe von „Ureinwohnern“ des alten Arbeiterviertels. Die Idee zum Warmwerden: Einkehr in „Izze‘s Bierstube“.

Das kleine Lokal befindet sich schräg gegenüber einer katholischen Kindertagesstätte in der Braunschweiger Straße. Eher ruhiges Hinterland der wuseligen „Halber“. Stimmengewirr ist durch die offenstehende Kneipentür zu hören.

Drinnen am Stammtisch, gleich rechts neben dem Eingang, bitten drei Männer Platz zu nehmen. Sie sind bereit zu erzählen. Bedingung: keine Namen, keine Fotos. Noch ein Schluck Bier, schon sind sie mittendrin.

„Sudenburg – ist die Hauptstadt von Magdeburg!“, platzt es aus einem der Männer heraus. Ach was?! „Aber Sehenswürdigkeiten wirste hier nich ville finden“, fügt er in Sudenburger Manier hinzu. Gelächter.

Der 63-Jährige, dunkle Haare, Schnauzbart, Brille, Karohemd, plaudert los. Er lebe seit 1961 in Sudenburg. Früher, „zu Kommunistenzeiten“, wie er sagt, habe er in der Sudenburger Brauerei als Schlosser gearbeitet. Heute lebe er von Hartz IV. „Vorn auf der Halber kann ich mir kein Bier leisten, die preiswerten Kneipen gibt es nicht mehr.“ In der Bierstube, schlichter Holztresen mit FCM-Aufklebern und Mannschaftsfotos verziert, heller Fliesenboden, Zigarettenrauch, kostet das Bier 1,20 Euro.

Weiter im Text: „Wir hatten in Sudenburg schon immer viele Geschäfte, früher auch viele Kneipen. Und die Jugendklubs, wie in der Klausener – da war immer was los. Doch das Besondere ist: Die alten Sudenburger sind wie eine Familie, wir kennen uns, halten zusammen und helfen uns gegenseitig“, sagt er: „Ist doch so, oder?“ Er blickt sich um.

Sein Gegenüber, eine Hand an der Bierflasche, lauscht aufmerksam und nickt. Er heiße Martin, seinen Nachnamen wolle er nicht in der Zeitung lesen, sagt er. „Ich bin 1959 hier geboren und vor acht Monaten erst endgültig nach Sudenburg zurückgekehrt“, hakt er ein. Wie das? 1989 sei er über die Prager Botschaft aus der DDR geflüchtet, habe in Hamburg und zwischenzeitlich einige Jahre in der Karibik, in der Dominikanischen Republik gelebt. Nach persönlichen Turbulenzen kehrte Martin zurück.

„Ich habe mich neu verliebt in Magdeburg und Sudenburg. Ich fühle mich hier sauwohl“, sagt er. Als er kürzlich umgezogen sei, hätten sofort ein paar Leute aus dem Viertel „Gewehr bei Fuß“ gestanden und mit zugepackt. „So etwas erlebst du so in Hamburg sicher nicht“, meint er.

Der Jüngste in der Runde, 1979 geboren und „nie weggezogen aus Sudenburg“, steht plötzlich auf. Der Wirt brauche Hilfe. Eine Bierkastenlieferung stehe vor der Tür. Der 38-Jährige mit der grauen Schirmmütze auf dem Kopf schleppt ein paar Kästen hinter den Tresen. „Siehst du, so ist das in Sudenburg“, sagt der Mann im Karohemd.

Der Jüngere sitzt nach getaner Arbeit wieder an seinem Platz. „Es hat sich einiges getan in Sudenburg“, meint er. Er sei Familienvater, schätze die schönen neuen Spielplätze, etwa am Wormser Platz.

Der Mann in Karo schaut skeptisch. „Zu Kommunistenzeiten“ sei es doch bei weitem besser gewesen in Sudenburg. Die anderen winken nur ab. „Sudenburg ist an vielen Stellen deutlich schöner geworden, Einkaufsmöglichkeiten gibt es reichlich, die Verkehrsanbindung ist top. Und wir haben die schöne Ambrosius­kirche“, erwidert Martin, der Ex-Karibikbewohner.

Zeit, Abschied zu nehmen. „Aber mit einem Handschlag!“, fordern die Männer. So ist das in Sudenburg.

Die Serie im Überblick:

Tag 2: Eine Melange am Ambrosiusplatz

Tag 3: Die ganze Klaviatur - Musik in der Kirche

Tag 4: Klavierbauer verleiht Flügel an Stars

Tag 5: Audienz bei Harry IV. und Herrchen

Tag 6: Jutebeutel auf Abwegen

Tag 7: Probe bei singenden Plaudertaschen

Tag 8: Der Ambrosiuskirche aufs Dach gestiegen

Tag 9: Magdeburg lernt laufen

Tag 10: Der Chronist vom Friedhof