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10 Tage Sudenburg Der Chronist vom Friedhof

Die Volksstimme beleuchtet an zehn Tagen das Leben in Magdeburg-Sudenburg einmal von den weniger bekannten Seiten. Heute: Tag 10.

02.09.2017, 16:00

Magdeburg l Mit den Fingern wischt der Sudenburger Thomas Garde Schmutz von einem verwitterten Kreuz aus Sandstein. Die Inschrift ist nur noch schwer zu entziffern. „Das ist das älteste Grab hier." Es gehört Emilie Anna Dulon, Ehefrau von Kommerzienrat Max Dulon, Inhaber einer Zuckerraffinerie. „Sie starb dieser Tage vor 151 Jahren, am 4. September 1866. Drei Tage später starb auch ihr Kind. Schuld war die Cholera“, erzählt Garde.

Beim Streifzug über den Alten Sudenburger Friedhof mit dem 55-Jährigen lässt er das alte Sudenburg vor dem geistigen Auge wieder auferstehen. Industriebarone, Großbauern, Pastoren – sie alle haben hier ihre Ruhestätte.

Zu jedem Namen hat Garde eine Geschichte parat: Heinrich Fölsche, Zuckerfabrikant und Stadtrat von Magdeburg, unterzeichnete vor 150 Jahren den Vereinigungsvertrag der Städte Sudenburg und Magdeburg. Oder Georg Becker, sozusagen Gründer des heutigen Förderanlagenbauers FAM, der heute am Standort der einstigen Maschinenfabrik Georg Becker & Co seinen Sitz hat. Johannes Brennecke, erster Frauenarzt in Magdeburg, der sich 1876 in Sudenburg niederließ ...

In zwei völlig verstaubten Särgen in einer Gruft unter der backsteinernen Friedhofskapelle liegen Peter Zincke, Sudenburger Großbauer sowie Stifter, und seine Frau, von Spinnweben umgeben. „Die Stiftung kam dem gesamten Friedhof zugute. Allerdings wurde das Vermögen in der DDR eingezogen. Sonst wäre manches heute finanziell sicher etwas einfacher“, sagt Garde.

Zum Beispiel die notwendige Dachsanierung für die Kapelle. Oder der Erhalt der alten Gräber. Darum kümmern sich Thomas Garde und seine Frau so gut es geht. Ehrenamtlich. „Vor Jahren war ich bei einer Führung von Nadja Gröschner von der Feuerwache hier auf dem Friedhof. Da wurde mein Interesse entfacht. Geschichtlich interessiert war ich schon immer“, erzählt der Wahl-Sudenburger, von Beruf Bauingenieur, der aus der Nähe von Bremen stammt und 1994 nach Magdeburg kam. „Wir sorgen dafür, dass die alten Gräber sichtbar bleiben.“

Inzwischen arbeitet Garde auch an einer Sudenburger Chronik. „So etwas gibt es noch nicht“, sagt er. Im Internet unter www.sudenburg-chronik.de veröffentlicht er nach und nach die Ergebnisse seiner Nachforschungen zur Geschichte.

In Sudenburg fühle er sich „sauwohl“: „Das alte Flair ist erhalten geblieben, die Gründerzeithäuser stehen noch. Die Menschen, die sich gemeinnützig engagieren, sind wie eine Familie.“ Thomas Garde gehört dazu, ist auch im Kultur- und Heimatverein Magdeburg aktiv, als eines der jüngsten Mitglieder, wie der 55-Jährige mit einem Schmunzeln anfügt. Er hat die Geschichte Sudenburgs zu seiner Aufgabe gemacht. „Jemand muss sie ja für die Nachwelt erhalten.“

Die Serie im Überblick:

Tag 1: Bei den "Ureinwohnern" in der Bierstube

Tag 2: Eine Melange am Ambrosiusplatz

Tag 3: Die ganze Klaviatur - Musik in der Kirche

Tag 4: Klavierbauer verleiht Flügel an Stars

Tag 5: Audienz bei Harry IV. und Herrchen

Tag 6: Jutebeutel auf Abwegen

Tag 7: Probe bei singenden Plaudertaschen

Tag 8: Der Ambrosiuskirche aufs Dach gestiegen

Tag 9: Magdeburg lernt laufen